Krieg in Libyen:Gaddafi bestreitet Flucht nach Niger

Der abgetauchte Despot Muammar al-Gaddafi hat sich mit einer neuen Audiobotschaft an die Bevölkerung gewandt. Er bezeichnete Berichte über seine Flucht nach Niger als Propaganda. Die USA fordern schärfere Grenzkontrollen - und sorgen sich um die Region. Manche sprechen bereits von einem "Pulverfass".

Der Aufenthaltsort von Libyens Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi bleibt weiter unklar. Gerüchten über seine Flucht nach Niger ist er jetzt selbst entgegengetreten: Der untergetauchte Diktator bestreitet in einer vom syrischen Sender Arrai TV ausgestrahlten Audiobotschaft, sich Anfang der Woche ins südliche Nachbarland Niger abgesetzt zu haben und bezeichnete die Berichte als Propaganda. Er werde "niemals das Land meiner Vorfahren verlassen", sagte Gaddafi. Das berichtete al-Dschasira.

Krieg in Libyen: Kämpfer der libyschen Rebellen an einem Checkpoint zwischen Tarhuna und Bani Walid.

Kämpfer der libyschen Rebellen an einem Checkpoint zwischen Tarhuna und Bani Walid.

(Foto: AP)

Seinen Gegnern bleibe "nichts mehr als psychologischer Krieg und Lügen", erklärte Gaddafi in seiner neuerlichen Tirade. "Wir sind bereit, den Kampf um Tripolis und jeden anderen Ort aufzunehmen und uns gegen sie zu erheben." In der Audiobotschaft nach mehreren Tagen Schweigen prophezeite er zudem, man werde "den Söldnern den Rest geben" und "die Nato besiegen". Unterdessen wurden in der vergangenen Nacht aus der Gaddafi-Bastion Bani Walid stundenlange Gefechte gemeldet.

Auch die USA gehen offenbar nicht von einer Flucht Gaddafis in das Nachbarland aus. Sie dementierten, genau wie Niger selbst, dass sich Gaddafi oder einer seiner Söhne in dem Konvoi befunden habe, der zu Wochenbeginn auf dem Weg in die nigrische Hauptstadt Niamey beobachtet worden war. Die USA fordern die Länder der Region nun zur Zusammenarbeit bei der Suche nach Gaddafi auf. Die Grenzen sollten gesichert und Mitglieder des Gaddafi-Regimes festgenommen werden, sagte US-Außenamtssprecherin Victoria Nuland in Washington.

Die Regierung Nigers sieht sich jedoch außerstande, seine 350 Kilometer lange Grenze zum nördlichen Nachbarn Libyen mitten in der Sahara dichtzumachen. "Wir haben keine Mittel, die Grenze zu schließen", sagte der nigrische Außenminister Mohamed Bazoum der britischen BBC. Bislang habe Gaddafi die Grenze aber weder überquert noch um eine Einreisegenehmigung gebeten. Er hoffe, sagte Bazoum weiter, dass Gaddafi gar nicht nach Niger kommen werde. Noch sei aber keine Entscheidung getroffen worden, ob er andernfalls im Land bleiben dürfe oder an den auch von Niger anerkannten Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag überstellt werde.

Mitglieder des Gaddafi-Regimes, die mit dem libyschen Militärkonvoi in der nigrischen Hauptstadt Niamey eingetroffen seien, könnten hingegen frei entscheiden, ob sie bleiben oder weiterreisen wollten, sagte Bazoum. Seinen Angaben zufolge sind Gaddafis Sicherheitschef Abdallah Mansur sowie ein "sehr wichtiger" Verantwortlicher des Geheimdiensts eingereist.

Nach Angaben von US-Außenamtssprecherin Nuland wurden die Gaddafi-Getreuen hingegen in Niamey festgesetzt. Sie seien in Häusern der Regierung untergebracht und ständen unter Beobachtung, sagte sie unter Berufung auf den US-Botschafter in Niger. Die US-Regierung habe darüber hinaus Kontakt mit den Führungen in Mali, Mauretanien, dem Tschad und Burkina Faso aufgenommen. "Wir rufen all diese Länder auf, alles zur Sicherung ihrer Grenzen zu unternehmen, jedes Mitglied des Gaddafi-Regimes festzunehmen (...) und auch alle Güter, die tatsächlich dem libyschen Volk gehören könnten, zu konfiszieren", sagte Nuland.

Region als "Pulverfass"

Angesichts der Flucht der Gaddafi-Getreuen in das südliche Nachbarland hatte der libysche Übergangsrat angekündigt, eine Delegation nach Niger zu entsenden, um über strengere Grenzkontrollen zu verhandeln. Spekulationen arabischer Medien zufolge könnte Gaddafi versuchen, über Niger Burkina Faso zu erreichen. Meldungen, wonach dem Despoten dort Unterschlupf angeboten worden sei, wurden laut BBC aber von der Regierung des westafrikanischen Landes zurückgewiesen.

Gaddafi selbst gleicht immer mehr einem Phantom. Die Meldungslage zu seinem Aufenthaltsort bleibt unklar. Am Mittwoch hatte ein Rebellensprecher dem Sender Libya TV gesagt, Kämpfer hätten ihn eingekreist. Gaddafi könne nicht mehr fliehen. Genaue Angaben machte er aber nicht. Al-Dschasira berichtete unter Berufung auf den Militärrat in Tripolis, es sei nur eine Frage der Zeit, bis der Despot gefangen genommen oder getötet werde. Dagegen sagte ein Sprecher des Übergangsrates in Bengasi der Nachrichtenagentur dpa, alle Berichte über ein mögliches Versteck Gaddafis seien Spekulation. "Wir wissen es nicht. Es sind alles nur Theorien", sagte er.

Unterdessen mehren sich die Sorgen um eine weitere Destabilisierung der Region. Der Kommissionspräsident der Afrikanischen Union (AU), der Gabuner Jean Ping, warnte vor den Gefahren libyscher Waffen für die Nachbarländer. Auch Bazoum erkennt in den Folgen des libyschen Konflikts eine große Bedrohung für die Sahelzone. Die Region sei zu einem "Pulverfass" geworden. Die Menge an Waffen in der ohnehin instabilen Region, die mit Drogenschmuggel und Terrorismus zu kämpfen hat, habe weiter zugenommen. Neben zahlreichen Handfeuerwaffen seien im Juni auch 500 Kilogramm des Sprengstoffs Semtex sichergestellt worden, sagte der nigrische Chefdiplomat.

Der Anti-Terror-Berater von US-Präsident Barack Obama, John Brennan, äußerte sich ebenfalls besorgt über die Sicherung von Waffen und anderem Militärmaterial in Libyen. Der Verbleib von Massenvernichtungswaffen ebenso wie von tragbaren Raketen bereite Sorgen, sagte Brennan. Der US-Botschafter in Tripolis, Gene Cretz, warnte zudem, Gaddafi und seine Söhne blieben eine Gefahr für die Stabilität Libyens, solange sie in Freiheit seien. Für die Bemühungen des Nationalen Übergangsrats, eine Regierung auf die Beine zu stellen, sei das gefährlich, sagte Cretz. Gaddafi müsse vor Gericht gestellt werden.

AU-Kommissionspräsident Ping rief den Übergangsrat zudem auf, sich von Angriffen auf Schwarze zu distanzieren, die unter dem Vorwand verübt würden, dass es sich um Söldner Gaddafis handele. "Es gibt Söldner in Libyen, viele davon sind schwarz, aber nicht alle sind schwarz und nicht alle Schwarzen sind Söldner. Manchmal, wenn sie weiß sind, nennt man sie auch technische Berater", sagte Ping. "Wenn Schwarzen die Kehle durchgeschnitten wird, machen wir dafür nicht den Übergangsrat verantwortlich, aber wir wollen, dass sich der Übergangsrat von den Taten distanziert." Aus nigrischen Regierungskreisen verlautete derweil, ihre Botschaft in Tripolis sei von Unbekannten "verwüstet" worden.

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