Krieg in Libyen:Nato bombardiert Anti-Gaddafi-Milizen

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Der Kampf um die libysche Ölstadt Brega wird immer chaotischer: Nun soll die Nato irrtümlich auch Rebellen getötet haben. Die Gaddafi-Regierung lehnte derweil das Angebot einer Waffenruhe als "verrückt" ab.

Nato-Flugzeuge haben bei Angriffen in Libyen in der Nacht zum Samstag irrtümlich erstmals auch Milizen der Regimegegner angegriffen. 13 Aufständische seien bei dem Bombardement zwischen Adschdabija und Brega getötet worden, berichtete ein Korrespondent der Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf Krankenhausärzte und Rebellen.

Ausgebrannte Autos in Brega: Rebellen machen die Nato für den Angriff verantwortlich. (Foto: REUTERS)

Einer der Ärzte habe zudem elf Verletzte des Angriffs behandelt, wie er sagte. Mindestens vier Fahrzeuge wurden von den Raketen getroffen, darunter auch ein Rettungswagen, berichtet Reuters. Der Angriff auf den Fahrzeug-Konvoi der Rebellen in der Nacht zuvor wurde dadurch ausgelöst, dass unerfahrene Freiwilligen-Milizionäre aus Freude über das hörbare Nahen von Nato-Flugzeugen mit Flugabwehrkanonen in den Himmel geschossen hatten, erzählten Rebellen dem dpa-Korrespondenten. Die Piloten des Nato-Geschwaders hatten keine Möglichkeit, dieses "Freudenfeuer" als "nicht feindlich" einzustufen.

Andere Aufständische machten Handlanger Gaddafis dafür verantwortlich, dass die Rebellen-Gruppe das Feuer der Allianz auf sich zog. "Einige von den Leuten Gaddafis haben sich unter die Aufständischen geschmuggelt und mit Luftabwehr-Waffen in die Luft geschossen", sagte ein Aufständischer. "Dann kamen die Nato-Kräfte und haben sie angegriffen." Großbritannien und Frankreich machten zunächst keine Angaben zu dem Vorfall. Die Nato werde die Berichte überprüfen, sagte eine Sprecherin. "Wir sind über Berichte über zivile Verluste immer sehr betroffen."

Eine Transportmaschine der Nato brachte am Samstag mehrere verletzte Libyer aus Brega auf die Mittelmeerinsel Kreta. Ein Mann sei während des Fluges gestorben, fünf schwebten in Lebensgefahr, weitere sechs seien schwer verletzt, verlautete aus Kreisen des Verteidigungsministeriums in Athen.

In Rom demonstrierten unterdessen mehrere tausend Menschen gegen den internationalen Militäreinsatz in Libyen. Auf einem Transparent war zu lesen "Humanitäre Kriege gibt es nicht". Viele Teilnehmer der Kundgebung auf der Piazza Navona schwenkten Regenbogenfahnen.

Die Aufständischen sprachen sich dagegen für die Fortsetzung der Angriffe aus. Nach heftigen Kämpfen eroberten sie am Samstag nach eigenen Angaben den Großteil von Brega, 80 Kilometer westlich von Adschdabija, zurück. Gaddafi-treue Truppen hätten sich auf dem Gelände der Universität verschanzt, sagten Rebellen in Adschdabija. Brega war in den vergangenen Tagen stark umkämpft gewesen, die Vormacht in der Stadt hatte in den vergangenen Tagen mehrmals gewechselt.

Es würden nur noch "erfahrene Kämpfer" an die Front gelassen, berichtete ein Reporter des Fernsehsenders Al-Dschasira aus Bengasi. Man versuche das Chaos in den Griff zu bekommen. Die Verluste der letzten Tage waren auch auf den niedrigen Organisationsgrad und die militärische Unerfahrenheit der Freiwilligen zurückzuführen.

Umkämpft blieb am Samstag die Großstadt Misurata, 210 Kilometer östlich von Tripolis. Die Regimegegner sind dort schon mehrere Wochen von Gaddafi-Truppen eingeschlossen. Am Samstag töteten libysche Regierungstruppen dort nach Angaben von Medizinern mindestens sechs Zivilisten. Scharfschützen machen demnach dort Jagd auf die Zivilbevölkerung. Die Versorgungslage wird von den Bewohnern als dramatisch beschrieben. Ähnlich belagert von Gaddafi-Truppen wird Al-Sintan, 120 Kilometer südwestlich von Tripolis.

"Wir sind die Regierung, nicht sie"

Die Regierung hat derweil das Angebot der Aufständischen für eine Waffenruhe abgelehnt. Die Rebellen würden keinen Frieden anbieten, sondern "unmögliche Forderungen" stellen, sagte Mussa Ibrahim, ein Sprecher der Regierung am Freitag. Die Vorschläge der Aufständischen seien nur ein "Trick".

Die Rebellen verlangten, dass sich die Soldaten Gaddafis aus den eigenen Städten zurückzögen. "Wenn das nicht verrückt ist, dann weiß ich nicht, was es ist. Wir werden unsere Städte nicht verlassen", sagte Ibrahim im Fernsehen. "Wir sind die Regierung, nicht sie." Seine Regierung sei aber zu Frieden und Dialog bereit.

Zuvor hatten sich die Rebellen unter Bedingungen zu einem Waffenstillstand bereit erklärt. Der Vorsitzende des libyschen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, sagte, Gaddafis Truppen müssten die Angriffe gegen die von den Rebellen gehaltenen Städte beenden und sich von den von ihnen belagerten Städten zurückziehen. Außerdem sollten Gaddafi und seine Familie das Land verlassen. Von der internationalen Staatengemeinschaft verlangte Dschalil zudem Waffen für den Aufstand.

Die Gaddafi-Truppen hatten in den vergangenen Tagen einige Erfolge verbucht und die Aufständischen zurückgedrängt. So nahmen Regierungstruppen verschiedene zuvor von den Rebellen kontrollierte Orte ein, darunter die wichtige Ölstadt Ras Lanuf. US-Oberbefehlshaber Mike Mullen hatte die Erfolge der Gaddafi-Getreuen am Donnerstag unter anderem damit erklärt, dass schlechtes Wetter die internationalen Luftangriffe diese Woche behindert habe.

Derweil kündigte die Ukraine die Entsendung eines Schiffes für die Evakuierung von bis zu 600 Ukrainern, US-Bürgern, Briten und anderen Ausländern aus Libyen an. Die Europäische Union beschloss am Freitag vorsorglich einen Militäreinsatz zur Unterstützung humanitärer Hilfe in Libyen. Wie der EU-Ministerrat am Freitag in Brüssel mitteilte, müsse aber für den Einsatz mit dem Code-Namen "Eufor Libya" eine Anfrage der Vereinten Nationen (UN) vorliegen. Dies sei bisher nicht der Fall.

"Wir werden unsere Städte nicht verlassen": Gaddafi-Sprecher Mussa Ibrahim weist das Waffenstillstands-Angebot der Rebellen zurück. (Foto: REUTERS)

Der Zeitung Die Welt sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton: "Wir haben großzügige humanitäre Hilfe angeboten und wir sind bereit, unsere Anstrengungen weiter zu verstärken." Auch die Kontakte zu einzelnen Gruppen in Libyen müssten ausgebaut werden. "Wir müssen den Dialog weiter fördern und alles tun, was wir können, um dem neuen Libyen zu helfen, Demokratie und Wohlstand aufzubauen." Über ihre Zukunft könnten aber nur die Libyer selbst entscheiden, betonte die europäische Chefdiplomatin.

Nach der Flucht des früheren libyschen Außenministers Mussa Kussa nach London forderte Ashton weitere Getreue Gaddafis indirekt auf, sich von dem totalitären Regime abzuwenden. "Gaddafi und sein Regime haben jegliche Legitimität verloren. Diejenigen, die dem Regime Gaddafis nahestehen, haben jetzt eine klare Wahl: Sie können einen Führer unterstützen, der Gewalt gegen sein eigenes Volk wendet, oder aber helfen, eine Demokratie aufzubauen und einen sozialen und wirtschaftlichen Aufbruch Libyens mitzugestalten."

Die Aufständischen in Libyen sicherten derweil zu, Misshandlung gefangener Kämpfer Gaddafis künftig verhindern zu wollen. "Wir befolgen die internationalen Regeln", sagte der Gefängnispsychologe Mohammed Farasch am Donnerstag in Bengasi im Gefängnis Al-Fawihat, in dem das Büro für Nationale Sicherheit Kämpfer des Regimes festhält. Farasch sagte, er arbeite bei der Behandlung Gefangener mit dem Internationalen Roten Kreuz zusammen.

Die Gefängnisverwaltung führte Journalisten mehrere Gefangene vor, bei denen es sich um gefangene Soldaten und afrikanische Söldner handeln soll. Die Gefangenen sagten, ihnen seien Staatsbürgerschaften oder Geld versprochen worden, wenn sie für Gaddafi kämpften. Ein Mann sagte, er sei bereits als Kind mit seiner Familie aus dem Tschad nach Libyen gekommen und habe den Verlust seiner libyschen Staatsbürgerschaft gefürchtet. Bei seiner Festnahme sei er misshandelt worden, sagte der Mann, der Verletzungen am Hals hatte.

Zur Gesamtzahl der Gefangenen wurden keine Angaben gemacht. Die Männer sollten nach einer Friedenslösung vor Gerichte gestellt werden, wurde erklärt. Sie wirkten sehr nervös und angespannt. Sie konnten nur in Anwesenheit ihrer Wächter befragt werden.

© (AFP/DAPD/dpa/Reuters/gal) - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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