Krieg in Libyen:Die Selbstzerstörung der Nato

Der Militäreinsatz in Libyen braucht ein klares Ziel - stattdessen regieren in Europa und der Nato Egoismus, Eitelkeit und Zauderei. In dieser Kakophonie agieren drei Staaten beispielhaft schlecht: Frankreich, die Türkei und Deutschland.

Stefan Kornelius

Die internationale Koalition gegen Muammar al-Gaddafi hat zwei bemerkenswerte Schwächen: Sie weiß nicht, was sie tatsächlich erreichen will in Libyen. Und viel schlimmer: Sie weiß nicht, wer eigentlich das Kommando führt. Für das erste Problem gibt es eine schnelle Antwort. Sie steht in der UN-Resolution 1973, die zum Schutz der Zivilbevölkerung den Einsatz aller notwendigen Mittel vorsieht.

Diese schwammige Formulierung verlangt schnellstens nach mehr Festigkeit, und deshalb braucht es einen politischen Willen, der das genaue Ziel des Einsatzes aushandelt. Um dieses Ziel zu formulieren, ist politische und dann auch militärische Führung nötig. Beides ist nicht zu finden in dem Konflikt, der sich deswegen blitzartig gegen die wohlmeinenden Interventionisten wenden kann. Europa, die USA, die arabischen Nationen und die sie verbindenden Institutionen wie die Nato bieten ein jämmerliches Bild. Egoismus, Eitelkeit und Zauderei dominieren die Politik. Der Begriff "Streitkräfte" erhält eine neue Bedeutung.

In dieser Kakophonie agieren drei Staaten beispielhaft schlecht: Frankreich, die Türkei und Deutschland. Sie können vor allem deshalb ihren nationalen Plustereien frönen, weil die USA als Führungsnation ausgefallen sind. Präsident Barack Obama hat entschieden, dass der Einsatz in Libyen ein Krieg zu viel ist für sein Land. Die Entscheidung ist nachvollziehbar: Amerika ist die letzte Nation, die in die arabische Reformbewegung eingreifen sollte. Diese blüht auch deshalb auf, weil die amerikanischen Interessen nicht sichtbar durchgesetzt werden. Obama hat diese Dialektik verstanden: Washingtons Sicherheit wird verbessert, indem es gerade nicht für Sicherheit im arabischen Frühling und auch in Libyen sorgt.

Weil die USA sich zurückhalten, fehlt dem Krieg in Libyen die Führungsnation. Zwar haben die USA die ersten Tagen des Einsatzes maßgeblich kommandiert. Aber ihre Zurückhaltung eröffnet jetzt ein Vakuum. Verteidigungsminister Robert Gates will die Truppen zurückziehen. Und schon blüht eine Rivalität unter den westlichen Konfliktparteien auf, die in der Geschichte ihresgleichen sucht.

Frankreichs Präsident, ohne den es nie zur UN-Resolution und deren schneller Umsetzung gekommen wäre, will partout die Nato aus dem Kommando heraushalten, weil deren Reputation die wenigen arabischen Partner im Anti-Gaddafi-Bündnis verprellen könnte. Getestet oder wenigstens verhandelt hat er die Annahme nie.

Die Türkei spielt im anderen Extrem eine ebenso unrühmliche Rolle. Premier Recep Tayyip Erdogan treibt seit Wochen durch die Brandung - einmal triumphierend auf der Welle, dann wieder als Ertrinkender. Seine nationalistische Politik hat ihn zum Verbündeten jener Potentaten gemacht, deren letztes Stündchen gerade schlägt. Mit ihnen will er Geschäfte machen - und gleichzeitig das demokratische Vorbild für die aufbegehrenden Massen sein. Dabei fährt er einen stramm anti-europäischen Kurs und pflegt in Nicolas Sarkozy ein Feindbild, das den türkischen Europa-Zorn nur zu gerne anstachelt.

Deutschland in der Isolation

Zwischen all den Lagern fällt Deutschland aus, schlimmer noch, hat sich die Bundesregierung in eine selbst für wohlmeinende Zeitgenossen nicht mehr zu erklärende Isolation begeben. Einerseits findet sie den Militäreinsatz unkalkulierbar und wird ihn nicht unterstützen, andererseits wird sie aber auch nicht in der Nato die Hand heben gegen ihn.

Krieg in Libyen: Libyer auf dem Wrack eines abgestürzten US-Jets östlich von Misrata. Nach Angaben des US-Afrika-Kommandos waren technische Probleme die Absturzursache. Der Jet sei nicht abgeschossen worden. Die Piloten hätten sich mit dem Schleudersitz retten können.

Libyer auf dem Wrack eines abgestürzten US-Jets östlich von Misrata. Nach Angaben des US-Afrika-Kommandos waren technische Probleme die Absturzursache. Der Jet sei nicht abgeschossen worden. Die Piloten hätten sich mit dem Schleudersitz retten können.

(Foto: AP)

Wer Mitglied in einem solchen Chaosclub ist, der braucht keine Feinde mehr. Die Nato, die europäischen Bündnismächte - sie betreiben Selbstzerstörung. Drei Kommandozentren sind jetzt für den Einsatz in Libyen zuständig, die Operation trägt drei unterschiedliche Titel, Norwegen und Italien drohen mit dem Rückzug, sollte das Durcheinander nicht bald aufgelöst sein.

Bismarcks Allianzsystem war leicht zu manövrieren, gemessen am Chaos in Europa und der Nato, das sich aus Stolz und Eitelkeit (Frankreich), Nationalismus (Türkei), Isolationismus (Deutschland) und ängstlicher Vorsicht (USA) speist. Genüsslich heftet der russische Groß-Machiavellist Wladimir Putin der Allianz das Wappen der Kreuzfahrer auf die Brust und heizt in spalterischer Absicht den Argwohn der arabischen Welt an.

Der Einsatz braucht also Klarheit, zunächst im Kopf. Auch wenn das politische Ziel die Vertreibung Gaddafis sein müsste, so sollte es die Koalition bei einer engen Auslegung des Mandats belassen: Flugverbotszone und die Verhinderung von Übergriffen gegen Zivilisten. Wenn die libysche Opposition unter diesem Schutz nicht in der Lage ist, den Aufstand zu revitalisieren, dann können ihr nur Bodentruppen helfen. Die wird aber niemand entsenden.

Zweitens braucht die Koalition nun politische und taktische Einigkeit. Die gibt es nur, wenn es ein einheitliches militärisches Kommando gibt. Nur aus dieser Einheit heraus kann der politische Druck auf Libyen wachsen, der allen noch vernunftbegabten Menschen um Gaddafi klarmacht: Mit ihm wird Libyen ein gespaltenes und isoliertes Land sein. Der Staat Libyen hat nur ohne Gaddafi eine Zukunft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: