Krieg in der Ukraine:Ex-Geheimdienstler bezweifeln russische Invasion

Lesezeit: 3 Min.

Russland unterstütze zwar die Separatisten in der Ukraine, doch die Satellitenaufnahmen der Nato belegten keinen russischen Einmarsch, sagt eine Gruppe ehemaliger US-Nachrichtendienstler. Andere Hinweise allerdings werden von ihnen ignoriert.

Von Markus C. Schulte von Drach

Eine Gruppe ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter hat sich auf ungewöhnliche Weise zum Krieg in der Ukraine zu Wort gemeldet: In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt sie, jüngst veröffentlichte Informationen über das militärische Vorgehen Russlands "scheinen fragwürdig und politisch zurechtgebogen" zu sein.

Die Gruppe, die sich " Veteran Intelligence Professionals for Sanity" (VIPS) nennt, kritisiert die Darstellung, im Osten der Ukraine finde eine russische Invasion statt. Das hatte vergangene Woche etwa der EU-Botschafter der Ukraine, Konstantin Jelissejew, auf seiner Facebook-Seite gesagt. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte Russland einen militärischen Einmarsch in sein Land vorgeworfen und von einer "Intervention" gesprochen. Auch Polens Präsident Bronisław Komorowski und der schwedische Außenminister Carl Bildt warfen Russland eine Invasion vor.

Eine Aufnahme vom 21. August zeigt der Nato zufolge russische Artilleriegeschütze in einem Konvoi auf ukrainischem Boden (Foto: dpa)

Nach Angaben der Nato sollen etwa 20 000 russische Soldaten im Grenzgebiet stationiert sein, ein Offizier des Militärbündnisses sprach der Nachrichtenagentur dpa zufolge von einer "Invasionsarmee". Um die Vorwürfe gegen das russische Vorgehen zu untermauern, hatte die Nato Satellitenbilder veröffentlicht.

Die Unterzeichner des Briefes um den ehemaligen NSA-Mitarbeiter William Binney, den Ex-CIA-Analysten Ray McGovern und die frühere FBI-Agentin Coleen Rowley halten die Hinweise auf eine russische Invasion jedoch für genauso unglaubwürdig wie es die angeblichen Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak 2003 waren. Die Autoren sind alle langjährige ehemalige Mitarbeiter verschiedener US-Nachrichtendienste und des FBI. In Erscheinung trat die Gruppe erstmals nach der Rede des US-Außenministers Colin Powell im Februar 2003 vor den Vereinten Nationen. Damals kritisierte sie die Interpretation der Geheimdienstinformationen durch das Weiße Haus. Seitdem wenden sie sich immer wieder mit kritischen Fragen und Hinweisen vor allem an US-Politiker.

Die seit Jahren aus den Diensten ausgeschiedenen Experten haben sich nicht selbst in der Ukraine umgesehen. Auf die Hinweise auf möglicherweise dort eingesetzte und verletzte oder getötete russische Soldaten (wie sie der Moskau-Korrespondent Julian Hans in diesem Artikel aufführt) gehen sie nicht ein. Das Eingeständnis der Separatisten, mehrere Tausend russische Soldaten würden in ihrer Freizeit in der Ukraine kämpfen, ignorieren sie genauso wie die Tatsache, dass dort reguläre russische Fallschirmjäger gefangen genommen wurden. Auch ihre Behauptung, die Separatisten würden sich "großer Unterstützung durch die lokale Bevölkerung erfreuen", widerspricht den Beobachtungen westlicher Medien.

Ihre Kritik beruht vor allem auf den von der Nato vorgelegten Satellitenbildern aus dem russisch-ukrainischen Grenzgebiet.

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Sie hätten "beträchtliche Erfahrung mit dem Sammeln, Analysieren und Zusammenfassen aller Arten von Satelliten- und anderen Bildern, sowie mit anderen nachrichtendienstlichen Informationen", betonen die VIPS. Und sie kommen zu dem Schluss, diese Aufnahmen seien eine "sehr fadenscheinige Basis, um Russland eine Invasion der Ukraine vorzuwerfen".

Die Frage nach der Beweiskraft dieser Bilder war auch von westlichen Medien bereits aufgeworfen worden. Allerdings dürften der Nato bessere Aufnahmen der russischen Truppenbewegungen zur Verfügung stehen als die veröffentlichten Bilder des kommerziellen Digital-Globe-Satelliten - Aufnahmen, die vermutlich nicht gezeigt werden, um die technischen Möglichkeiten des Militärbündnisses nicht offenzulegen.

Anders als westliche Militärs und auch Journalisten, die in der Ukraine unterwegs waren, halten die Ex-Geheimdienstler es für "alles andere als klar", dass die Separatisten zum gegenwärtigen Zeitpunkt Unterstützung durch russische Panzer und Artillerie erhalten hätten. Bislang, so deuten sie an, waren die prorussischen Milizen schon deshalb relativ erfolgreich, weil sie besser geführt wurden als die ukrainische Armee.

Appell an Angela Merkel

Russland helfe den Separatisten tatsächlich - aber ihrer Meinung nach vor allem mit Informationen, die für die Gefechte relevant sind. Allerdings hätten sie keinerlei Zweifel daran, "dass die Panzer kommen, falls und wenn die Föderalisten (die Separatisten; Anm. d. Red.) sie benötigen".

So weit muss es ihrer Meinung nach nicht kommen. Die ehemaligen Geheimdienstler fordern einen Waffenstilstand und zugleich ein Signal an Kiew und Moskau, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine kein Thema ist.

Auch wenn die Kritik der VIPS einige Schwächen aufweist: Als plumpe Verschwörungstheoretiker lassen sie sich nicht abtun. Dem Magazin Mother Jones zufolge hat die Gruppe einige der verlässlichsten und kritischsten Analysen der Geheimdienstarbeit unter Bush Junior veröffentlicht. Coleen Rowley war 24 Jahre FBI-Agentin. Nach 9/11 kritisierte sie die Arbeit ihrer Behörde. 2002 wurde die Whistleblowerin vom Magazin Time zur Person des Jahres gekürt. Ray McGovern gehörte zu den CIA-Analysten, die George Bush Senior im Weißen Haus über die Erkenntnisse des Geheimdienstes informierte. Inzwischen zieht der politische Aktivist offen die offizielle Version der Anschläge vom 11. September in Zweifel und unterstützt den NSA-Whistleblower Edward Snowden.

Dass die Gruppe sich ausgerechnet an Angela Merkel wendet, hängt damit zusammen, dass ihr Vorgänger Gerhard Schröder sich von den angeblichen Belegen für irakische Massenvernichtungswaffen nicht hatte überzeugen lassen. Die Gruppe hofft auf eine ähnliche Reaktion der Kanzlerin.

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