Süddeutsche Zeitung

Krieg in Syrien:Merkel zögert mit Waffenlieferungen an Assads Feinde

London und Paris dringen darauf, Waffen an die syrische Opposition zu liefern - notfalls wollen sie das Embargo brechen. Andere EU-Staaten sind strikt dagegen, Kanzlerin Merkel will nichts überstürzen.

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union streiten über die von Frankreich und Großbritannien verlangten Waffenlieferungen an die Aufständischen in Syrien. Beim EU-Gipfel in Brüssel zeichnete sich keine gemeinsame Linie ab.

Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits am Donnerstagabend gebremst hatte, lehnte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann den Vorstoß am Freitag klar ab. "Ich glaube, man kann in einem Konflikt, indem man Waffen liefert, zu keiner Lösung kommen." Das bewirke nur, dass auch die Gegenseite wieder Waffen geliefert bekomme, sagte der Sozialdemokrat.

Auch der finnische Regierungschef Jyrki Katainen lehnte Waffenlieferungen an die Rebellen gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ab. "Bisher hatten wir eine sehr tragfähige Linie in dieser Frage. Und ich erwarte keine Änderung dieser Linie", sagte er vor Beginn des Gipfels. Er warnte vor einer außenpolitischen Spaltung der EU: "Wir haben versucht, eine gemeinsame Außenpolitik zu schaffen. Und ich hoffe, dass wir die stärken können, indem wir auch eine gemeinsame Politik gegenüber Syrien haben."

Frankreichs Präsident François Hollande hatte am Donnerstag gefordert, das EU-Waffenembargo aufzuheben, um die syrische Opposition bewaffnen zu können. Notfalls werde Frankreich alleine vorgehen. "Alle Absichten, eine politische Lösung zu finden, einen politischen Übergang zu finden, sind zerstört", sagte er.

Auch am Freitag wiederholte er am Rande des EU-Gipfels seine Position: Die syrischen Rebellen hätten Frankreich zugesichert, dass von der EU gelieferte Waffen nicht in falsche Hände geraten würden. Wegen dieser Zusicherungen "könnten wir uns vorstellen, das Embargo aufzuheben", so Hollande.

Auch der britische Premier Cameron hat sich dafür ausgesprochen, das Verbot von Waffenlieferungen an die Aufständischen in Syrien aufzuheben. Die Gegner des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad müssten vom EU-Waffenembargo ausgenommen werden. "Wir möchten mit ihnen zusammenarbeiten und versuchen, sicherzustellen, dass sie das Richtige tun", sagte der Premier. Allerdings habe sein Land derzeit nicht konkret vor, auch tatsächlich Waffen zu liefern.

Deutschland will "sehr abwägend vorgehen"

Das EU-Waffenembargo gegen Syrien, das für die Regierung und die Aufständischen gleichermaßen gilt, läuft Ende Mai aus. Es kann nur einstimmig verlängert werden. Bisher ist nur die Lieferung von "nicht tödlichem Militärmaterial" - beispielsweise Helmen oder Schutzwesten - an die Aufständischen erlaubt. Die EU-Außenminister sollen nun Ende kommender Woche erneut darüber verhandeln.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Donnerstag gesagt, Deutschland werde in dieser Frage "sehr abwägend vorgehen". Es bestehe die Gefahr, dass Waffenlieferungen dazu führten, dass "auch die Gegenseite dann mit noch mehr Waffen versorgt" werde. "Und deshalb ist dies für uns eine sehr komplizierte Abwägungsfrage." Im Kreise der Außenminister könne aber über die französisch-britischen Wünsche geredet werden.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) will sich nun so schnell wie möglich mit seinen EU-Kollegen über mögliche Waffenlieferungen an die syrische Opposition besprechen. "Die Gespräche sollen am besten morgen stattfinden, allerspätestens in Dublin", sagte Westerwelles Sprecher Andreas Peschke in Berlin - in der irischen Hauptstadt treffen sich am Freitag kommender Woche die EU-Außenminister. Die syrische Opposition solle "in jeder verantwortbaren Weise" gestärkt werden. Zu den Fragen gehörten dabei, an wen was geliefert werden solle und die Sorge, dass Waffen in falsche Hände geraten könnten. Entscheidend sei, dass Europa an einem Strang ziehe. Die Konfliktlage in Syrien sei "äußerst dramatisch", sagte Peschke.

Gipfelchef Herman Van Rompuy räumte nach den Gesprächen in Brüssel Differenzen ein: "Wir sind mitten in einer Debatte. Es ist normal, dass man unterschiedliche Ansichten vertritt."

Mit massiven Luftangriffen geht Syriens Regime am zweiten Jahrestag des Aufstands gegen die Protesthochburgen vor. Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London mitteilte, flog das Militär von Präsident Assad Angriffe in der südlichen Provinz Daraa, wo die Massenproteste im März 2011 ihren Anfang genommen hatten. Auch im Umland von Damaskus habe es Luftschläge gegeben.

Oppositionelle berichteten zudem von neuerlichen Angriffen mit Scud-Raketen auf Ziele im Norden des Landes, wo die Rebellen stark sind. Aktivisten planen den Angaben nach zum zweiten Jahrestag des Aufstands zahlreiche Demonstrationen. Allein am Donnerstag kostete der Bürgerkrieg nach Oppositionsangaben mindestens 180 Menschen das Leben. Meldungen aus Syrien sind wegen der Medienblockade des Regimes und der andauernden heftigen Kämpfe von unabhängiger Seite weiterhin nur schwer zu überprüfen.

Abschiebungsstopp für syrische Flüchtlinge verlängert

Flüchtlinge aus Syrien sollen vorerst weiter nicht in ihr bürgerkriegsverwüstetes Land abgeschoben werden. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) machte den Weg für einen bundesweiten Abschiebungsstopp für weitere sechs Monate frei. "Deutschland bekennt sich auch weiterhin zu seiner Verantwortung gegenüber den Menschen, die hier Schutz gefunden haben", sagte Friedrich. Die betroffenen Menschen müssten keine Furcht haben, "in ihr derzeit durch Krieg und Zerstörung gebeuteltes Heimatland ausreisen zu müssen", hieß es in einer Erklärung des Ministeriums weiter.

Eine Sprecherin seines Ministeriums nannte dies ein "humanitäres Signal" im Einvernehmen mit den Bundesländern. Es seien ungefähr 1500 Syrer von der Maßnahme betroffen. Priorität habe indessen weiterhin die humanitäre Hilfe vor Ort, sagte die Sprecherin. Im April wolle Friedrich mit dem UN-Flüchtlingskommissariat auch darüber sprechen. Sollte es zu einer Aufnahme syrischer Flüchtlinge kommen, würden auch familiäre Bindungen berücksichtigt.

Friedrich hatte vor kurzem gesagt, dass derzeit jeden Monat etwa 1000 Asylanträge von Syrern eingingen. Gemeinsam mit Schweden nehme Deutschland derzeit etwa 60 Prozent aller syrischen Flüchtlinge auf, die in die EU kämen. In den vergangenen Tagen hatte es Kritik an der Haltung von Friedrich zu Flüchtlingen aus Syrien gegeben. Dabei ging es um die Frage des Nachzugs von Familienangehörigen syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge.

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