Krieg in Syrien:Erdoğan: "Hey, Vereinte Nationen, wo seid Ihr?"

Krieg in Syrien: Auf Videostandbildern des Nachrichtensenders Al-Mayadeen vom Mittwoch sollen Granateinschläge in Ost-Aleppo zu sehen sein.

Auf Videostandbildern des Nachrichtensenders Al-Mayadeen vom Mittwoch sollen Granateinschläge in Ost-Aleppo zu sehen sein.

(Foto: AP)
  • Die syrische Armee hat den Beschuss von Aleppo wieder aufgenommen.
  • Nach der weitgehenden Eroberung der Stadt durch syrische Truppen sollten die eingeschlossenen Zivilisten, aber auch Rebellen, aus der Stadt gebracht werden, doch die Aktion hat nicht wie geplant am Morgen begonnen.
  • Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan will mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin telefonieren.
  • Der syrische UN-Botschafter weist Vorwürfe zurück, das syrische Militär habe in Aleppo Zivilisten hingerichtet.

Nach der nahezu vollständigen Rückeroberung von Aleppo hat die syrische Armee den Kampf im Osten der Stadt wieder aufgenommen. Die syrischen Truppen hätten einen Angriff der Rebellen abgewehrt und die "Befreiungseinsätze verlängert", erklärte die russische Armee. Rebellen berichten ebenfalls, Ost-Aleppo sei wieder unter Beschuss. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete unter Berufung auf ihren Korrespondenten, syrische Regierungstruppen und mit ihr verbündete schiitische Milizen hätten die Waffenruhe gebrochen. Sie hätten begonnen, den belagerten Teil mit schweren Waffen zu beschießen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow rechnet laut Nachrichtenagenturen damit, dass die syrischen Regierungstruppen bei der Einnahme der Stadt Aleppo nur noch "zwei bis drei Tage" auf "Widerstand" treffen werden.

Angesichts der verheerenden Lage warf der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan dem Westen Untätigkeit vor. "Hey, Vereinte Nationen, wo seid Ihr?", fragte er während einer Fernsehansprache. Erdoğan sagte, die Türkei bemühe sich weiterhin um einen Korridor für die in Ost-Aleppo eingeschlossenen Menschen. Sein Land sei bereit dazu, Flüchtlinge aufzunehmen. Am Abend will Erdoğan mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin telefonieren, um über die aktuelle Entwicklung zu sprechen. Bereits am Dienstag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Putin gesprochen, sich für eine Waffenruhe sowie den ungehinderten Zugang humanitärer Helfer nach Ost-Aleppo eingesetzt.

Unklare Lage hinsichtlich Evakuierung

Am selben Tag hatte Russland mitgeteilt, die syrische Armee habe die Kampfhandlungen gestoppt, um den Aufständischen und ihren Familien die Flucht aus Aleppo zu ermöglichen. Die für den Morgen angekündigte Evakuierung hat jedoch bisher nicht stattgefunden. Sie sollte eigentlich gegen 05.00 Uhr Ortszeit (04.00 Uhr MEZ) beginnen.

Die Lage ist diesbezüglich unübersichtlich: Bislang habe kein Kämpfer und kein Zivilist Ost-Aleppo verlassen, heißt es seitens der in Großbritannien ansässigen oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die sich auf Informanten im Land stützt. Hintergrund seien Differenzen zwischen dem Regime und seinem Verbündeten Russland über die Einigung mit den Rebellen, erklärte die Beobachtungsstelle. Demnach ist Syriens Führung unzufrieden, weil Russland die Einigung ohne Abstimmung mit ihr verkündet hat.

Die Nachrichtenagentur AFP berichtet unter Berufung auf Regierungskreise, die Evakuierung sei offenbar wegen Einwänden der syrischen Regierung ausgesetzt worden. Sie habe sich an der Zahl der Rebellen und Zivilisten gestört, die die betroffenen Gebiete verlassen sollten. Zudem fordere die Regierung eine Namensliste. Diese Angaben lassen sich nicht überprüfen. Medienberichten zufolge mussten mehrere zur Evakuierung angeforderte Bussen leer in die Depots zurückkehren.

Krieg in Syrien: Die Busse, die die Bewohner Ost-Aleppos aufnehmen sollen, warteten zunächst vergeblich

Die Busse, die die Bewohner Ost-Aleppos aufnehmen sollen, warteten zunächst vergeblich

(Foto: AFP)

Die russische Nachrichtenagentur Interfax berichtet dagegen, fast 6000 Zivilisten hätten die von Rebellen gehaltenen Stadtteile von Aleppo in den vergangenen 24 Stunden verlassen. Darunter seien auch 2000 Kinder, heißt es unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau. 366 Rebellen hätten in diesem Zeitraum ihre Waffen niedergelegt und sich zurückgezogen. Nach Angaben der Hilfsorganisation Médecins du Monde sind noch etwa 100 000 Menschen auf einem Gebiet von lediglich fünf Quadratkilometern im Osten der Stadt eingeschlossen.

Syrien weist Vorwürfe von Racheakten zurück

Der UN-Botschafter Syriens hat Vorwürfe zurückgewiesen, das syrische Militär habe bei der Machtübernahme in Aleppo Racheakte an Zivilisten verübt und Menschen hingerichtet. Die syrischen Kräfte hätten die Bürger im Osten der Stadt von "Terroristen" befreit, sagte Baschar Dschaafari. Die Regierung überprüfe die Identität der Menschen, die Aleppo verließen, um Terroristen und ausländische Kämpfer auszumerzen. Einige von ihnen hätten sich als Frauen verkleidet.

In der Vergangenheit hat die syrische Regierung alle gegnerischen Kämpfer in Aleppo als Terroristen bezeichnet und dabei beispielsweise nicht zwischen gemäßigten politischen Rebellen und Extremisten unterschieden.

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