Krieg in Libyen:Gaddafi ruft Anhänger zum Marsch auf Tripolis auf

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In Libyen wird weiter gekämpft. Doch wo steckt Gaddafi? Der Nachrichtensender al-Dschasira berichtete von Gerüchten, der untergetauchte Dikator sei in Tripolis aufgespürt worden. Ein Rebellenkommandeur behauptete gar, ihn eingekreist zu haben. Doch dann meldet sich Gaddafi per Audiobotschaft zu Wort - und ruft die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Rebellen auf.

Zwei Tage ist es her, dass die Rebellen Gaddafis Residenz in Tripolis erstürmten - jetzt haben die Aufständischen nach eigenen Angaben auch den Stadtteil Abu Salim eingenommen, der als eine der letzten Hochburgen Gaddafis galt. Der libysche Noch-Machthaber ist allerdings nach wie vor verschwunden. In der Nähe der Residenz wird zur Stunde heftig gekämpft. Das berichtete ein dpa-Mitarbeiter in der libyschen Hauptstadt. Unklar ist allerdings, ob sich Muammar al-Gaddafi und möglicherweise seine Familie dort aufhalten. Nach einem Bericht des Nachrichtensenders al-Dschasira gibt es in der Stadt Gerüchte, Gaddafi sei von den Rebellen aufgespürt worden.

Dieses Bild war zu sehen, als die neue Audiobotschaft Gaddafis ausgestrahlt wurde. Er forderte darin die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Rebellen auf. (Foto: REUTERS)

Ein örtlicher Rebellenkommandeur behauptete im US-Nachrichtensender CNN sogar, Gaddafi sei in einem Wohnkomplex nahe seines Militärhauptquartiers aufgespürt worden. Andere Rebellenführer hatten vermutet, dass sich der Diktator außerhalb der Hauptstadt Tripolis aufhalte.

Doch am Abend meldet Gaddafi sich in einer Audio-Botschaft erneut zu Wort: Darin ruft er die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Rebellen auf. Seine Anhänger sollten sich zum Marsch auf die Hauptstadt Tripolis sammeln. Auch Frauen und Kinder sollten am Kampf teilnehmen, sagte Gaddafi nach Angaben von al-Dschasira in der kurzen Audiobotschaft.

Diese wurde von einem regimetreuen Sender ausgestrahlt. In der Botschaft habe Gaddafi seine Anhänger aufgerufen, all jene aus der Hauptstadt zu vertreiben, die Schande gebracht hätten. Die Imame in den Moscheen sollten die Jugend zum Heiligen Krieg gegen die Rebellen aufrufen. "Vernichtet sie (die Rebellen) schnell. Ihr seid die große Mehrheit", rief er. "Erlaubt den Ratten nicht, Tripolis an die Kolonialmächte zu übergeben."

Kurz zuvor war die Hälfte der Minister des libyschen Übergangsrates in einem Triumphzug in Tripolis eingefahren. Entlang der Straße im Westen der Stadt sei den politischen Führern des Aufstandes zugejubelt worden, berichtete eine dpa-Korrespondentin, die die Fahrt begleitete. Der Verantwortliche des Übergangsrates für das Ölgeschäft, Ali al-Tarhuni, sagte: "Endlich sind wir da." Eine zunächst geplante Pressekonferenz wurde verschoben, weil sie aus symbolischen Gründen im Stadtzentrum stattfinden solle.

Bei der Jagd nach Gaddafi hilft auch die Nato den libyschen Rebellen. Dazu stellt sie dem Übergangsrat Geheimdienstinformationen und Mittel zur Aufklärung und Erkundung zur Verfügung, sagte der britische Verteidigungsminister Liam Fox in London. Einen Bericht der Zeitung Daily Telegraph, demzufolge eine Spezialeinheit der britischen Armee nach Gaddafi und dessen Söhnen sucht, wollte Fox nicht kommentieren. Das Blatt berichtete am Donnerstag, Soldaten der Einheit seien auf Befehl des britischen Premierministers David Cameron als Einheimische verkleidet in Libyen auf der Suche nach Gaddafi.

Fox kündigte außerdem an, man werde sich weiter für eine schnelle Freigabe der eingefrorenen libyschen Guthaben einsetzen. In den USA ist nach Angaben eines Gewährsmanns mittlerweile ein Abkommen erzielt worden, das die Freigabe von 1,5 Milliarden Dollar ermöglicht. Aus Diplomatenkreisen in New York verlautete, dass der UN-Sicherheitsrat die Freigabe zur Soforthilfe für den Wiederaufbau Libyens gebilligt habe. Das Geld war zuvor bei Banken in den USA eingeforern gewesen. Die Entscheidung wurde möglich, weil Südafrika in Verhandlungen mit den USA seinen Widerstand aufgegeben hatte. Ein formelles Votum des Sicherheitsrates ist damit nicht mehr nötig. Südafrika hatte sich zwei Wochen verweigert, weil es fürchtete, die Freigabe könne von den Vereinten Nationen als automatische Anerkennung des Nationalen Übergangsrates der libyschen Rebellen gewertet werden.

Unterdessen sagte der Koordinator des libyschen Übergangsrates in Großbritannien, Guma el-Gamaty, die Gewalt in Tripolis lasse deutlich nach. "Wir sind optimistisch, dass in ein paar Tagen alles unter Kontrolle sein wird", sagte er der BBC. Die BBC berichtet dagegen auch von mutmaßlichen Gräueltaten, die von beiden Seiten begangen werden. Ein Reporter sagte, dass die Leichen von 17 Rebellen in ein Krankenhaus im Bezirk Mitiga gebracht worden seien. Ein Arzt habe gesagt, die Männer seien in einer Schule, die von den Gaddafi-Truppen als Gefängnis genutzt worden sei, gefoltert und dann getötet worden. Man untersuche die Leichen nach Beweisen, die vor einem möglichen Kriegsverbrechertribunal eine Rolle spielen könnten. Ein anderer BBC-Mitarbeiter fand im Zentrum von Tripolis die Leichen von zwei Gaddafi-Kämpfern, deren Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Ein Sprecher des Roten Kreuzes sagte, man gehe davon aus, dass beide Seiten Hunderte von Gefangenen in ihrer Gewalt hätten.

Die politische Vertretung der Aufständischen, die ihren Sitz nach eigenen Angaben von Bengasi nach Tripolis verlegt hat, versprach auf einer Pressekonferenz allen Soldaten und Freiwilligen, die bis jetzt für Gaddafi kämpfen, Straffreiheit: "Wir rufen euch heute zum letzten Mal auf, eure Waffen niederzulegen, und wir versprechen euch, dass wir keine Rache üben werden. Zwischen uns und euch steht das Gesetz", sagte der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees der Rebellen, Ali al-Tarhuni.

Aufstand in Libyen
:Rebellen zerstören Symbole der Herrschaft

Sie treten goldene Statuen des Diktators durch den Dreck, reißen Denkmäler ein: Die libyschen Rebellen haben die Residenz Muammar al-Gaddafis in Tripolis gestürmt - und dort schon ihre Flagge gehisst.

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Kämpfer der Aufständischen durchkämmten am Donnerstag die ausgedehnten Bunkeranlagen unter der riesigen Militäranlage Bab al-Asisija, wie al-Dschasira berichtete. Darüber, wo sich Gaddafi aufhalten könnte, gibt es bisher allerdings nur Spekulationen. In zwei Audio-Botschaften hatte der bisherige Machthaber zuletzt erklärt, er wolle notfalls den "Märtyrertod" sterben.

Libysche Rebellen durchkämmen Tripolis auf der Suche nach Gaddafi. (Foto: REUTERS)

Unterstützung bekommen die Rebellen aus Europa: Italien will einen Teil der eingefrorenen Gaddafi-Gelder freigeben. Das kündigte Regierungschef Silvio Berlusconi bei einem Treffen mit dem Chef der libyschen Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, an. Nach einem Gespräch am Donnerstag in Mailand sagte Berlusconi, seine Regierung werde eine erste Tranche von 350 Millionen Euro an das "neue Libyen" freigeben. Außerdem werde der italienische Energiekonzern Eni am Montag in Bengasi eine Vereinbarung unterschreiben, um die Bevölkerung mit dem notwendigen Gas und Benzin zu versorgen.

Der untergetauchte Diktator hat hingegen keine finanzielle Unterstützung nötig: Nach Angaben seines früheren Zentralbankchefs verfügt Gaddafi über Goldreserven in Milliardenhöhe. Einen Teil des Goldes im Wert von insgesamt zehn Milliarden Dollar (knapp sieben Milliarden Euro; circa 180 Tonnen) könnte er mit auf die Flucht genommen haben, auch um einige libysche Stämme und Milizen zu bestechen und für seinen Schutz zu gewinnen, sagte Farhat Bengdara der Mailänder Zeitung Corriere della Sera.

Der Zentralbankchef war zu Beginn des Bürgerkrieges ins Ausland geflohen. "Es gibt zwei Möglichkeiten: Er könnte entweder nach Sebha südlich von Tripolis geflohen sein, wo er eine logistische Basis hat, oder er ist auf dem Weg zur algerischen Grenze", meinte der frühere Gouverneur der libyschen Zentralbank in dem Interview.

Auch in anderen Teilen des Landes kämpfen noch Gaddafi-Treue mit den Aufständischen. In der Umgebung von Gaddafis Heimatstadt Sirte bereiten sich laut al-Dschasira Rebellenkämpfer auf ein mögliches Scheitern der Verhandlungen über eine friedliche Übergabe der Stadt vor. Dort dauerten Gespräche von Vertretern des Übergangsrates mit Gaddafi-nahen Stammesführern an, hieß es.

Vier am Mittwoch in Libyen entführte italienische Journalisten sind nach Berichten führender Medien wieder frei. Die beiden Reporter der Mailänder Zeitung Corriere della Sera sowie deren Kollegen von La Stampa und Avvenire seien bereits in einem Hotel in Tripolis, berichtete der italienische TV-Sender SkyTg24. Es gehe ihnen allen gut, berichtete die Corriere-Journalistin Elisabetta Rosaspina ihrer Zeitung.

Trotz des allmählich zu Ende gehenden Konflikts in Libyen fliehen die Bewohner weiter über die Grenze nach Tunesien. Die tunesischen Streitkräfte haben nach Angaben der staatlichen tunesischen Nachrichtenagentur TAP mittlerweile eine Infrastruktur zur Versorgung aufgebaut. Auch in zivilen Krankenhäusern werden Verwundete versorgt. Aus dem Grenzgebiet wurden ebenfalls wieder heftige Gefechte gemeldet.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/dapd/segi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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