Krieg in Libyen:Gaddafi-Regime wirft Nato "Kriegsverbrechen" vor

Libyens Machthaber Gaddafi beklagt den Tod eines Sohnes, der angeblich bei einem Bombardement umgekommen ist - sein Sprecher erhebt schwere Vorwürfe gegen die Nato. Viele Regimegegner halten die Nachricht vom getöteten Sohn jedoch für eine Finte - ersonnen vom "Führer". Inzwischen randalieren Gaddafis Anhänger an westlichen Botschaften in Tripolis.

Oliver Das Gupta

Der Mai war erst wenige Minuten alt, als Mussa Ibrahim seinen jüngsten Presseauftritt absolvierte. Mit fester Stimme verkündete der libysche Regierungssprecher, was sich kurz zuvor im nächtlichen Tripolis zugetragen haben soll: Saif al-Arab, einer aus der Schar der Söhne Machthaber Muammar al-Gaddafis, sei gemeinsam mit drei Kindern bei einem Bombardement der Nato umgekommen. Saif al-Arab, der mehrere Jahre in München studierte - und als Despotenspross im schlechtesten Sinne auffiel, bekleidete keine offiziellen Posten, auch absolvierte er keine Auftritte wie andere seiner Geschwister.

Muammar Gaddafi Tripolis Saif al-Arab

Zweifel an der staatlichen Version vom toten Sohn: Blindgänger im zerstörten Anwesen, das angeblichGaddafis Sohn Saif al-Arab bewohnt hat.

(Foto: dpa)

Der Regimesprecher bezeichnete die Attacke als Mordversuch an Gaddafi, dem Vater. Denn der Staatschef habe sich mit seiner Ehefrau zum Zeitpunkt des Luftschlages in dem Anwesen aufgehalten, sagte Ibrahim. Man habe sich unterhalten und gespielt, dann seien die Bomben "mit voller Kraft" eingeschlagen. Die Eheleute Gaddafi seien zwar unversehrt, aber das Ziel der Nato-Attacke sei "sehr, sehr klar", behauptete Ibrahim: "Das war nicht erlaubt nach internationalem Recht und auch nicht nach irgendeinem moralischem Prinzip." Es handele sich um ein "Kriegsverbrechen".

Das Völkerrecht verbietet die gezielte Tötung von Staatsoberhäuptern im Krieg. Während des Irak-Krieges 2003 hat es allerdings angeblich Überlegungen beim US-Militär gegeben, den damaligen Diktator Saddam Hussein gezielt zu liquidieren. Einen solchen Enthauptungsschlag gegen das Regime habe nun die Nato versucht, argwöhnte Mussa Ibrahim. "Was wir jetzt haben, ist das Gesetz des Dschungels."

Erst am vergangenen Dienstag hatten US-Verteidigungsminister Robert Gates und sein britischer Amtskollege Liam Fox im Pentagon erklärt, dass Nato-Jets nicht Gaddafi im Speziellen ins Visier nähmen. Die Nato beeilte sich bald nach Ibrahims nächtlichem Auftritt zu der Causa Stellung zu nehmen. Bei dem Ziel habe es sich um ein bekanntes "Kommando- und Kontrollgebäude" gehandelt. Man bedaure jeden Verlust an Menschenleben, versicherte Generalleutnant Charles Bouchard. Den Tod des Gaddafi-Sohnes konnte er nicht bestätigen, wohl aber einen Luftangriff auf ein Regierungsgebäude in Tripolis. Washington äußerte sich bislang offiziell nicht in der Causa, die Nachrichtenagentur AFP zitierte lediglich einen ungenannten Vertreter der US-Regierung mit den Worten, es gebe "Anrufe von Libyern, die sagen, jemand Wichtiges sei getroffen worden".

Voller Kritik ist die Reaktion, die aus Moskau kommt: Man zweifele an der Erklärung der Nato, wonach die Tötung Gaddafis kein Ziel des Militärbündnisses sei, teilte das Außenministerium mit. Der Tod von Familienangehörigen Gaddafis stehe im klaren Widerspruch zur Resolution des Weltsicherheitsrats, in der Angriffe nur zum Schutz von Zivilisten erlaubt seien. Der Chef des Auswärtigen Duma-Ausschusses, Konstantin Kossatschow, sprach von einer "groben Einmischung" der westlichen Allianz.

Als erster Regierungschef meldete sich David Cameron zu Wort, allerdings mit dürren Sätzen. Der britische Premier versicherte, die Nato folge bei der Auswahl ihrer Ziele den Vorgaben der Libyen-Resolution des UN-Sicherheitsrates: Es gehe "eher darum, auf Kommando- und Kontrollzentren zu zielen als auf Einzelpersonen". Den angeblichen Tod des Diktatoren-Sohnes wollte Cameron nicht kommentieren und wies darauf hin: die einzige Quelle der Nachricht bleibe bislang das libysche Regime.

Dementsprechend zwiegespalten wurde die Nachricht bei den Rebellen aufgefasst. Während es einerseits zu spontanen Jubelausbrüchen in den von den Aufständischen gehaltenen Orten kam - im eingekesselten Missrata wurde ein Freudenfeuerwerk gezündet, das eine Panik auslöste - bleiben führende Vertreter der Aufständischen skeptisch: "Das könnte alles ein Lügenmärchen sein", sagte ein Sprecher des Übergangsrates in Beghasi zum Sender al-Dschasira, eine Finte, mit der Gaddafi neue "Sympathien sammeln" möchte, nachdem sein Angebot zur Waffenruhe abgelehnt worden war.

Mit anderen Worten: Er glaubt an eine PR-Lüge Gaddafis. "Meine Brüder, wenn dieses Gebäude von vier Raketen getroffen wurde, dann muss jeder gestorben sein, der sich darin aufhielt", schreibt ein anderer Gaddafi-Gegner in einem Internet-Forum der Aufständischen. Er glaubt, die Nachricht vom Tod des einzigen Gaddafi-Sohnes, der keinerlei offizielle Funktion ausübt, sei genauso falsch wie das Dementi zum Tod von Gaddafis Sohn Khamies im vergangenen Monat. Damals hatten die Aufständischen gemeldet, ein Kamikaze-Pilot habe in Tripolis Gaddafis Khamies getötet, der die am besten ausgerüstete Brigade der Streitkräfte befehligte.

Staub, getrocknete Blutstropfen, ein Blindgänger

Der Tod des Sohnes - nur ein großer Bluff? Zumindest scheint die Meinung auf der Entscheider-Ebene der Aufständischen weit verbreitet zu sein. "Wir glauben nicht, dass es wahr ist", zitiert CNN einen Sprecher: "Ganz ehrlich: Wir hatten von Saif al-Arab nie etwas gehört bis zu Beginn des Aufstandes."

Krieg in Libyen: Abschied vom Gaddafi-Sproß: Das libyschen Staatsfernsehen zeigte, wie Würdenträger verschiedener Religionsgemeinschaften von Saif al-Arab al-Gaddafi die letzte Ehre erwiesen. Ob es sich tatsächlich um den Sohn des Machthabers handelt, ist nach wie vor nicht gesichert.

Abschied vom Gaddafi-Sproß: Das libyschen Staatsfernsehen zeigte, wie Würdenträger verschiedener Religionsgemeinschaften von Saif al-Arab al-Gaddafi die letzte Ehre erwiesen. Ob es sich tatsächlich um den Sohn des Machthabers handelt, ist nach wie vor nicht gesichert.

(Foto: AFP)

Mussa Ibrahim, das Sprachrohr des Regimes, lieferte bei seiner Pressekonferenz eine mögliche Erklärung: Saif al-Arab sei lediglich ein "Zivilist", ein "Student" gewesen. Der Angriff auf das Privathaus des Sohnes beweise, dass das, "was in Libyen passiert, nichts zu tun hat mit dem Schutz von Zivilisten", beklagte Ibrahim.

Der Sprecher absolvierte noch einen zweiten Auftritt: Vor dem Wohn- und Palastareal Gaddafis zeigte er sich vor einigen linientreuen Anhängern, die Parolen skandierten wie: "Oh Jugend, es ist Zeit für den Heiligen Krieg." Ibrahims nicht minder martialische Worte: "Wir werden Libyen zu einem Grab für alle Invasoren machen."

Die staatliche Nachrichtenagentur Jana meldete inzwischen, Gruppen von jungen Männern und Familien seien in den frühen Morgenstunden in Richtung auf das Viertel Bab al-Asisija in Tripolis marschiert. Sie hätten Blutrache für Saif al-Arab gefordert und zum "Heiligen Krieg gegen die Kreuzritter (der Nato)" aufgerufen. Die Oppositions-Zeitung Brnieq meldete kurz darauf, Gaddafi-Anhänger hätten als Reaktion auf die Attacke der Nato die US-Botschaft in Tripolis angezündet. Die US-Diplomaten hatten die Vertretung bereits im Februar, kurz nach Beginn des Aufstandes gegen Gaddafi, verlassen.

Auch über der italienischen Botschaft soll Rauch aufgestiegen sein, die britische Vertretung wurde offenbar angegriffen. London reagierte inzwischen und verwies den libyschen Botschafter des Landes. Der britische Außenminister William Hague teilte in einer Erklärung mit, die Angriffe auf die britische Botschaft und die diplomatischen Vertretungen anderer Länder in Tripolis hätten ihn zu diesem Schritt bewegt. Der libysche Botschafter habe jetzt 24 Stunden, um das Land zu verlassen.

Zuvor forcierte in Tripolis das Gaddafi-Regime die spezielle Pressearbeit. Ausländische Journalisten wurden zur Ruine der angeblich getroffenen Villa gefahren, das Fernsehen sendete Bilder einer gespenstischen Szenerie: aus den Trümmern ragen Stahlverstrebungen, eine graue Staubschicht bedeckt Sessel und die Reste des Inventars, ein Blindgänger ragt aus den Trümmern, irgendwo liegt eine Computer-Maus, darunter kleben getrocknete Blutstropfen.

Die Reporter, die das zerstörte Gebäude besichtigten, sagten hinterher, es sei schwer vorstellbar, dass ein Mensch dieses Gebäude unverletzt habe verlassen können.

Aufnahmen von Opfern fehlen bislang, wobei das Regime in der Vergangenheit nicht zögerte, Verletzte und Tote abzulichten, wenn es ihm opportun erschien. So zeigte das Staatsfernsehen 1986 unter anderem einen dick einbandagierten kleinen Jungen, der beim US-Angriff auf Tripolis angeblich verletzt worden war: Saif al-Arab.

Es sind die einzigen offiziellen Filmaufnahmen des Gaddafi-Sohnes.

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