Süddeutsche Zeitung

Krieg in Libyen:Gaddafi setzt Streubomben gegen sein Volk ein

Die Rebellen hatten immer wieder vor einem Massaker in der heftig umkämpften Stadt Misrata gewarnt. Nun sollen Gaddafis Truppen weltweit geächtete Streumunition eingesetzt haben - auch in Wohngebieten. Das Regime dementierte umgehend. US-Außenministerin Clinton erklärte, "bei Oberst Gaddafi und seinen Leuten wundert mich nichts mehr".

Die Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi haben in der heftig umkämpften Stadt Misrata Streubomben eingesetzt. "In der vergangenen Nacht war das wie Regen", beschrieb ein Aufständischer die Explosionen über der Stadt. Die in den USA ansässige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bestätigte den Einsatz der Munition, während die libysche Führung diesen bestritt.

Mitarbeiter seiner Organisation hätten vor Ort mindestens drei Streubomben gefunden, erklärte ein Experte der Menschenrechtsvereinigung. Es sei "empörend", dass solche Bomben auch in Wohngebieten eingesetzt würden. Ein Reporterteam der US-Tageszeitung New York Times hatte zuerst über den Einsatz der international geächteten Munition berichtet. Die Journalisten machten auch Fotos von dem Bombenregen über Misrata.

Regime weist Berichte als "surreal" zurück

Streumunition sind Bomben oder Granaten, die sich über dem Gefechtsfeld öffnen und zahlreiche kleinere Sprengsätze niederregnen lassen. Die Bomben sollen demnach im Jahr 2007 in Spanien produziert worden sein, ein Jahr bevor Madrid die Streubomben-Konvention unterzeichnete. Die Konvention trat 2010 in Kraft.

"Wir tun das nie", wies Regierungssprecher Mussa Ibrahim in der Hauptstadt Tripolis die Vorwürfe zum Einsatz von Streubomben zurück. Die Berichte seien "surreal". Human Rights Watch und die Aufständischen müssten Beweise dafür vorlegen.

US-Außenministerin Hillary Clinton verurteilte in der New York Times den Einsatz der Streumunition. "Ein Grund, warum der Kampf in Misrata so schwierig ist, ist, dass es auf so engem Raum bebaut ist. Alles spielt sich in den Wohngebieten ab und das macht es für die Nato und für die Kämpfer gegen Gaddafi so kompliziert." Clinton erklärte, sie habe nicht gewusst, dass das Regime auch Streubomben einsetze - "aber bei Oberst Gaddafi und seinen Leuten wundert mich nichts mehr".

Erbitterter Kampf um Misrata

Nach Angaben von Ärzten in der Rebellenhochburg Bengasi, im Osten des Landes, wurden in Misrata am Freitag acht Aufständische getötet. Im Tagesverlauf wurden die Schusswechsel und Kämpfe in der Stadt zusehends heftiger und verlagerten sich in Richtung des Stadtzentrums, wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Den ganzen Tag über waren zudem aus verschiedenen Stadtteilen starke Explosionen zu hören.

Die Rebellen richteten rund um ein verlassenes Wohnviertel, in dem sie Anhänger Gaddafis vermuteten, Straßensperren ein. Nach Angaben der Aufständischen hielten sich die Gaddafi-treuen Soldaten vor allem in einem Gebiet unweit einer Hauptstraße auf, von wo sie Granaten, Mörser und auch die Streubomben abgefeuert haben sollen. Die Nato müsse diese Gegend beschießen, weil sich dort keine Zivilisten befänden, forderte ein Aufständischer.

Auch Sirte, die Heimatstadt Gaddafis, wurde am Freitag laut der amtlichen libyschen Nachrichtenagentur Jana beschossen. Der Nachrichtensender al-Arabija berichtete unter Berufung auf Augenzeugen zudem von Angriffen der Gaddafi-Truppen auf die Stadt Jafran südwestlich von Tripolis.

Unterdessen haben die USA, Großbritannien und Frankreich den Sturz Gaddafis in einem gemeinsamen Zeitungsbeitrag zum Kriegsziel erklärt. "Eine Zukunft für Libyen mit Gaddafi an der Macht ist nicht vorstellbar", schrieben US-Präsident Barack Obama, der französische Staatschef Nicolas Sarkozy und Großbritanniens Premierminister David Cameron in einem Artikel, der in der New York Times und in mehreren europäischen Zeitungen erschien. Sie düpierten damit die Außenminister der Nato, die noch am Vortag in Berlin lediglich den Schutz der Zivilbevölkerung als Kriegsziel genannt hatten.

Die drei Staatschefs schreiben zwar: "Unsere Pflicht und unser Mandat gemäß der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats ist es, Zivilisten zu schützen." Das Mandat bestehe nicht darin, "Gaddafi gewaltsam zu stürzen", räumten sie ein. Es sei aber "undenkbar, dass jemand, der sein eigenes Volk abschlachten wollte, eine Rolle in der künftigen Regierung spielen kann". Als Ziele des Einsatzes in Libyen hatten die Nato-Außenminister das Ende der Angriffe gegen Zivilisten, den vollständigen Rückzug von Gaddafis Truppen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe genannt.

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen behauptete, der Artikel zeige die Einigkeit im Libyen-Einsatz. "Die Nato ist absolut entschlossen, die Operationen fortzuführen, solange die Bedrohung für die Menschen in Libyen anhält", sagte er. Die Gefahr für die Zivilisten werde andauern, solange Gaddafi an der Macht ist.

Der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet stellte indes im Fernsehsender LCI klar, dass die Absichten von Washington, Paris und London über die UN-Resolution hinausgehen. Auch wenn Länder wie China und Russland nichts unternehmen wollten, sei das Ziel klar, sagte der Minister: "Die Menschen in Tripolis dazu zu bringen, sich von Gaddafi abzuwenden."

Russlands Außenminister Sergej Lawrow übte scharfe Kritik an dem Beitrag, da die Forderung nach einem Rücktritt Gaddafis über das UN-Mandat hinausgehe. "Der UN-Sicherheitsrat hat keinerlei Handlungen zum Zweck der Veränderung des Regimes in Libyen erlaubt", warnte Lawrow in Berlin. "Ich habe unsere Partner in der Nato aufgefordert, sich strikt und verantwortungsvoll an das Mandat des UN-Sicherheitsrates zu halten."

Zwar erheben alle Nato-Partner gemeinsam die Forderung nach einem "politischen Prozess". Allerdings verbinden sie damit offenbar grundsätzlich unterschiedliche Überlegungen. Während die Bundesregierung bezweifelt, dass der libysche Diktator mit Waffengewalt aus dem Amt getrieben werden kann, und sich dem Einsatz verweigert, glauben die USA, Frankreich und Großbritannien, dass erst der Abgang Gaddafis den Weg zu einem politischen Prozess öffnet.

"Weder Europa noch die Region oder die Welt können sich einen neuen sicheren Hafen für Extremisten erlauben", warnten sie. Gleichzeitig traten Obama, Sarkozy und Cameron dem Eindruck entgegen, Libyen solle ein demokratisches System von außen über gestülpt werden. "Es werden die Menschen in Libyen sein, nicht die UN, die eine neue Verfassung bestimmen, eine neue Führung wählen und das nächste Kapitel ihrer Geschichte schreiben", betonten sie.

Davon wenig beeindruckt ließ sich Gaddafi in Tripolis feiern. Das Staatsfernsehen zeigte, wie er mit Schlapphut und Sonnenbrille in einem Autokonvoi durch die Straßen fuhr.

Die Bemühungen der Allianz drohen allerdings womöglich an fehlenden Ressourcen zu scheitern: Die Washington Post berichtete, dass der Nato die Munition ausgehe. Dem Militärbündnis fehlten allmählich Präzisionsbomben und andere Munition, schrieb das Blatt unter Berufung auf Nato- und US-Vertreter. Dies und die begrenzte Zahl von Flugzeugen lasse in Washington die Zweifel wachsen, ob sich die USA weiter zurückhalten könnten. Die USA hatten in der vergangenen Woche das Kommando über den Libyen-Einsatz der Nato übergeben und 50 Flugzeuge abgezogen.

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