Zum Jahrestag der ukrainischen Unabhängigkeit an diesem Mittwoch hat sich der Tonfall zwischen Moskau und Kiew verschärft. Mehrere russische Duma-Abgeordnete forderten am Dienstag nach dem Bombenattentat auf die Kriegsbefürworterin Darja Dugina die Entmachtung der ukrainischen Führung und verstärkten so die Sorgen in der Ukraine, dass Russland rund um den Gedenktag massiv mit Raketen angreift, auch die Hauptstadt Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij, der davor gewarnt hatte, dass Russland am 24. August "etwas besonders Bösartiges" tun könnte, versprach seinen Landsleuten, die von Russland annektierte Krim zurückzuholen. "Ich weiß, dass die Krim zur Ukraine hält und darauf wartet, dass wir zurückkommen", sagte Selenskij. Moskau dürfte sich von diesen Aussagen wiederum provoziert fühlen.
Selenskij eröffnete mit seiner Rede am Dienstag die zweite Krim-Konferenz, an der diesmal fast 60 Staaten und internationale Organisationen teilnahmen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der kanadische Premierminister Justin Trudeau waren am Rande der Kanada-Reise des Kanzlers demonstrativ gemeinsam bei dem virtuellen Gipfel dabei. "Ich kann Ihnen versichern: Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine, solange die Ukraine unsere Unterstützung braucht", sagte Scholz. Der Kanzler sicherte eine Fortsetzung der finanziellen Hilfe und eine Ausweitung der Waffenlieferungen zu. So wolle Deutschland drei zusätzliche Iris-T-Systeme zur Luftverteidigung, ein Dutzend Bergepanzer, 20 Raketenwerfer sowie Präzisionsmunition und Antidrohnengeräte liefern. Einem Regierungssprecher zufolge geht es um Rüstungsgüter im Wert von deutlich mehr als 500 Millionen Euro. Diese kämen jedoch "maßgeblich" erst 2023 in der Ukraine an, so der Sprecher, "einiges deutlich früher".
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Scholz kündigte an, im Oktober im Rahmen der deutschen G-7-Präsidentschaft zu einer Wiederaufbaukonferenz nach Berlin einzuladen. "So früh wie möglich wollen wir internationale Expertise bündeln und Projekte voranbringen, die schon auf dem Tisch liegen", sagte er. Im Anschluss an den Krim-Gipfel sagte der Bundeskanzler bei einer Wirtschaftskonferenz in Toronto: "Wir sind in unserer Unterstützung für die Ukraine vereint, weil die Verteidigung der Ukraine auch bedeutet, die regelbasierte Ordnung zu verteidigen, auf die unsere beiden Länder sich verlassen."
Scholz betonte überdies die Bedeutung Kanadas beim Vorhaben Deutschlands, sich unabhängig von russischen Energielieferungen zu machen. Er hoffe, dass Kanada eine "wichtige Rolle" bei der Lieferung von Flüssiggas (LNG) nach Deutschland spielen werde, sagte Scholz. Vor allem könnten Kanada und Deutschland gemeinsam "technologische und wissenschaftliche Geschichte schreiben" beim Aufbau einer klimaneutralen Wasserstoffproduktion.
Bei einem Stopp in Neufundland hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstag eine Absichtserklärung über die Gründung einer Wasserstoffallianz unterzeichnet. Ziel ist es, "die Wasserstoffwirtschaft anzukurbeln, um eine transatlantische Lieferkette für Wasserstoff deutlich vor 2030 zu schaffen, bei der erste Lieferungen 2025 geplant sind". Habeck sprach von einem "wichtigen Meilenstein".
Für den ukrainischen Präsidenten Selenskij bedeutet die sogenannte Krim-Plattform mit der Teilnahme von Scholz, Trudeau und unter anderem Japans Premier Fumio Kishida einen wichtigen politischen Rückhalt. Er wandte sich in seiner Rede direkt an die Menschen auf der Halbinsel, die völkerrechtlich zur Ukraine gehört, und versuchte dabei, mit wirtschaftlich guten Aussichten zu argumentieren. Er sprach von "katastrophalen ökologischen Gefahren" und "ungekannter Umweltzerstörung" seit Beginn der russischen Annexion 2014. Dagegen sei die Ukraine "kräftig genug, um Perspektiven für die ukrainische Krim" aufzuzeigen. Selenskij will mit dem beteuerten Anspruch auf die Halbinsel zum Jahrestag der Unabhängigkeit versuchen, den Rückhalt in der ukrainischen Bevölkerung zu festigen.
Der ukrainische Präsident rechnet für die nächsten Tage mit massiven Angriffen durch Russland. Dort wurde am Dienstag um die Journalistin Darja Dugina getrauert, die Tochter des Ideologen Alexander Dugin. Die russischen Sicherheitsbehörden machten die Ukraine für den Autoanschlag am Samstagabend verantwortlich, am Dienstag gab es zunehmend Rufe nach Vergeltung. Der Parteichef von "Gerechtes Russland", Sergej Mironow, kündigte an, "der Faschismus muss in seiner Höhle vernichtet werden, die heute leider in Kiew ist". Die Auftraggeber säßen in Washington.
Die US-Sicherheitsdienste warnten davor, dass Russland zum Tag der Unabhängigkeit in der Ukraine und ein halbes Jahr nach Beginn des Kriegs die zivile Infrastruktur und Regierungsgebäude angreife. Kiew hat deshalb für die gesamte Woche Großveranstaltungen verboten und allen Mitarbeitenden im Regierungsviertel empfohlen, von zu Hause aus zu arbeiten.