Krieg in Libyen:Islamisten im Windschatten der Aufstände

Islamisten nutzen den arabischen Frühling für sich. Die Frage nach Waffenlieferungen an die libyschen Aufständischen ist deshalb von besonderer Brisanz: Wer weiß, wo die Waffen landen?

Sonja Zekri

Für Muammar al-Gaddafi ist al-Qaida inzwischen fast ein Trumpf. Sollten westliche Truppen Libyen angreifen, drohte der Revolutionsführer Mitte März, werde er aus dem Bündnis gegen den Terror aussteigen, sich mit Osama bin Laden verbünden und dem Westen einen "Heiligen Krieg" erklären. Trotzdem wurden Gaddafis Truppen von der Nato bombardiert, und erneut brachte Gaddafi al-Qaida ins Spiel. In einem Brief an seinen "Sohn", US-Präsident Barack Obama, bat er um Beistand: Der Aufstand gegen den "Bruder Führer" sei von bin Laden inszeniert.

Krieg in Libyen: Mit dem Koran und schweren Waffen ziehen libysche Rebellen in den Krieg. Die meisten wollen allerdings keinen Gottesstaat auf libyschem Boden.

Mit dem Koran und schweren Waffen ziehen libysche Rebellen in den Krieg. Die meisten wollen allerdings keinen Gottesstaat auf libyschem Boden.

(Foto: AFP)

Gaddafi wäre also ein Terroropfer. Richtig daran ist immerhin, dass Gaddafi einer der härtesten Gegner al-Qaidas in Nordafrika war, und dass einstige, möglicherweise auch aktuelle Anhänger bin Ladens tatsächlich unter den Rebellen kämpfen. Sie wollen erreichen, was al-Qaida nicht gelang: das Ende Gaddafis. Jener "Bruder Führer", der 1970 sogar einen Dschihad-Fonds für den Kampf gegen den Zionismus einrichtete und ganz Afrika durch die Unterstützung der islamischen Bewegungen zur Freiheit verhelfen wollte, jener Gaddafi, der terroristische Gruppen auf der ganzen Welt förderte, stand auf der Abschussliste al-Qaidas ganz oben.

Eine Al-Qaida-Untergruppe, die Libysch-Islamische Kampfgruppe LIFG, plante mehrere Attentate, unter anderem Mitte der neunziger Jahre in der Wüstenstadt Brak. Dort warf ein Terrorist eine Granate, die allerdings nicht explodierte. Die LIFG attackierte Gaddafis Polizisten und Soldaten, sie lieferte sich mit seinen Truppen regelrechte Gefechte.

Einer jener libyschen Al-Qaida-Kämpfer, die vor ein paar Wochen zu den Rebellen im Osten des Landes wechselten, war nach Medienberichten Abdel-Moneim Mochtar aus Sabrata. Mit 20 zog er nach Afghanistan, als einer von mindestens 500 Libyern, die gegen die Sowjets antraten. Zu al-Qaida stieß er als Kommandeur der Libysch-Islamischen Kampfgruppe, die versuchte, den Gaddafi-Staat zu stürzen - und sich vor vier Jahren dem Terrornetzwerk anschloss.

"Am schlimmsten war der Kampf gegen Gaddafi in den Neunzigern", sagte Mochtar der Agentur AP: "Wenn er jemanden von uns gefangen nahm, folterte er nicht nur ihn, sondern auch die Familie." Für die schlecht ausgebildeten Aufständischen im Osten Libyens ist derzeit jeder militärisch erfahrene Kämpfer wie Mochtar ein Gewinn. Rebellensprecher legen Wert darauf, dass es so gut wie keine Extremisten in ihren Reihen gibt, und sollten sie tatsächlich ihre Erfahrungen weitergeben, dann nur im Dienst der gerechten Sache - für Freiheit, Demokratie, Menschenwürde. Auch Mochtar sagte, er kämpfe nicht mehr für al-Qaida, sondern für die Freiheit. Vor wenigen Tagen starb er im Gefecht.

"Globaler Dschihad"

Unter den Al-Qaida-Kämpfern, vor allem unter den Selbstmordattentätern, die im Irak gegen die amerikanischen Truppen kämpften, waren die Libyer überproportional vertreten. Abu-Faradsch al-Liby, bis zu seiner Festnahme die Nummer drei bei al-Qaida, trug seine Herkunft sogar im Namen. Viele sind schon vor Jahren zurückgekehrt, aus Afghanistan oder Irak, und sie bildeten nach Angaben der Jamestown Foundation eine "zweite Welle" des militanten Islamismus in Nordafrika.

Nachdem Umsturzversuche in Ägypten, Algerien oder Libyen in den Neunzigern niedergeschlagen wurden, orientierten sie sich an der Seite al-Qaidas weniger an den Ideen einer nationalen Befreiung als der eines "globalen Dschihad". Damals wie heute ist dies kaum realistisch: Auch der Libyen-Konflikt wird al-Qaida dem Ziel eines globalen Gottesstaates nicht näher bringen. Aber die Terrorzellen können schwache Staaten weiter schwächen, wie sie das im Irak taten, und sie können Regionen destabilisieren.

US-Admiral James Stavrides sprach unlängst von einem "Flickern" al-Qaidas im Osten Libyens. Aber dass die Europäische Union zwar inzwischen die militärische Begleitung von Hilfslieferungen anbietet und Großbritannien Offiziere nach Bengasi schicken will, sich jedoch nur wenige für eine stärkere Bewaffnung der Aufständischen stark machen, zeigt die Vorbehalte. Wer weiß, wo die Waffen landen? Idriss Deby, Präsident des Tschad, berichtete unlängst alarmiert, dass die einstige "Salafisten-Gruppe für Predigt und Kampf", die sich als al-Qaida im islamischen Maghreb (Aqim) vor vier Jahren bin Laden angeschlossen hat, schwere Waffen aus Libyen bekommen habe. Diese könnten sie demnächst zur "mächtigsten Armee der Region" machen.

Kurz darauf berichteten algerische Sicherheitskräfte, die Militanten hätten ganze Waffenladungen von Libyen nach Mali geschmuggelt, darunter Panzerabwehrraketen, russische RPG-7-Granatwerfer, vor allem aber russische Boden-Luft-Raketen vom Typ Strela. Die Aktivität von Aqim in Libyen sei "deutlich erhöht", warnte der stellvertretende algerische Vizeaußenminister Abdelkader Messahel. Schließlich hatte sich Aqim in einer Erklärung auf die Seite der Rebellen geschlagen.

Nach wochenlangem Schweigen versucht al-Qaida inzwischen, die Aufstandsbewegung zu vereinnahmen, obwohl diese nicht im Namen des Koran organisiert wurde und im Namen der Menschenrechte jene Regime gestürzt hat, gegen die lokale Dschihadisten kämpfen: Der Fall der Diktatoren sei der erste Schritt auf dem Weg zum globalen Gottesstaat. Nun müsse man sich gegen Gaddafi, die Nato, den Westen erheben.

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