Süddeutsche Zeitung

Krieg in Syrien:Die Türkei droht im syrischen Sumpf zu versinken

Erdoğan trifft Putin, um eine letzte Schlacht um Idlib zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge in Syrien bleiben. Die demilitarisierte Zone, die die Türkei und Russland nun einrichten wollen, ist zumindest ein Hoffnungsschimmer.

Kommentar von Christiane Schlötzer

Die Türkei lässt Panzer zur syrischen Grenze rollen, das türkische Fernsehen zeigt aber auch Lastwagen, beladen mit Milchpulver und Babywindeln. Türkische Hilfsorganisationen sollen Menschen in der syrischen Provinz Idlib versorgen, solange es noch geht, vor dem befürchteten Flächenbombardement auf die letzte Rebellenhochburg. Die doppelte Botschaft der Bilder lautet: Niemand sollte die militärische Kraft der Türkei unterschätzen - und Ankara hat ein Herz für Flüchtlinge. Nur sollen die bitte nun in Syrien bleiben.

"Wir schaffen das", sagten die Türken vor sieben Jahren, als der Krieg in Syrien begann. Die Türkei hat bis heute etwa 3,5 Millionen Syrer aufgenommen, mehr als jedes andere Land. Sie hat für die "Gäste", wie sie bis heute heißen, Krankenhäuser, Schulen, Universitäten und den Arbeitsmarkt geöffnet. Lange ging das erstaunlich reibungslos, zuletzt aber nahmen mancherorts die Spannungen zu. Eine neue Flüchtlingswelle, inmitten der Wirtschaftskrise, brächte Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Erklärungsnöte.

Der russische Präsident Wladimir Putin weiß das, genau deshalb drohte er mit dem neuen Zustrom von Millionen, falls Erdoğan nicht tut, was Russland offenbar verlangt hat: die etwa zehntausend Dschihadisten von Tahrir al-Scham, die dem Terrornetzwerk al-Qaida nahestehen, noch zu einem Abzug aus Idlib zu bewegen. Ob so etwas gelingen könnte, ist schwer zu sagen, zumal offen ist, wo die Kämpfer überhaupt hinsollen. In die Türkei? Damit würde sich das Land ein neues hohes Risiko aufbürden. Die türkische Opposition wirft Erdoğan ohnehin vor, radikale Islamisten in Syrien viel zu lange selbst gefördert zu haben, schließlich sei der Türkei jedes Mittel recht gewesen, um den Diktator in Damaskus zu stürzen.

Zivilisten in Idlib sind nur Verfügungsmasse

Die etwa drei Millionen Zivilisten in Idlib sind nur Verfügungsmasse in diesem bösen Spiel. Viele von ihnen sind schon Entwurzelte, aus anderen Provinzen. Für die Dschihadisten sind sie vor allem menschliche Schutzschilder. Und von einem syrischen Luftwaffengeneral ist die Aussage überliefert, man wünsche sich ein neues Syrien mit nur zehn Millionen Menschen - etwa der Hälfte der bisherigen Bevölkerung -, und die sollten dann alle regimetreu sein. In der Konsequenz heißt das: Eine Entvölkerung der Provinz wäre dem Regime nur recht. Solche Pläne könnte der Diktator Baschar al-Assad jedoch nicht ohne Putin durchsetzen, er braucht Russlands Luftwaffe.

Putin wiederum sucht auch ein gutes Verhältnis zur Türkei, es gibt gemeinsame Wirtschaftsinteressen, und Russland hat zuletzt viel getan, um die Entfremdung zwischen Ankara und Washington zu vergrößern. Am Montag haben sich Putin und Erdoğan zum zweiten Mal innerhalb von zehn Tagen getroffen, diesmal in Sotschi, um eine letzte Schlacht um Idlib noch zu verhindern. Erdoğan sagte davor, er befürchte eine "humanitäre Katastrophe".

Am Ende des Treffens gab es einen Hoffnungsschimmer. Putin und Erdoğan einigten sich auf eine breite demilitarisierte Zone rund um den Kern des Rebellengebiets. Die Türkei und Russland wollen diese Zone gemeinsam kontrollieren. Alle Kämpfer der Opposition sollen sie verlassen. Damit ist weiter nicht klar, wo die Rebellen dann bleiben sollen, und ob Assad am Ende sie nicht doch bombardieren wird. Zumindest für die Flüchtlingszelte gibt es dann aber genug Platz, jenseits der Grenze zur Türkei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4132991
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.09.2018/jael
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.