Krieg in Syrien:Rettungskonvoi bringt Menschen aus Ost-Aleppo

Ambulances and buses evacuating people drive out of a rebel-held part of Aleppo

Krankenwagen und Busse fahren am 15. Dezember durch einen zerstörten Stadtteil von Aleppo.

(Foto: REUTERS)
  • Ein erster Konvoi aus Bussen und Sanitätswagen hat am Donnerstag Menschen aus dem zerstörten Ost-Aleppo gebracht. Am Abend soll ein zweiter Konvoi den Stadtrand erreicht haben.
  • Das russische Verteidigungsministerium verkündet, 108 000 Menschen seien in andere Stadtteile Aleppos geflüchtet. Die Rebellen seien aus allen Vierteln vertrieben worden.
  • Der Bürgermeister von Ost-Aleppo und zahlreiche Hilfsorganisationen mahnt die Weltgemeinschaft, sich der hilfsbedürftigen Zivilisten anzunehmen.

Nach der Einigung über einen Waffenstillstand sowie den Abzug der Rebellen hat die Evakuierung Ost-Aleppos begonnen. Ein Konvoi aus Rettungswagen und grünen Bussen erreichte dem syrischen Fernsehen zufolge am Nachmittag den Stadtrand und brachte insgesamt 951 Menschen in Sicherheit. Ein Reuters-Korrespondent zählte vor Ort insgesamt 17 vollbesetzte Busse und 10 Krankenwagen. Sie sollten in die Stadt Idlib im Nordwesten Syriens gebracht werden. Auch die Türkei sei bereit, "Kinder, Ältere, die, die in einer wirklich schwierigen Lage sind" aufzunehmen, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in einer im Fernsehen übertragenen Rede.

Auch in Idlib selbst lief nach Regierungsangaben eine Evakuierungsaktoiin an: Dort machten sich nach einem Bericht Last- und Rettungswagen auf den Weg in die Ortschaften Al-Fua und Kefraja, die von Rebellen belagert werden. Am Abend traf nach Angaben der Agentur AFP ein zweiter Konvoi aus 13 Rettungswagen mit Menschen im Gebiet Chan al Aassal westlich von Aleppo ein. Das Internationale Kommittee des Roten Kreuzes geht davon aus, dass die Evakuierung der Stadt mehrere Tage dauern wird.

Die Rettungsmission wird von den Vereinten Nationen überwacht. Gesicherte Zahlen zur Anzahl der geretteten Zivilisten und Rebellen gab es zunächst nicht. Das russische Verteidigungsministerium verkündete, mehr als 108 000 Menschen seien in andere Bezirke von Aleppo geflüchtet. Die Rebellen seien aus jedem Viertel Aleppos vertrieben worden. Russland ist der wichtigste Verbündete von Syriens Machthaber Baschar al-Assad. Dieser erklärte die Stadt Aleppo am Abend in Damaskus für befreit. "Was heute in Aleppo passiert, wird Geschichte schreiben", sagte er in einer Erklärung.

Angst vor Zwischenfällen - Oppositionelle melden Beschuss von Krankentransport

Die Evakuierung war von der Angst vor Zwischenfällen begleitet, da frühere Feuerpausen stets nach kurzer Zeit zusammengebrochen waren. Oppositionelle berichteten von Schüssen, die Regierungstruppen auf die Krankentransporte abgegeben hätten: Dabei seien drei Menschen verletzt worden, darunter ein Sanitäter. CNN zitierte einen Mediziner, der von vier Verletzten und sogar einem Toten sprach.

Der humanitäre UN-Berater für Syrien, Jan Egeland, erklärte in Genf, er hoffe auf eine erfolgreiche und störungsfreie Evakuierung der ehemaligen Rebellenhochburg Ost-Aleppo. "Das Fenster, das wir jetzt haben, werden wir nie wieder bekommen", twitterte er.

Stiftung: Schicksal der verbleibenden Bewohner ist ungewiss

Unklar ist unterdessen das Schicksal der Bewohner Aleppos, die in der Stadt bleiben. Petra Becker von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin hält die Gefahr für groß, dass es nach dem Abzug der Rebellen aus Ost-Aleppo in den kommenden Tagen zu Massakern kommen könnte. Unter den Gruppen, die jetzt dort die Kontrolle übernehmen, seien auch schiitische Milizen aus Afghanistan, Pakistan und dem Iran, die auf Facebook schrieben: "Wir freuen uns, dass wir in Aleppo jetzt die Sunniten abschlachten können." Diese Milizen zu kontrollieren sei schwierig, sowohl für Russland als auch für das syrische Regime. "Diese schiitischen Söldner sind so ideologisiert, dass sie die Menschen in Ost-Aleppo nicht als Menschen, sondern als Ungeziefer sehen", sagte Becker im Gespräch mit der SZ.

Der Bürgermeister von Ost-Aleppo, Brita Hagi Hassan, wandte sich auf dem EU-Gipfel in Brüssel mit einer eindringlichen Botschaft an die Weltgemeinschaft. "Die Geschichte wird nicht vergessen", er bei einem Gespräch mit EU-Ratspräsident Donald Tusk. "Die Geschichte erinnert sich an das internationale Schweigen angesichts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien." Zugleich mahnte er eine neue Koalition an, die die Einhaltung der Waffenruhe vor Ort durchsetzen könne: Den 50 000 Bewohnern von Ost-Aleppo drohe der Tod, sagte Hassan.

Hilfsorganisationen warnen: Hunderten Menschen droht der Kältetod

Einwohner Aleppos hatten seit Anfang der Woche auf den Beginn der geplanten Evakuierung gewartet. Diese war jedoch am Mittwoch zunächst nicht zustande gekommen, da offenbar iranische Milizen die von Russland ausgehandelte Waffenruhe verletzt hatten. Mehrer Hilfsorganisationen betonten, wie wichtig die Nothilfe für die geretteten Menschen aus Aleppo weiterhin bleibe: "Die Menschen verlassen Aleppo mit nichts", warnte Mohammed Katub von Syrian American Medical Society (SAMS). "Der Winter ist sehr kalt und wir rechnen damit, dass Menschen durch das kalte Wetter sterben."

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