Krieg in Libyen:Rebellen vermuten Gaddafi in Wüstenstadt Bani Walid

Wo steckt der Despot? Der libysche Übergangsrat vermutet Gaddafi südlich von Tripolis, wo er unter dem Schutz eines mächtigen Stammes stehen soll. Seine Söhne widersprechen sich öffentlich: Al-Saadi will angeblich die Kapitulation aushandeln, Saif al-Islam verspricht den baldigen Sieg des Regimes. Großbritannien und Frankreich verhelfen den Rebellen zu frischem Geld. In Paris wird über den Wiederaufbau Libyens verhandelt.

Während die internationale Gemeinschaft an diesem Donnerstag in Paris Hilfen zum Wiederaufbau Libyens in der Nach-Gaddafi-Ära koordinieren will, kommen von den Söhnen des untergetauchten Diktators widersprüchliche Signale. Al-Saadi al-Gaddafi will angeblich ein Blutvergießen verhindern und verhandelt nach Angaben der Rebellen bereits über Sicherheitsgarantien für eine Kapitulation. Dagegen rief sein Bruder Saif al-Islam die Anhänger des Regimes mit Durchhalteparolen zum Kampf auf und versprach den baldigen Sieg.

Combo of Muammar Gaddafi's sons Saadi and Saif al-Islam

Widersprüchliche Aussagen: Al-Saadi al-Gaddafi (links) will angeblich weiteres Blutvergießen verhindern, Saif al-Islam ruft zum Krieg gegen die "Ratten".

(Foto: Reuters)

Beide gaben an, im Namen ihres Vaters Muammar al-Gaddafi zu sprechen. "Greift die Feinde an, wo immer sie sind", sagte Saif al-Islam al-Gaddafi am Mittwochabend in einer vom arabischen Sender Al Rai TV ausgestrahlten Botschaft. "Der Sieg ist nah", versprach der zweitälteste Sohn Gaddafis. Die Gegner des Regimes nannte er "Verräter und Ratten." Er halte sich in einem Vorort der Hauptstadt Tripolis auf. Seinem Vater gehe es gut. "Wir trinken Tee und Kaffee", sagte er.

Sein jüngerer Bruder Al-Saadi gab Berichten des arabischen Nachrichtensender al-Dschasira zufolge in einem Interview mit einem anderen TV-Sender ebenfalls an, im Namen seines Vaters zu handeln. Er sei autorisiert, mit dem Übergangsrat über ein Ende des Blutvergießens in Libyen zu sprechen, habe der 38-Jährige gesagt.

Spekulationen über Gaddafis Verbleib

Die Übergangsregierung hat den Truppen des alten Regimes ein Ultimatum gestellt, bis Samstag die Waffen niederzulegen. Ansonsten werde Sirte, die Geburtsstadt des Diktators, angegriffen. Die Bevölkerung in der rund 75.000 Einwohner zählenden Küstenstadt sei gespalten, berichtete al-Dschasira. Eine Hälfte plädiere für Kampf, die andere Hälfte für Kapitulation. Stammesälteste versuchten, die Gaddafi-Truppen davon zu überzeugen, dass im Fall einer Entscheidungsschlacht Frauen und Kinder zuvor die Stadt verlassen könnten.

Der Aufenthaltsort des Despoten ist weiterhin unklar. Der Übergangsrat vermutet Gaddafi in der Wüstenstadt Bani Walid südlich von Tripolis. Das habe ihm eine vertrauenswürdige Person mitgeteilt, sagte der Militärkoordinator des Rates, Abdel Maschid. Dem arabischen Nachrichtensender al-Arabija zufolge steht die Stadt unter dem Schutz der Warfalla, des größten libyschen Stammes. Dagegen behauptete ein ehemaliger Leibwächter von Gaddafis Sohn Khamis, dass sich der Despot in die 770 Kilometer südlich von Tripolis gelegene Garnisonsstadt Sebha abgesetzt habe.

Der ehemalige Machthaber ist noch nicht zu fassen, doch einige hohe Funktionäre des Gaddafi-Regimes konnten die Aufständischen inzwischen gefangen nehmen. Arabische Medien meldeten, in einem westlichen Vorort der Hauptstadt Tripolis sei bereits am Dienstag der letzte Außenminister des inzwischen abgetauchten Machthabers, Abdelati al-Obeidi, festgenommen worden. Die Rebellen berichteten auf ihren Websites außerdem, Abdullah al-Hedschasi, ein ehemaliger Vertrauter Gaddafis, sei gefasst worden. Bei dem Versuch, die Grenze nach Tunesien zu überqueren, habe man zudem einen Neffen Gaddafis festgesetzt, der dem Regime in leitender Funktion gedient habe.

Royal Air Force transportiert Geldscheine nach Libyen

Um schnell eine Verbesserung der humanitären Lage in Libyen zu erreichen, will die Staatengemeinschaft an diesem Donnerstag in Paris die Milliardenhilfe für das Land koordinieren. Gastgeber der Konferenz, an der auch der libysche Übergangsrat und Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnehmen, sind der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron. Dabei geht es unter anderem darum, die in mehreren Ländern eingefrorenen Reichtümer Gaddafis für Investitionen in Libyen zur Verfügung zu stellen.

Auch China hat seine Teilnahme angekündigt, obwohl es sich den westlichen Aufbauhilfen gegenüber bislang eher zurückhaltend gezeigt hatte. Russland hat derweil den libyschen Übergangsrat als Regierung anerkannt und ihm die Zusammenarbeit angeboten. Das teilte das Außenministerium in Moskau auf seiner Internetseite mit. Libyen war unter Gaddafi Großabnehmer für russische Waffen. Beide Länder unterhalten seit 1955 diplomatische Beziehungen.

Nach einem entsprechenden Beschluss der UN gab Großbritannien am Mittwoch libysche Banknoten im Wert von 1,1 Milliarden Euro an die Übergangsregierung frei. Die in einer britischen Druckerei gedruckten libyschen Dinars waren wegen der UN-Sanktionen eingefroren worden. Wie die britische BBC berichtete, brachte ein Flugzeug der Royal Air Force bereits in der Nacht zum Donnerstag eine erste Tranche in Höhe von umgerechnet 158 Millionen Euro nach Bengasi.

Das Geld werde dabei helfen, "dringende humanitäre Notwendigkeiten" zu erfüllen, sagte der britische Außenminister William Hague. Ferner könnten damit Löhne für Staatsbedienstete bezahlt und die Wirtschaft wieder zum Laufen gebracht werden.

Merkel kündigt Aufbauhilfe an

Auch Frankreich erhielt die Genehmigung der Vereinten Nationen, Gaddafi-Vermögen an den Übergangsrat zu überweisen. Die französische Regierung teilte mit, 1,5 Milliarden Euro freizugeben. Insgesamt liegen bei französischen Banken gesperrte Vermögenswerte in Höhe von 7,6 Milliarden Euro.

Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, Libyen beim Aufbau einer Demokratie und der Infrastruktur zu helfen. "Libyen hat ja wegen seines Erdölreichtums kein Geldproblem", sagte die CDU-Politikerin der Berliner Morgenpost. Deutschland werde sich nach den Erwartungen der Libyer richten.

Der neue Botschafter Libyens in Berlin, Aly Masednah El-Kothany, schätzt den akuten Finanzbedarf in dem nordafrikanischen Land auf mindestens eine Milliarde Euro. Das reiche nicht, "um genügend Lebensmittel und Medikamente zu importieren, aber es würde uns etwas Luft verschaffen für die nächsten zwei Wochen", sagte El-Kothany der Financial Times Deutschland.

Nato will weiter Präsenz zeigen

El-Kothany, vom Nationalen Übergangsrat nominiert, war am Mittwoch nach Angaben des Auswärtigen Amtes als Geschäftsträger der libyschen Botschaft in Berlin akkreditiert worden. Er ist damit offizieller Ansprechpartner für die Belange Libyens in Deutschland. Die Funktion des bisherigen Botschafters Jamal El-Barag sieht das Ministerium als beendet an. Bis spätestens 15. September muss er Deutschland verlassen.

Der neue Botschafter lehnt dem Bericht zufolge Finanzhilfe aus dem Ausland ebenso ab wie internationale Friedenstruppen. "Libyen ist ein reiches Land, wir brauchen keine Geberkonferenz", sagte er. Die neue libysche Regierung wolle auch keine fremden Truppen, seien es UN-Blauhelme oder Beobachter, im Land haben. "Es ist besser, wenn Libyer das selbst machen." Anders sei es hingegen beim Wiederaufbau: "Ich bin sicher, dass Deutschland dabei seinen Platz finden wird", sagte El-Kothany, der nach eigenen Angaben seit 25 Jahren in Deutschland lebt.

Die Nato will auch nach einem Ende des Militäreinsatzes in Libyen weiter Präsenz zeigen. Nato-Soldaten könnten für eine begrenzte Zeit den Luftraum überwachen und Schiffe vor der Küste Libyens kontrollieren. Dies vereinbarten die Vertreter der 28 Nato-Staaten am Mittwoch im Nato-Rat in Brüssel. Eine Entsendung von Bodentruppen kommt dagegen für das Bündnis nicht in Frage.

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