Krieg in Libyen:Gaddafi-Anhänger weigern sich aufzugeben

Das Ultimatum der libyschen Rebellen läuft bis Samstag. Dann müssen die Truppen Gaddafis ihre letzten Stellungen geräumt haben. Doch trotz der Drohungen scheinen die Anhänger des untergetauchten Despoten nicht bereit, sich kampflos zu ergeben. Damit droht dem gebeutelten Land neues Blutvergießen.

Die Hauptstadt Tripolis, aber auch weite Teile des Landes sind weitgehend unter Kontrolle der Aufständischen. Doch in einigen Orten halten die Truppen des untergetauchten Despoten Muammar al-Gaddafi immer noch die Stellung: in Gaddafis Geburtsstadt Sirte, der Wüstenstadt Sebha im Zentrum des Landes und in Bani Walid. Und die Anhänger Gaddafis sind nicht bereit aufzugeben, wie der britische Guardian meldet.

Libyan Rebels Sieze Control Of Tripoli From Gaddafi Forces

Libysche Rebellen in Tripolis: Die Hauptstadt ist weitgehend unter Kontrolle der Aufständischen, doch andere Städte bilden immer noch Hochburgen der Gaddafi-Anhänger.

(Foto: Getty Images)

Damit droht dem Land weiteres Blutvergießen, wenn am Wochenende ein vom Übergangsrat gestelltes Ultimatum ausläuft. Danach sollen die letzten Gaddafi-Getreuen bis Samstag die von ihnen kontrollierten Städte übergeben. "Länger können wir nicht warten", hatte der Chef des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, am Dienstag gesagt. "Wir können die Situation militärisch lösen, aber das wollen wir nicht", sagte Dschalil - doch nun scheinen neue schwere Kämpfe anzustehen.

Die Militärführung der Aufständischen bereitet sich auf den Einmarsch in den Städten Sirte und Sebha vor. Die Medien der Rebellen meldeten in der Nacht neue Gefechte in der Umgebung der Stadt Bani Walid. Ihren Angaben zufolge konnten die Rebellen einen Angriff von Gaddafi-Anhängern ohne eigene Verluste zurückschlagen.

Unterstützung erhielten die Rebellen in den vergangenen Tagen aus der Luft: Nato-Kampfflugzeuge nahmen die letzten Gaddafi-Hochburgen unter Feuer. In der Gegend um Bani Walid, wo die Aufständischen Gaddafi vermuten, verstärkte das Militärbündnis seine Luftangriffe. Die Militärallianz bombardierte in der Gegend der südöstlich von Tripolis gelegenen Stadt am Dienstag sechs Ziele, wie die Nato in Brüssel mitteilte. Getroffen wurden demnach unter anderem drei Boden-Boden-Raketenwerfer sowie Militäranlagen etwa zur Unterbringung von Munition, Raketenwerfern und Panzern. Am Tag zuvor hatte die NATO in der Region drei Ziele beschossen.

Auch in der Region von Gaddafis Heimatstadt Sirte flog die Militärallianz demnach neue Angriffe. Dort wurden 19 Ziele beschossen, darunter drei Panzer, zwölf mit Waffen ausgestattete Fahrzeuge, eine Radaranlage sowie militärische Posten. Sirte gilt als weiterer möglicher Aufenthaltsort Gaddafis.

Rebellen gegen Sationierung von UN-Truppen

Sollten die Kämpfe vorbei sein, wollen die Aufständischen die Lage in Libyen allerdings allein in den Griff bekommen. Daran hatte Dschalil keinen Zweifel gelassen. Auch nach Angaben der Vereinten Nationen lehnt der libysche Übergangsrat die Entsendung internationaler Beobachter oder Soldaten ab. Es sei sehr eindeutig, dass die Libyer keine Stationierung von UN- oder anderer Soldaten wollen, sagte der Sonderbeauftragte der UN, Ian Martin, nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York.

Nichtsdestotrotz forderte Frankreich die Europäische Union und insbesondere Deutschland auf, Beobachter als Hilfe für den Übergangsrat ins Land zu schicken. "Es braucht eine Wiederaufbautruppe, aber keine Interventionstruppe", sagte Außenminister Alain Juppé der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Frankreich hatte sich massiv am Militäreinsatz beteiligt, während sich Deutschland in der Abstimmung zum Einsatz enthalten hatte. "Wir haben unsere Rolle gespielt, jetzt sollen andere übernehmen", forderte Juppé.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verlangte von der internationalen Gemeinschaft "schnelles und entschiedenes Handeln". "Mein Ziel ist es, sobald wie möglich UN-Mitarbeiter unter einem robusten Mandat vor Ort zu haben", sagte er in New York. Die humanitäre Situation erfordere dringendes Eingreifen. "Das Leiden der Bevölkerung muss ein Ende haben", betonte er. Besonders wichtig sei die Wasserversorgung, da geschätzte 60 Prozent der Bevölkerung ohne sanitäre Versorgung sei.

Er begrüßte die Entscheidung des Sicherheitsrates, 1,5 Milliarden Dollar aus eingefrorenen Geldern Gaddafis für humanitäre Hilfe freizugegeben. Es seien bereits Fortschritte sichtbar: Krankenhäuser öffneten wieder, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen schicke 45 Tonnen Medikamente und zudem Blutspenden, so Ban.

Die Nato richtet sich darauf ein, auch nach dem Ende ihres Militäreinsatzes mit Schiffen und Flugzeugen vor und über Libyen präsent zu bleiben. Dies vereinbarten die Vertreter der 28 Nato-Staaten im Nato-Rat in Brüssel. Eine Entsendung von Bodentruppen komme nicht in Frage. Aufklärungsflugzeuge im Himmel über Libyen und Schiffe vor der Küste seien aber für einen begrenzten Zeitraum möglich, sofern dies von der künftigen libyschen Regierung gewünscht werde, hieß es in der Nato-Zentrale.

Denkbar sei eine fortgesetzte Kontrolle des Schiffsverkehrs vor der Küste Libyens, um Waffenschmuggel zu verhindern. Möglich sei auch eine weitere Überwachung des Luftraums. Sofern die Vereinten Nationen Beobachter nach Libyen schickten, sei die Nato auf Wunsch auch zur Hilfe für den Fall bereit, dass diese Beobachter in Gefahr gerieten und in Sicherheit gebracht werden müssten. Die Entscheidung über all diese Optionen liege jedoch bei der libyschen Regierung beziehungsweise den Vereinten Nationen.

Deutsche Sturmgewehre in Libyen?

Im Kampf gegen Gaddafi sind nach Angaben eines Rebellenkommandeurs in den vergangenen sechs Monaten mindestens 50.000 Menschen getötet worden. Diese Zahl setzte sich aus eigenen Zählungen in den Kampfgebieten sowie Angaben von Organisationen wie dem Roten Kreuz zusammen, sagte Hischam Abu Hadscher dem US-Sender CNN. Sie beinhalte getötete Kämpfer wie auch zivile Opfer.

Krieg in Libyen: Die Rebellen zeigen den Vereinten Nationen die kalte Schulter: Sie ließen verlautbaren, dass sie nach dem Ende des blutigen Krieges keine UN-Soldaten im Land haben wollen.

Die Rebellen zeigen den Vereinten Nationen die kalte Schulter: Sie ließen verlautbaren, dass sie nach dem Ende des blutigen Krieges keine UN-Soldaten im Land haben wollen.

(Foto: AP)

Die Truppen Gaddafis sollen auch mit G36-Sturmgewehren aus Deutschland gekämpft haben. Die Waffen seien bei Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar hergestellt worden, berichten die Stuttgarter Nachrichten und das ARD-Magazin Kontraste (Sendetermin 1. September, 21:45 Uhr). Dies belegten der Herstellerstempel und die sogenannte Beschussmarke. Die Sturmgewehre fielen den Rebellen beim Sturm auf die Residenz Gaddafis in Tripolis in großer Anzahl in die Hände. Dies hätten Augenzeugen berichtet.

Unklar sei bislang die Anzahl der Waffen und von wem sie nach Libyen geliefert wurden. Die Geschäftsführung des G36-Herstellers schließt aus, dass die Waffen von Heckler & Koch nach Libyen geliefert wurden. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte, es habe keine Genehmigung erteilt, G36 nach Libyen zu liefern.

Unterdessen ist Gaddafis Sohn Al-Saadi nach Berichten des arabischen Senders al-Dschasira angeblich bereit, sich den Rebellen zu ergeben. Dies habe der für Tripolis zuständige Rebellenkommandeur Abdelhakim Belhadsch gesagt, meldete der Sender. Demzufolge habe Al-Saadi Gaddafi in einem Telefonat mit Belhadsch über die Möglichkeit, sich zu ergeben, gesprochen. Der Gaddafi-Sohn wolle Libyen nicht verlassen und suche Kontakt zum Übergangsrat, um zu verhandeln, habe Belhadsch erklärt. Anhand des Telefonanrufs glaube er auch zu wissen, wo Al-Saadi sich aufhalte.

Italienische Medien hatten am Montag berichtet, dass sich der Gaddafi-Sohn zusammen mit seinem Vater nach wie vor in Libyen aufhalte. Es sei "zu 80 Prozent sicher, dass Gaddafi immer noch in Libyen ist", sagte der Militärbeauftragte im Nationalen Übergangsrat, Omar Hariri, am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP in Tripolis. Laut Hariri vermuten die Rebellen den untergetauchten Gaddafi in Bani Walid südöstlich von Tripolis, oder in den Vororten der libyschen Hauptstadt.

Algerien spricht von "humanitären Gründe"

Dagegen hatten sich Gaddafis Frau Safia, die Söhne Hannibal und Mohammed sowie die Tochter Aischa nach Algerien abgesetzt. Die Aufnahme der Gaddafi-Familie durch das Nachbarland wurde von den libyschen Rebellen heftig kritisiert. Algerien rechtfertigte diesen Schritt in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat.

Demnach hatte das Land der Ehefrau Gaddafis sowie weiteren Familienangehörigen die Einreise aus "humanitären Gründen" erlaubt. In dem Schreiben des algerischen UN-Botschafters Murad Benmehidian heißt es, dass am Montagmorgen um 8:45 Uhr (Ortszeit) ein Bus und ein Mercedes von Libyen kommend auf algerischem Boden eingetroffen seien.

In den Fahrzeugen hätten sich Safia Gaddafi, ihre Tochter Aisha, die Söhne Hannibal und Mohammed sowie ihre Kinder befunden. Noch am selben Tag sei an der Grenze ein Kind ohne ärztliche Betreuung geboren worden, berichtet Benmehidi weiter. Das algerische Gesundheitsministerium hatte zuvor mitgeteilt, dass Aischa Gaddafi am Dienstag ein Mädchen geboren habe. Es ist bislang unklar, welcher Tag richtig ist.

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