Süddeutsche Zeitung

Krieg in Libyen:Warum der Weg zum Frieden über den Diktator führt

Die Rebellen kommen im Kampf gegen Gaddafi nicht voran, die Rufe nach Bodentruppen werden lauter. Doch der Nato sind die Hände gebunden und die USA diesmal nicht bereit, Weltpolizei zu spielen. Wie der Krieg trotzdem beendet werden kann - und weshalb der libysche Machthaber dabei eine wichtige Rolle spielt.

Michael König

Die Prognosen von Klaus Reinhardt zeugen von Weitsicht. Zwei Tage nach dem Beginn der Nato-Luftschläge gegen Gaddafi sagte der ehemalige Nato-General im ZDF, der internationalen Allianz drohe im Kampf gegen den libyschen Machthaber eine "Odyssee". Schon bald würden die Rebellen nach Bodentruppen rufen, weil Gaddafi aus der Luft nicht zu besiegen sei.

Fünf Wochen später hat sich Reinhardt, der einst Oberbefehlshaber der Nato-Truppen im Kosovo war, wieder zu Wort gemeldet - und Verhandlungen mit Gaddafi angemahnt, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Im Balkankrieg habe man schließlich auch mit Slobodan Milosevic an einen Tisch gesessen, obwohl der Serbenführer "der große Verbrecher" gewesen sei. "Man braucht die Gegenseite", mahnt Reinhardt im Deutschlandradio Kultur.

Plan B war nicht vorgesehen

Die entscheidenden Akteure im Westen haben das bislang anders gesehen. Die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien haben stets betont, Gaddafi müsse weg. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle stimmten dem zu. Die Durchsetzung der UN-Resolution mit militärischen Mitteln würde ausreichen, um die Rebellen entscheidend zu stärken, hieß es. Ein Plan B war nicht vorgesehen. Das rächt sich jetzt, da die schlechten Nachrichten aus Libyen nicht abreißen - und der Ruf der Rebellen nach Bodentruppen immer lauter wird.

Die Allianz hat derzeit nur Kosmetika zu bieten, aber keine Lösung des Dilemmas. Die USA wollen den Rebellen "nicht tödliche Ausrüstung" liefern, also etwa Medizin, Kleidung und Lebensmittel. Waffenlieferung behält man sich vor - wie schon seit Wochen. Großbritannien und Italien schicken "erfahrene Militärberater" nach Libyen. Eine Vorhut für die Bodentruppen? Nicht unbedingt, sagt Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (BITS): "Das kann auch ein Spiel auf Zeitgewinn sein und ein Versuch, die Verteidigung der Aufständischen zu verbessern."

"Derzeit kein Grund"

Zeit löst das Problem nicht, denn die Aussichten werden nicht besser. "Der Westen hat sich vollkommen verspekuliert", sagt Nassauer. "Wer Maximalforderungen stellt und sagt, zunächst müsse Gaddafi gehen, der beraubt sich des Gegenübers für eine Lösung." Gaddafi habe "derzeit keinen Grund, abzutreten."

Auch der Libyer Noman Benotman, einst einer der Anführer der terroristischen "Libysch-Islamischen Kampfgruppe" im Kampf gegen das Regime Gaddafis und heute Extremismusforscher in London, sagte im Interview mit sueddeutsche.de: "Um nichts in der Welt" werde der libysche Machthaber aufgeben. Es sei massive Gewalt nötig, um ihn zum Aufgeben zu zwingen.

Viele Experten klingen resigniert, wenn man sie dieser Tage auf den möglichen weiteren Verlauf des Krieges anspricht. "Es gibt keine guten Optionen mehr, nur noch schlechte", sagt Markus Kaim, Sicherheitspolitik-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Es gibt drei Szenarien, wie das Blutvergießen in Libyen zu beenden wäre - alle spekulativ und mit vielen Fragezeichen versehen:

1. Der Rückzug

Die Nato hält sich strikt an das bisherige UN-Mandat, das bedeutet: kein Einsatz von Bodentruppen. Die Rebellen werden ihrem Schicksal überlassen, Gaddafi sitzt nach dem Ende des Bürgerkriegs fest im Sattel. "Nach einer gewissen Karenzzeit wäre er als Ansprechpartner des Westens aller Erfahrung nach wieder tragbar", sagt Kaim.

Die Nato könne ihren Einsatz kurzfristig beenden, würde sich jedoch moralisch diskreditieren. "Der Gesichtsverlust wäre enorm", so Kaim. Von den möglichen Folgen für die libysche Bevölkerung ganz zu schweigen.

2. Die militärische Eskalation

Der politische Druck steigt, bis sich die Nato entschließt, doch eine militärische Eskalation zu wagen. Eine Invasion mit Bodentruppen wäre die Folge, entweder mit einem neuen UN-Mandat, was angesichts der ablehnenden Haltung Chinas und Russlands aber unwahrscheinlich ist. Oder unter Verweis auf den notwendigen Schutz der Zivilbevölkerung, was aber großen Streit innerhalb der Nato auslösen würde.

Alternativ könnte auch eine Koalition der Willigen die Mission übernehmen. Sie wäre aber auf die USA angewiesen, die eine Invasion mit Bodentruppen bislang strikt ablehnen. Die Beteiligten würden sich in jeden Fall "auf ein militärisches Abenteuer mit unklarem zeitlichen und funktionalen Umfang einlassen", wie Kaim sagt. Auch das politische Ziel der Mission sei völlig unklar - Libyen drohe ein ähnliches Schicksal wie Afghanistan.

3. Die diplomatische Lösung

Die Nato vereinbart mit Gaddafi und den Rebellen einen Waffenstillstand. "Man muss bereit sein, Gaddafi zumindest vorübergehend als politischen Akteur zu akzeptieren", sagt der Berliner Wissenschaftler Nassauer. Die Forderung des Regimewechsels wird fallengelassen, humanitäre Korridore werden eingerichtet. Eine internationale Delegation hochrangiger Diplomaten setzt in Verhandlungen mit Gaddafi (oder einem seiner Söhne) eine Machtbeteiligung der Aufständischen durch. Eine Teilung des Landes wird verhindert, weil sie permanente Nato-Kontrolle erfordern würde.

"Das Ergebnis wäre zweifellos fragil, aber die Gewalt hätte ein Ende", sagt Kaim. Für die Nato sei das eine gesichtswahrende Lösung. Nassauer gibt zu bedenken, der Westen müsse "über seinen Schatten springen, um einen Waffenstillstand zu ermöglichen, und zugeben, dass auch er Fehler gemacht und sich verkalkuliert hat". Wer in einer solchen Situation vorrangig darauf achte, "das eigene Gesicht zu wahren, trägt eher zur Eskalation, denn zur Deeskalation bei."

"Nicht nur auf die Rebellen hören"

Kaim hält das dritte Szenario für "das Klügste, wenn auch mit vielen Fallstricken". Alle Seiten, die Alliierten, die Aufständischen und der Gaddafi-Clan, müssten zu Kompromissen bereit sein. "Man hat Gaddafi in die Enge gedrängt und ihm vermittelt, er kämpfe seinen finalen Kampf. Kein Wunder, dass er zum Äußersten greift", sagt der Wissenschaftler.

Ähnlich sieht es der ehemalige Nato-General Reinhardt, der kritisierte, dass "die westlichen Staatsmänner alle gesagt haben, wir wollen Gaddafi weghaben". Er werde aber dringend gebraucht, um Friedensverhandlungen einzuleiten. Reinhardt ermahnte den Westen auch, er dürfe "nicht nur auf die Rebellen hören, sondern man muss nun dazu übergehen, endlich den Krieg zu beenden."

Welche Konsequenzen eine diplomatische Lösung für die restliche arabische Welt - etwa die Proteste in Syrien und im Jemen - hätte, ist dabei völlig unklar. Nach den erfolgreichen Umstürzen in Tunesien und Ägypten wäre erstmals eine Revolution gescheitert.

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