Süddeutsche Zeitung

Krieg in Syrien:Wen Russlands Bomben in Syrien treffen

  • Die russischen Kampfjets flogen in den vergangenen drei Monaten mehr als sechsmal so viele Angriffe wie die Anti-IS-Koalition.
  • Die syrischen und russischen Luftangriffe richteten sich vor allem gegen die Rebellengruppen und kaum gegen den "Islamischen Staat".
  • Die militärische Mission Russlands in Syrien ist erfüllt; eine militärische Niederlage Assads wurde verhindert.

Von Katharina Brunner, Sarah Unterhitzenberger und Benjamin Moscovici

Menschen irren zwischen zerstörten Häusern umher, auf den Straßen liegen Leichen. Es sind Bilder wie aus Dresden nach den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs. Monatelang haben syrische und russische Truppen den Osten Aleppos bombardiert. Jetzt liegt die jahrtausendealte Stadt in Schutt und Asche.

Seit dem 30. September 2015 greift Russland an der Seite des syrischen Diktators Baschar al-Assad in den Bürgerkrieg ein. Ziel des Einsatzes sei es, Terroristen und Dschihadisten zu bekämpfen, heißt es immer wieder aus Moskau. Aber ein Blick auf die Daten zu Ort und Zeitpunkt der jeweiligen Bombardements zeigt, dass russische und syrische Bomben nahezu ausschließlich die Rebellen treffen, während der selbsternannte "Islamische Staat" von den Luftangriffen weitgehend verschont bleibt.

Die Daten über die Luftangriffe, die den SZ-Grafiken zugrunde liegen, stammen vom IHS (Information Handling Service), einer amerikanischen Beratungsfirma, die den Krieg in Syrien anhand von Informationen aus lokalen Medien, sozialen Netzwerken und Satellitenbildern analysiert. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass die Daten auch vereinzelt Fehler enthalten. Aber die Tendenz ist eindeutig: Niemand bombardiert in Syrien so viel wie das Assad-Regime und Russland.

Die russischen Kampfjets haben den Aufzeichnungen zufolge vor allem über jenen Städten des Landes ihre Bomben abgeworfen, die strategisch wichtig für die Rebellengruppen waren, etwa weil es dort Depots mit Munition und Lebensmitteln gab. Mit dieser Taktik hat Russland dem syrischen Regime bereits vor dem Fall von Aleppo zu wichtigen militärischen Erfolgen verholfen. So konnte Assad dank der russischen Luftunterstützung die Rebellenhochburgen Homs und Hama erobern und den Einfluss der Rebellen im Norden der Hauptstadt Damaskus erheblich zurückdrängen.

Wenn man aus der Karte rauszoomt und sich die russischen Luftangriffe in ganz Syrien anschaut, wird deutlich: Ja, Russland hat auch den IS bombardiert. Insbesondere rund um die Stadt Deir ez-Zor im Osten des Landes. Die Stadt steht unter der Kontrolle der syrischen Regierung, ist allerdings vollständig von Kämpfern des IS eingeschlossen.

Aber bis auf diese Ausnahmen fallen die syrischen und russischen Bomben nahezu ausschließlich auf Gebiete, die von Rebellen gehalten werden. Allein in Aleppo sollen in den vergangenen Monaten 1207 Zivilisten, darunter 380 Kinder getötet worden sein. Das geht aus einem Brief hervor, den die syrischen Weißhelme gemeinsam mit anderen Bürgerrechtsgruppen an einen Untersuchungsausschuss der Vereinten Nationen schickten. Die Weißhelme hatten in Aleppo bis zuletzt versucht, nach den Bombardements Verletzte aus den Trümmern zu ziehen. Erst vor wenigen Wochen wurden sie für ihr Engagement mit dem alternativen Nobelpreis geehrt.

Insgesamt sind in dem seit mehr als fünf Jahren tobenden Bürgerkrieg nach Angaben der Vereinten Nationen fast eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen. Sämtliche Bemühungen, dem Töten Einhalt zu gebieten, sind bislang gescheitert. Am Donnerstag traf sich der Bürgermeister von Ost-Aleppo in Brüssel mit führenden europäischen Politikern. Er sagte: "Das Schweigen der internationalen Gemeinschaft hat mir das Herz gebrochen, angesichts des Leids von Frauen und Kindern."

Viele Politiker zeigten sich nach dem Gespräch mit dem syrischen Bürgermeister erschüttert. Angela Merkel sagte, seine Rede sei "sehr deprimierend" gewesen. Es sei zum Schämen und breche einem das Herz zu sehen, was möglich aber politisch nicht durchsetzbar sei. Die Bundeskanzlerin machte Russland und Iran neben dem syrischen Regime dafür verantwortlich, dass gezielte Angriffe auf Zivilpersonen und Krankenhäuser stattgefunden haben und nannte die Bombardements ein Verbrechen.

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