Krieg in Libyen:Gaddafis Machtbasis bröckelt

Gaddafis Truppen rücken weiter gegen die Aufständischen vor. Doch die Machtbasis des libyschen Despoten schwindet: Immer mehr Getreue desertieren. Die UN verweisen derweil auf die "verzweifelte Lage" der Zivilisten zwischen den Fronten.

Die Truppen des libyschen Regimes haben nach US-Einschätzung trotz des internationalen Militäreinsatzes weiterhin deutlich die Oberhand gegenüber den Rebellen.

Gaddafi hält Rede

Militärisch hat der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi noch die Oberhand - doch seine Machtbasis bröckelt.

(Foto: dpa)

Das Heer von Machthaber Muammar al-Gaddafi sei gemessen an der Truppenstärke und Ausrüstung ungefähr zehn Mal so schlagkräftig wie die Aufständischen, sagte US-Generalstabschef Mike Mullen am Donnerstag vor dem Streitkräfte-Ausschuss des Abgeordnetenhauses. Zudem agiere der Diktator skrupellos, warnte Mullen. Gaddafi würde "so viele (Menschen) töten, wie er müsse, um die Rebellion niederzuschlagen".

Doch die Machtbasis Gaddafis bröckelt. Die Flucht des libyschen Außenministers Mussa Kussa nach London ist nach Einschätzung der USA ein klares Signal für den Zerfall des Regimes. "Wenn es jemals ein Zeichen dafür gegeben hat, dass die innere Kreis um Gaddafi zerbröselt, dann ist das die Abtrünnigkeit von Mussa Kussa", sagte US-Regierungssprecher Jay Carney am Donnerstag in Washington. Ähnlich hatte zuvor Großbritannien den Fakt gewertet, dass Kussa übergelaufen ist. Zuvor hatten bereits der Innen- und der Justizminister dem Diktator die Gefolgschaft aufgekündigt.

Gaddafi soll denn auch allen Regierungsmitgliedern und hochrangigen Beamten verboten haben, das Land zu verlassen. Das berichtete die Zeitung Al-Sharq al-Awsat unter Berufung auf "offizielle Quellen in Tripolis". Nach Informationen der arabischen Tageszeitung wollen weitere ranghohe Funktionäre absetzen, darunter der Parlamentspräsident und Ministerpräsident Al-Baghdadi Al-Mahmudi.

UN besorgt über humanitäre Lage

Aus Tunis hieß es, eine größere Delegation libyscher Regierungsbeamter sei bereits vor zwei Wochen in Tunesien angekommen. Es sei jedoch nicht klar, wo sich diese aktuell aufhielten. Mitte dieser Woche hätten zudem mehrere libysche Fahrzeuge mit Diplomatenkennzeichen die Grenze überquert. Es sei aber unklar, wer in diesen Autos saß. Anwohner hätten nur die Chauffeure der libyschen Diplomaten sehen können.

Al-Dschasira berichtete am Donnerstag unter Berufung auf ungenannte Quellen, dass etwa der Chef des Auslandsgeheimdienstes und ein hochrangiger Diplomat Libyen verlassen hätten. Der Chef der nationalen Ölgesellschaft, Schokri Ghanem, der ebenfalls genannt wurde, dementierte jedoch, Libyen verlassen zu haben. "Das ist falsch", sagte er.

Ein hochrangiger libyscher Diplomat, der jetzt auf Seiten der Opposition steht, sagte laut Al-Dschasira, dass die meisten hochrangigen Beamten gern flüchten würden, aber streng bewacht würden und deshalb Schwierigkeiten hätten, das Land zu verlassen. Auch eine Gruppe von Beamten, die zu Gesprächen nach Tunesien gereist war, wolle nicht wieder nach Hause zurückkehren.

Vielleicht auch wegen der bröckelnden Machtbasis ist Gaddafi möglicherweise allen Drohgebärden zum Trotz zu Gesprächen bereit. Ein Gesandter des libyschen Machthabers war britischen Medienberichten zufolge in den vergangenen Tagen zu Gesprächen mit Vertretern der Regierung in London. Die BBC und andere Medien meldeten, bei dem Gesandten habe es sich Mohammed Ismail gehandelt, einen ranghohen Berater von Gaddafis Sohn Saif al Islam. Ismail sei nach den Gesprächen wieder nach Libyen zurückgekehrt.

Die Vereinten Nationen zeigten sich unterdessen besorgt über die humanitäre Lage in Libyen. UN-Flüchtlingskommissar António Guterres bezeichnete die Lage in dem nordafrikanischen Land am Donnerstag während eines Besuchs in der ägyptischen Hauptstadt Kairo als "dramatisch".

Etwa 400.000 Menschen seien vor den Kämpfen nach Tunesien oder Ägypten geflohen. Zudem gebe es viele Menschen, die in Libyen auf der Flucht seien. Die Binnen-Flüchtlinge seien zwischen den Linien der Regierungstruppen und der Rebellen in einer "verzweifelten Lage", sagte Guterres. Es sei "absolut notwendig", dass die humanitäre Hilfe diese Menschen unverzüglich erreiche.

Gescheiterter Vorstoß der Aufständischen

Die libyschen Aufständischen scheiterten am Donnerstag mit dem Versuch, die Küstenstadt Brega wieder einzunehmen, aus der sie am Vortag von den Regimetruppen vertrieben worden waren. Bei ihrem Vorstoß gerieten sie mit mehreren Dutzend Fahrzeugen in heftiges Artilleriefeuer der Gaddafi-Verbände und mussten sich zurückziehen, berichtete ein BBC-Reporter aus dem Kampfgebiet.

Libya unrest

Die einen beten, die anderen werfen Raketen: Libysche Aufständische beim Kampf bei Brega.

(Foto: dpa)

Die Milizen der Regimegegner stünden nun unverändert etwa zehn Kilometer westlich der Stadt Adschdabija, sagte der Reporter. Der Ort liegt etwa 200 Kilometer von der ostlibyschen Rebellenhochburg Bengasi entfernt. Wie schon in den letzten Tagen erwiesen sich die Trupps der Aufständischen den regimetreuen Verbänden an Bewaffnung und militärischem Organisationsgrad als unterlegen.

USA: Keine Waffenlieferungen an Aufständische

Die USA machen unterdessen ernst mit ihrem angekündigten Rückzug aus den Kampfeinsätzen in Libyen. Ab Sonntag fliegen US-Kampfjets keine Einsätze mehr gegen die Truppen Gaddafis, wie US-Generalstabschef Admiral Mike Mullen am Donnerstag vor dem Kongress in Washington ankündigte. Die USA wollten sich von Sonntag an auf eine rein unterstützende Rolle beschränken und nur auf Bitten der Nato-Führung wieder Angriffe in Libyen fliegen, erklärte Mullen. Diese Angriffe müssten ansonsten Frankreich, Großbritannien und andere Nato-Mitglieder übernehmen, erklärte Mullen.

Trotz der Unterlegenheit der Regimegegner wollen die USA die Aufständischen auch nicht mit Waffen unterstützen. Er sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen die Ausbildung und Bewaffnung der Rebellen, sagte Verteidigungsminister Rober Gates am Donnerstag vor dem US-Kongress. Bislang lägen noch zu wenig Informationen über die Aufständischen und ihre Ziele vor.

"Die nächste Frage wird sein, welche Unterstützung wir der Opposition abseits von Waffenlieferungen anbieten können", sagte Gates. Sollten sich andere Staaten für die Bewaffnung der Rebellen entscheiden, müssten sie diesen Schritt selbst gehen, sagte der US-Verteidigungsminister.

Der chinesische Außenminister Yang Jiechi äußerte sich besorgt über die internationalen Militäraktionen in Libyen. Die ursprüngliche Intention der Libyen-Resolution im Weltsicherheitsrat sei ein Ende der Gewalt und der Schutz von Zivilisten gewesen, sagte Yang in Peking. Jetzt höre man aber täglich Berichte über verletzte und getötete Zivilisten. Es sehe so aus, als führe der Militäreinsatz zur Eskalation. Der Außenminister appellierte an die beteiligten Länder, den Geist der Resolution zu respektieren und somit auch die Souveränität, Unabhängigkeit, Selbstständigkeit sowie die territoriale Einheit Libyens. Es müsse nun auf diplomatische und politische Art, eine Lösung gefunden werden.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach sich in China gegen Waffenlieferungen an die libyschen Rebellen aus. Er forderte Libyens Gaddafi auf, die Waffen schweigen zu lassen und einen friedlichen politischen Prozess zuzulassen.

Der libysche Machthaber holte am Donnerstagabend seinerseits zum verbalen Gegenschlag aus und forderte seinerseits den Rücktritt der Staatschef aller Länder, die sich an der militärischen Allianz zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung beteiligen. Gaddafi sagte der staatlichen Nachrichtenagentur Jana, die Luftangriffe in Libyen seien eine Neuauflage der Kreuzzüge, "ein Kampf zwischen Muslimen und Christen" auf beiden Seiten des Mittelmeeres. Dass sich inzwischen auch Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit der Allianz angeschlossen haben, verschwieg er.

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