Krieg in der Ukraine:Angespanntes Russland, brüchige Waffenruhe

Während europäische Spitzenpolitiker in Mailand diskutieren, bekommt Russland die Auswirkungen der EU-Sanktionen zu spüren. Die Umsetzung des Friedensplans geht hingegen nur schleppend voran. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Antonie Rietzschel und Frank Nienhuysen

In Mailand gehen heute die Gespräche europäischer Spitzenpolitiker über den Konflikt in der Ukraine zu Ende (verfolgen Sie die aktuellen Entwicklungen hier). Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Situation im Osten des Landes, wo sich ukrainische Armee und prorussische Kräfte gegenüberstehen:

Wie steht es um die Friedensvereinbarungen?

Anfang September beschlossen Vertreter der Regierung in Kiew und der prorussischen Separatisten in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ein Waffenstillstandsabkommen, zwei Wochen später kam ein Neun-Punkte-Plan zur vollständigen Befriedung der Ostukraine hinzu. Doch bisher sind die Vereinbarungen nur teilweise umgesetzt worden. Ein Überblick:

  • Die Pufferzone: Kiew hatte sich mit den prorussischen Separatisten darauf geeinigt, eine entmilitarisierte Pufferzone einzurichten. Beide Seiten sollten dafür schweres Geschütz um jeweils 15 Kilometer aus dem Kampfgebiet zurückziehen. So sollen die Konfliktparteien voneinander getrennt werden. Dennoch gibt es immer wieder Anzeichen für Gefechte. Der ukrainischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge sollen bei Donezk Schüsse zu hören sein. Vor zwei Tagen versuchten prorussische Separatisten, den dortigen Flughafen in ihre Gewalt zu bringen. Damit bleibt auch der Waffenstillstand brüchig.
  • Abzug von Kämpfern und Waffen: Unter Aufsicht der OSZE sollen schwere Waffen aus den Ortschaften entfernt werden. Bisher gibt es noch keinen Nachweis dafür. Genauso wenig wie für den Abzug von russischen Freischärlern aus der Ukraine. Und auch für den von Putin angekündigten Abzug russischer Kämpfer von der ukrainischen Grenze gibt es keinen Beweis. Unabhängige Beobachter vor Ort gibt es nicht. Die OSZE ist derzeit nicht in der Lage, den Grenzverlauf an der von Separatisten besetzten Linie mit eigenen Leuten und vor allem mit Hilfe von Drohnen zu kontrollieren.
  • Der Gefangenenaustausch: Auf beiden Seiten soll es immer noch zahlreiche Gefangene geben. Für die USA ist vor allem die Freilassung der Pilotin Nadia Sawtschenko von großer Bedeutung, die in Russland gefangen gehalten wird und deren Schicksal Symbol-Charakter hat.

Wie ist die Situation in den "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk?

Am 21. Oktober wird in der Ukraine ein neues Parlament gewählt. Doch in den zwei so sogenannten Volksrepubliken in Donezk und Luhansk planen derzeit die prorussischen Separatisten die Abhaltung eigener Wahlen, mutmaßlich im November. Gleichzeitig wurde in den von prorussischen Kräften besetzten Bezirken auch mit dem Aufbau einer eigenen Verwaltung begonnen. Renten und Gehälter für Bedienstete der Volksrepubliken sollen an jene ausgezahlt werden, die im Gegenzug ihren ukrainischen Pass abgeben, eine eigene Zentralbank ist in Planung. Zuletzt übernahmen die Separatisten offenbar auch die Macht im Stadtrat von Donezk (mehr dazu in dieser SZ-Analyse).

Welche Wirkungen zeigen die Sanktionen gegen Moskau?

Die Sanktionen treffen Russland, aber das stolze Land versucht die Auswirkungen so gut es geht zu überspielen, auch mit Hilfe der Medien. In einer Umfrage zeigt sich ein großer Teil der Russen überzeugt davon, dass die westlichen Sanktionen letztendlich zu einem Boom der heimischen Industrie führen werden. Die Schmerzen aber sind schon jetzt spürbar. Nach einem neuen Gesetz erhalten russische Unternehmen und Geschäftsleute aus der Staatskasse eine vollständige Entschädigung, sollte ihr Besitz aufgrund der Sanktionen beschlagnahmt werden. Eine Weile könnte das gut gehen, aber die Zeichen stehen wirtschaftlich schlecht für Russland. Und die Summe dieser Subventionen dürfte hoch werden. Vor allem die heimischen Ölkonzerne wie Lukoil oder Rosneft wollen nun, zwangsläufig, weniger investieren, müssen teure Projekte aussetzen, weil sie nun schwerer als bisher langfristige Kredite erhalten.

Russland droht eine Rezession, die nicht nur, aber doch auch mit seinem Verhalten im Ukraine-Konflikt und den daraus folgenden Konsequenzen der EU, der USA und auch Japans zusammenhängt. Aber Russland machen auch jene Sanktionen zu schaffen, die sich das Land freiwillig auferlegt hat. Das Einfuhrverbot von Lebensmitteln aus der Europäischen Union führt nun, beinahe eine Ironie, nun doch nicht unbedingt dazu, dass die russischen Betriebe die Lücke füllen. Stattdessen drängte Präsident Wladimir Putin erst am Donnerstag bei einem Besuch in Belgrad dazu, dass Serbien verstärkt Lebensmittel nach Russland liefere. Im Gegenzug werde Moskau bei der Sanierung maroder serbischer Unternehmen helfen.

Aus der anfänglichen Gelassenheit, dass Russland die Sanktionen auffangen werde, ist greifbare Anspannung geworden. Putin nennt die US-Sanktionen jetzt rücksichtslose Erpressungsversuche. Und sogar Michail Gorbatschow meldet sich wieder vehement zu Wort. Er ruft den Westen zum Ende der Sanktionen auf.

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