Süddeutsche Zeitung

Krieg in Gaza:Feuer kennt keine Pause

Die Menschen in Gaza können kurz durchatmen, dann geht das Donnern des Krieges weiter. Israel und Hamas fallen in Drohgebärden zurück, die Vermittlung der USA scheitert. Das Feuer droht auch das Westjordanland zu entzünden.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Es sind kurze Stunden der Erleichterung, und jede Minute zählt: Zu Hunderttausenden strömen die Bewohner des Gazastreifens schon am frühen Samstagmorgen auf die Straßen. Eine zwölfstündige "humanitäre Feuerpause" lässt sie aufatmen, gibt ihnen die Gelegenheit zu dringend nötigen Einkäufen - und zur Bergung von Leichen sowie der Besichtigung der Schäden. Ganze Straßenzüge sind zu Geröllfeldern geworden, in denen nun die Menschen stehen, die ihr Leben gerettet, aber sonst alles verloren haben. In diesen Trümmern kann keine Hoffnung wachsen. Als die Dunkelheit hereinbricht über den Gazastreifen, da ist schon wieder das Zischen und Donnern der Raketen zu hören, die von der Hamas in Richtung Israel abgeschossen werden. Und lange soll es nicht dauern, bis auch die israelische Armee wieder das Feuer eröffnet.

An verschiedenen Fronten ist an diesem Wochenende gekämpft worden um ein Ende der Kämpfe, und zwischendurch wird immer wieder alles auf Anfang gestellt. Erst scheitern die Anläufe für eine längerfristige Waffenruhe, die Führungen auf beiden Seiten fallen zurück in ihre alten Drohgebärden und heizen die Stimmung an mit Durchhalteparolen. Dann folgt ein fast kurios anmutendes Wechselspiel der befristeten Waffenruhen, die mal von den Israelis, mal von der Hamas verkündet werden. Verlassen kann sich darauf keiner. Im Gazastreifen verstecken sich die Menschen wieder in ihren Häusern oder suchen Zuflucht auf den Schulhöfen der Vereinten Nationen. Wie lange noch, das kann ihnen niemand sagen.

Israels Sicherheitskabinett schmettert den Vorschlag von US-Außenminister Kerry ab

Einer der Schauplätze, an denen die Handlungsfäden dieses Dramas zusammenlaufen, ist die Kirya in Tel Aviv, das Hauptquartier der Armee und Sitz des Verteidigungsministeriums. Hier versammelt sich am Freitag kurz vor Anbruch des Sabbats das israelische Sicherheitskabinett, um über den Vorschlag des in Kairo wartenden US-Außenministers John Kerry für eine siebentägige Waffenruhe zu beraten. Kontroversen sind zu erwarten, doch dann das einstimmige Ergebnis: Abgelehnt!

Israel ist nicht bereit, während einer Waffenruhe die auf Hochtouren laufende Zerstörung der Tunnel im Gazastreifen zurückzufahren. "Zu viel Türkei und Katar" stecke in Kerrys Vorschlag, wird in israelischen Medien gestreut. Am Sonntag wird gar der Zeitung Haaretz das geheime Kerry-Papier zugesteckt, damit jeder sehen kann, warum es abgeschmettert wurde: Weder die von Israel verlangte "Demilitarisierung" des Gazastreifens noch die Tunnel seien darin explizit angesprochen worden, während die Forderungen der Hamas umfassend aufgeführt würden. Die Minister seien "schockiert" gewesen, heißt es in dem Blatt, sie hätten Kerrys Plan als "Belohnung des Terrors" bewertet.

Das Einzige, worauf sich Israels Regierung zunächst einlässt, ist die "humanitäre Feuerpause" für zwölf Stunden, die dann am Samstagabend einseitig zunächst um vier Stunden, dann um 24 Stunden bis Sonntag um Mitternacht verlängert wird. Die Tunnelzerstörung geht unvermindert weiter. Doch als die Hamas ihr Raketenfeuer wieder aufnimmt, verschickt auch Israels Militärsprecher am Sonntagmorgen eine knappe, zweizeilige Nachricht, "dass die Armee ihre Aktivitäten im Gazastreifen aus der Luft, von Schiffen aus und am Boden wieder aufnimmt".

Für die internationale Diplomatie ist das ein schwerer Schlag. Von Kairo ist Kerry noch nach Paris geflogen, wo sich am Samstag eine hochmögende Runde versammelt: Die Außenminister aus den USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland, der Türkei und Katar beraten über einen Ausweg aus dem Krieg. Am Ende haben sie nicht mehr zu bieten als einen hilflosen Aufruf zur "Verlängerung der Waffenruhe aus humanitären Gründen". Die so gewonnene Zeit müsse dann genutzt werden, um Verhandlungen für einen dauerhaften Waffenstillstand vorzubereiten, erklärt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Auch die Hamas-Führer scheinen weit weg zu sein vom Leid der eigenen Bevölkerung

Paris ist ziemlich weit weg von den Trümmern eines Wohnhauses in Khan Junis, in dem noch kurz vor Beginn der Feuerpause bei einem israelischen Artillerieangriff nach palästinensischen Angaben 20 Menschen gestorben sind, unter ihnen zehn Kinder. Und es ist auch weit weg von den ausufernden Trümmerlandschaften in Schedschaija oder Beit Hanun, wo die Bewohner ihre Angehörigen auf freien Flächen zwischen den zerstörten Häusern begraben mussten.

Die Anzahl der Toten hat längst die Tausend überschritten, mehr als 6000 Palästinenser sind verletzt worden, Tausende Häuser sind zerstört oder schwer beschädigt. Dies ist das erschütternde Ergebnis des nunmehr dreiwöchigen Kriegs, und immer noch ist es nur eine Zwischenbilanz. Denn auch die Hamas-Führer in ihren Bunkern oder im Exil scheinen weit weg zu sein vom Leid der eigenen Bevölkerung. Kaum sind die vereinbarten zwölf Stunden der "humanitären Feuerpause" vorbei, schießen sie nicht nur sofort wieder ihre Raketen gen Israel, sondern schicken auch noch stolze Bekennergrüße hinterher. "Es gibt keine Feuerpause ohne israelischen Rückzug", verkündet der Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri in Gaza-Stadt. Eine längerfristige Waffenruhe knüpfen die Islamisten weiterhin an die Bedingung, dass die Blockade beendet wird. Erst nach all den Kraftmeiereien verkündet dann plötzlich auch die Hamas eine 24-stündige Waffenruhe, die von Sonntagmittag an gelten soll.

Die Kraft zum Widerstand zieht die Hamas aus dem Leid der eigenen Bevölkerung, und je größer das Leid ist, desto berechtigter scheint der Kampf zu sein. Der Funkenflug aus Gaza droht überdies inzwischen auch im Westjordanland ein Feuer zu entzünden. Hier wird nicht mit Raketen gekämpft, sondern mit Steinen und Molotowcocktails. Aber Tausende gehen bereits in Ramallah und Nablus, in Hebron und Bethlehem sowie in Ostjerusalem auf die Straßen. Sie liefern sich Schlachten mit der israelischen Armee, bei denen nach UN-Angaben seit Donnerstagabend schon zehn Palästinenser getötet worden sind.

So zieht der Krieg immer weitere Kreise, und niemand scheint die Kraft zu haben, die Kämpfe zu stoppen. In Tel Aviv versammelten sich dennoch am Samstagabend 7000 Menschen zu einer Friedensdemo. Doch schon nach kurzer Zeit rief die Polizei die Demonstranten zum Ende des Protests auf, weil aus Gaza wieder Raketenbeschuss gemeldet wurde. Versammlungen mit mehr als 1000 Menschen sind in Tel Aviv seit Kriegsbeginn aus Sicherheitsgründen verboten.

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SZ vom 28.07.2014/mikö
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