Krieg in Libyen:Europas Vorrat an Präzisionsbomben wird knapp

In Libyen fliegt die Nato weiter Angriffe. Wie lange sie das noch durchhalten kann, ist jedoch offen: Einem Zeitungsbericht zufolge schwinden die Munitionsreserven der Europäer rapide. Die USA können auch nicht einspringen - denn deren Bomben passen nicht auf europäische Flugzeuge.

Die internationalen Truppen setzen ihre Luftschläge in Libyen fort. Flugzeuge der Allianz hätten am Freitag 145 Einsätze geflogen, darunter 58 Bombardements, teilte die Nato mit. Doch lange kann das Militärbündnis diese Frequenz offenbar nicht mehr durchhalten: Ihren Mitgliedern geht nach Informationen der Washington Post die Munition aus. Das berichtet die US-Zeitung unter Berufung auf Nato-Offiziere. Die Knappheit von Präzisisionsbomben zeige die eingeschränkte Fähigkeit der Europäer auch zu einem relativ begrenzten Militäreinsatz, schreibt das Blatt in seiner Internetausgabe. Militärs stellten deshalb die Frage, so der Bericht weiter, ob sich die USA in dem Konflikt weiterhin so zurückhalten könnten.

Libyens Staatschef dagegen rüstet auf: Offenbar setzt das Regime von Muammar al-Gaddafi inzwischen international geächtete Streumunition ein, und das in der Nähe von Wohngebieten. Wie die Organisation Human Rights Watch berichtete, seien in der Nacht zum Donnerstag mindestens drei Granaten mit Streumunition über der belagerten Stadt Misrata explodiert. Experten hätten die von einem New-York-Times-Reporter entdeckte Munition begutachtet und als Mörsergranaten aus spanischer Produktion identifiziert. Streumunition sind Bomben oder Granaten, die sich in der Luft öffnen und zahlreiche kleinere Sprengsätze niederregnen lassen.

Nicht nur deshalb spitzt sich die Lage in der seit Wochen belagerten Stadt weiter zu. Auch am Samstag setzten Gaddafi-Truppen Artilleriebeschuss, Panzer und Heckenschützen ein. "Gaddafi versucht Misrata so schnell wie möglich einzunehmen, bevor die Nato mit Bodentruppen kommt", sagte ein Bewohner in einer Audio-Botschaft, die über das Internet verbreitet wurde. "Wenn nicht bald etwas geschieht, wird die Lage noch schlimmer", fügte er hinzu. Auch andere Bewohner baten die Nato um mehr Unterstützung.

In den Vereinigten Staaten verurteilte Außenministerin Hillary Clinton Gaddafis Einsatz von Streumunition. "Ein Grund, warum der Kampf in Misurata so schwierig ist, ist, dass die Stadt auf so engem Raum bebaut ist", sagte Clinton der New York Times. "Alles spielt sich in den Wohngebieten ab und das macht es für die Nato und für die Kämpfer gegen Gaddafi so kompliziert."

Oppositionelle fordern mehr Unterstützung

Die libysche Opposition fordert die Verteidigungsallianz ebenfalls auf, die Luftangriffe gegen Gaddafis Truppen zu verstärken. Dem Bericht der Washington Post zufolge gibt es da aber noch ein weiteres Problem: Die USA könnten nicht einfach mit Munition einspringen, weil die Flugzeuge aus britischer und französischer Herstellung ihre Bomben nicht tragen könnten. In der von den Gaddafi-Gegnern kontrollierten Metropole Bengasi melden sich indes Freiwillige, die Misrata "befreien" wollen. Man müsse den Verteidigern von Misrata panzerbrechende Waffen bringen, sagten aufständische Milizionäre dem Nachrichtensender al-Dschasira. Medienberichten zufolge sollen die libyschen Rebellen inzwischen moderne Panzerabwehrraketen erhalten haben.

Die Bevölkerung in der drittgrößten libyschen Stadt Misrata leidet indes nicht nur unter den brutalen Angriffen der Gaddafi-Streitkräfte. Strom- und Wasserversorgung sind weitgehend ausgefallen. In den Krankenhäusern, die Hunderten Schwerverletzten helfen müssen, mangelt es an Medikamenten und chirurgischem Bedarf. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat in der Nacht zum Samstag per Schiff knapp hundert Verletzte nach Zarzis in Tunesien evakuiert, darunter 64 Kriegsverwundete und 35 Begleitpersonen.

Gaddafi-Gelder sollen Hilfsmaßnahmen begleichen

Zur Finanzierung weiterer Hilfsmaßnahmen will Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle die in Deutschland eingefrorenen Gelder des Gaddafi-Regimes verwenden. Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet, gehe dieses Vorhaben aus einem Vermerk des FDP-Politikers hervor, in dem die Summe auf den gesperrten deutschen Konten mit 4,15 Milliarden Euro beziffert wird.

Völkerrechtlich spreche nichts dagegen, dass die EU der libyschen Regierung das Geld per Erlass entziehe, sagte Brüderle demzufolge. Die Maßnahme müsste aber im Einklang mit anderen EU-Ländern erfolgen.

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