Süddeutsche Zeitung

Krieg in Libyen:Gaddafi zieht in seine Entscheidungsschlacht

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Der Westen gegen Muammar al-Gaddafi: Die von Frankreich und den USA geführte Kriegsallianz überzieht die Truppen des Despoten mit einem massiven Bombardement. Doch er gibt nicht auf, stößt wüste Drohungen aus - das gesamte Mittelmeer solle Schauplatz der Kämpfe werden.

Alles über Tag 1 des Libyen-Kriegs

Es ist fast Geisterstunde in Tripolis, als sich der libysche Despot zu Wort meldet. In einer Tonbotschaft, kurz und knapp. Ohne Bilder, die Aufschluss darüber ermöglichen würden, wie es Muammar al-Gaddafi gehen mag, wo er sich aufhält und ob die Mitteilung, die kurz vor Mitternacht im Staatsfernsehen verbreitet wird, überhaupt aktuell ist oder aufgezeichnet.

Ihr Inhalt dagegen hat es in sich.

"Das Mittelmeer wird zum Schlachtfeld werden", droht der Diktator, der seit Wochen brutal den Aufstand der Opposition in seinem Land niederschlagen lässt. Er schwadroniert, die Angriffe der westlichen Koalition auf seine Armee seien "Auslöser eines zweiten Kreuzfahrerkrieges". Er droht mit Vergeltung: Es würden "zivile und militärische Ziele" im Mittelmeer angegriffen. "Die Interessen der Länder, die an der Aggression teilgenommen haben, sind in Gefahr." Und: Das libysche Volk ist bereit, die Kreuzritter zu bekämpfen. Wir werden die Waffenlager für alle Libyer öffnen." Dann ruft er die Länder Afrikas, Arabiens, Lateinamerikas und Asiens auf, ihm im Kampf beizustehen.

Ist diese Botschaft schon das letzte Aufbäumen eines sterbenden Regimes, das der westlich geführten Allianz nur leere Drohungen entgegenzusetzen hat? Oder ist Gaddafi ernster zu nehmen, als es viele in diesen Tagen vermuten: weil er nun in seine größte Schlacht ziehen und alles versuchen wird, um seinen Clan an der Macht zu halten?

Fest steht, dass er nicht das tun wird, wozu ihn der Westen noch Stunden zuvor aufgefordert hatte, nämlich die Waffen schweigen zu lassen, den Aufständischen im Land ihren Raum zu lassen, einer friedlichen Lösung eine letzte Chance zu geben.

Und so ist nun Krieg in Libyen.

Allen voran der Franzose Nicolas Sarkozy und US-Präsident Barack Obama führen eine Allianz aus westlichen Staaten, die Gaddafis Kampf gegen die eigene Bevölkerung stoppen wollen - an diesem Samstag haben sie beschlossen, Ernst zu machen und zuzuschlagen.

"Wir müssen der Geschichte helfen"

Auf einem Gipfeltreffen am Nachmittag im Pariser Elysée-Palast sprechen Sarkozy und Obamas Emissärin Hillary Clinton mit anderen Partnern, vor allem dem Briten David Cameron, auch Arabern und dem widerwilligen Deutschland. Als sich das Treffen dem Ende zuneigt, fliegen schon die ersten französischen Kampfjets über libyschen Boden, um die Rebellenhochburg Bengasi im Osten des Landes vor Gaddafis Militär zu schützen.

Die Spitzenpolitiker verkünden nicht ohne Pathos, worum es ihnen geht: libysche Geschichte mitzuschreiben. "Frankreich ist entschlossen, seine Rolle in der Geschichte auszufüllen", so drückt es Sarkozy aus. Herman Van Rompuy, der EU-Ratspräsident: "Wir können nicht mit verschränkten Armen danebenstehen und diesen Massakern zusehen. Wir müssen der Geschichte helfen." Obama meldet sich von seiner Brasilien-Reise: "Das libysche Volk muss beschützt werden." (alle Reaktionen...)

Ein letzter Appell an Gaddafi ergeht noch. Er könne "das Schlimmste verhindern", die "Tür der Diplomatie" werde sich "wieder öffnen, wenn die Angriffe enden", sagt Sarkozy. Doch in Italien und anderen europäischen Ländern, auch auf Schiffen im Mittelmeer läuft die Kampfmaschinerie in diesen Minuten schon an.

Wenige Stunden nach Ende des Pariser Gipfels kommt gegen 17.45 Uhr die erste offizielle Nachricht von Tod und Zerstörung aus Libyen. Ein libysches Kampfgefährt sei von französischen Flugzeugen angegriffen worden. Kurz darauf Konkreteres: Vermutlich vier Panzer aus Gaddafis Armee seien zerstört worden.

Am Abend gegen 20 Uhr schließlich: US-Kriegsschiffe und ein britisches U-Boot beschießen libysche Stellungen massiv mit Tomahawk-Marschflugkörpern. Abgefeuert werden die insgesamt 110 Raketen auf 20 Ziele im Land, nach US-Angaben vor allem Luftabwehrstellungen nah Tripolis und Misrata.

Am frühen Sonntagmorgen wird dann offenbar Tripolis aus der Luft angegriffen. Die Luftabwehr der Stadt war in Aktion, heftiges Feuer aus Flakgeschützen war zu hören. Der US-Fernsehsender CNN zeigte Aufnahmen von Leuchtspurgeschossen. Es habe Explosionen gegeben. Daraufhin haben die Flugabwehr zu schießen begonnen. Der Schusslärm habe etwa zehn Minuten gedauert, hieß es beim britischen Sender BBC. Offenbar hatte ein Flugzeug die Kaserne in Bab el Asisija im Süden von Tripolis überflogen, in der Machthaber Muammar al-Gaddafi seine Residenz hat.

Die Alliierten wollen sich schnellstmöglich die Lufthoheit in Gaddafis Reich sichern und sein Militär gleich zu Beginn so sehr einschüchtern, dass es von neuen Angriffen auf die Opposition ablässt.

Zivilisten wurden verletzt - angeblich

Über Schäden, Tote, Verletzte gibt es bis spät in die Nacht keine unabhängigen Informationen. US-Angaben zufolge wurden die libyschen Luftverteidigungssysteme schwer beschädigt. Den libyschen Staatsmedien zufolge dagegen wurden in vier Städten "zivile Ziele von den Angriffen der feindlichen Luftwaffe der Kreuzritter getroffen", auch ein Krankenhaus. 48 Menschen seien ums Leben gekommen, 150 Personen verletzt worden. Von "barbarischer Agression" spricht Mohammed al-Sawi, der Generalsekretär des libyschen Volkskongresses. Die offizielle Nachrichtenagentur Jana zitiert einen Sprecher der libyschen Streitkräfte, dem zufolge es bei den Angriffen Verletzte gab.

So wird es nun weitergehen, die Zeit der Propaganda ist angebrochen. Das libysche Staatsfernsehen meldet in der Nacht, ein französisches Kampfflugzeug sei nahe Tripolis abgeschossen worden. Die französische Armee dementiert umgehend.

Nur Tage, nicht Wochen soll dieser Krieg dauern

Gaddafis Gegner im Land feiern die Offensive der Alliierten - sie ist vermutlich ihre letzte Chance, den Despoten noch zu stürzen. Zu stark waren sie in den vergangenen Tagen, in denen sich die Welt mehr mit dem Desaster in Japan beschäftigte, in die Defensive geraten.

Gaddafi hat seit Wochen brachial sein Militär gegen die Aufständischen eingesetzt und erst dann ein weicheres Vorgehen angekündigt, als der UN-Sicherheitsrat ihm am Donnerstag ultimativ mit Krieg drohte. Den Alliierten zufolge ließ er der Ankündigung allerdings keine Taten folgen - weshalb ihnen zufolge nun Taten folgen mussten.

Die Attacken der Alliierten sollen nun ständig weitergehen. Die Kämpfe im Land selbst werden wohl vor allem von Franzosen und Briten geführt, von den USA nur unterstützt. Obama hat nach eigenen Worten den Einsatzbefehl für eine "begrenzte Militäroperation in Libyen" gegeben, und "diese Aktion hat jetzt begonnen", sagt er in der Nacht und schränkt deutlich ein: "Wir werden keine, ich wiederhole, keine US-Truppen am Boden einsetzen." Die New York Times schreibt, der Präsident wolle US-Soldaten nur "Tage, nicht Wochen" einsetzen.

Gesteuert wird der US-Einsatz in Stuttgart

Der US-Einsatz hat den Namen "Odyssey Dawn" ("Dämmerung einer Odyssee") und wird vom Afrika-Kommando der US-Armee befehligt, das in Stuttgart sitzt. Letzterer Umstand weist darauf hin, dass auch Deutschland eine Rolle in den Plänen der Allianz gegen Gaddafi hat.

Kanzlerin Angela Merkel hat an dem Gipfel in Paris teilgenommen und den Partnern erklärt, wieso sich Deutschland bei der UN-Resolution zusammen mit China und Russland enthalten hat. Dann hat sie versprochen, dass die Verbündeten für ihren Feldzug natürlich die US-Basen in Deutschland benutzen dürfen.

Außerdem wird die deutsche Regierungschefin im Bundestag durchsetzen wollen, dass die Bundeswehr mehr Awacs-Aufklärungsflüge in Afghanistan unternimmt. Das soll den anderen Ländern mehr Aufklärungskapazität über Libyen verschaffen. (mehr zu Deutschland...)

Hoffen auf die Übermacht des Westens

Die große Frage ist: Wie steht es um Gaddafis Militär überhaupt? Das Internationale Institut für Strategische Studien in London, das jährlich Streitkräftestärken der Welt ermittelt, schätzt das libysche Heer auf rund 5000 bis 8000 Soldaten, dazu kommen Tausende Milizionäre, Stammeskämpfer und Mitglieder der Revolutionsgarde. Gaddafis Streitkräfte verfügen den Experten zufolge über bis zu 40 einsatzfähige, aber veraltete Jets - darunter französische und russische -, Helikopter und mehr als 160 leichte Schützenpanzer, verschiedene Artilleriegeschütze, zwei Diesel-U-Boote, eine Fregatte und mehrere Patrouillenboote. Unklar ist aber, inwieweit sie einsatzfähig sind (mehr dazu...), genauso wie bei den Rebellen, die einiges Kriegsgerät erobert haben.

Klar ist, dass die westlich geführte Allianz besser ausgestattet ist. Allein Frankreich kann rund 100 Kampfflugzeuge einsetzen, und das Bündnis gegen Gaddafi ist sehr groß; es reicht von Katar bis Kanada (zur Übersicht...). Die Hoffnung des Westens ist, dass die Offensive rasch übermächtige Kraft entfalten wird und den Despoten binnen Tagen zur Aufgabe zwingt.

Wobei die Alliierten Letzteres nicht offiziell als Kriegsziel ausgeben.

Als Clinton in Paris gefragt wird, ob es den USA und ihren Partnern um Gaddafis Sturz geht - da antwortet sie, der Schutz der Bevölkerung sei das Ziel dieses Kriegs.

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