Süddeutsche Zeitung

Krieg im Nahen Osten:Gaza-Stadt ist umzingelt

Israels Armee hat Gaza-Stadt eingeschlossen, Panzer sind in die Vorstädte vorgestoßen. Hamas-Führer Hanija erklärt, man sei unter Bedingungen zu einer Waffenruhe bereit. Gaza-Stadt ist umzingelt

Ungeachtet aller Bemühungen um eine Waffenruhe haben am Dienstagmorgen die Kämpfe und israelische Bombenangriffe nach Angaben von Bewohnern von Gaza-Stadt an Heftigkeit zugenommen. Der arabische Nachrichtensender al-Dschasira sprach am frühen Dienstagmorgen von einer "beträchtlichen Eskalation" am 18. Tag der Operation gegen die radikalislamische Hamas. Die israelischen Truppen hätten Gaza-Stadt von allen Seiten eingeschlossen und seien auf dem Vormarsch.

Einwohner von Gaza-Stadt sprachen von einer der schlimmsten Angriffsnächte. Augenzeugen sagten, Truppen und Panzer stießen tief in die dichter besiedelten Vorstädte vor. Auch von See aus werde die Stadt beschossen. Die Nachrichtenagentur AFP meldet, palästinensische Kämpfer hätten mit Granatwerfern zurückgeschossen. In Tal el Hawa feuerten Heckenschützen auf die Panzerfahrzeuge, die nach Mitternacht in das Viertel eindrangen.

In Gaza-Stadt waren auf Live-Bildern bei al-Dschasira erneut zahlreiche schwere Explosionen zu sehen. Ein Einwohner von Gaza sagte, überall brenne es. Über mögliche Opfer gab es zunächst keine Angaben. Die israelische Armee bestätigte die Offensive in Gaza. Die Anstrengungen, die Stadt einzukesseln, würden verstärkt, sagte General Ejal Eisenberg vor Journalisten. Auch in Beit Lahija und Dschabalija nördlich von Gaza gab es heftige Kämpfe.

Hamas-Führer Hanija: Sind bereit zu Waffenruhe

Die Führung der radikalislamischen Hamas im Gaza-Streifen signalisierte ihre Bereitschaft zu einer Waffenruhe. Die Hamas sei zur Zusammenarbeit für jede Initiative bereit, die "die Aggression gegen unser Volk beendet", sagte der hochrangige Hamas-Führer Ismail Hanija am Montag in einer Fernsehansprache. Bedingung sei jedoch ein Abzug der israelischen Truppen aus dem Gaza-Streifen und eine Öffnung aller Grenzübergänge.

Israel hatte am 17. Tag der Militäroperation den Druck auf die Hamas weiter erhöht. Die angedrohte dritte Einsatz-Phase mit einem Vorrücken in die Stadt wurde jedoch noch nicht angeordnet. Hanija rief die rund 1,5 Millionen Palästinenser im Gaza-Streifen zum Durchhalten auf. Gaza werde nicht zusammenbrechen und der Sieg sei nah, versprach er. Es war die zweite Fernsehansprache Hanijas seit dem 31. Dezember. Aus Furcht vor einem Attentat ist er wie andere Hamas-Führer seit Beginn der israelischen Offensive am 27. Dezember im Gaza-Streifen untergetaucht. Die Führung der Hamas ist zersplittert, weshalb schwer einzuschätzen ist, welches Gewicht Hanijas Aussage besitzt.

Der UN-Sicherheitsrat trifft am Dienstag erneut zu Beratungen über die Lage im Gaza-Streifen zusammen. Das teilten die Vereinten Nationen in New York mit. Das höchste UN-Gremium hatte erst am Freitag nach tagelangem Ringen eine Resolution verabschiedet, die beide Konfliktparteien zu einer sofortigen Waffenruhe verpflichtete. Zwangsmittel zur Durchsetzung seiner Forderungen hat der Sicherheitsrat nicht.

UN-Generalsekretär reist in die Region

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will sich auf seiner bevorstehenden Nahost-Reise für ein sofortiges Ende der Gefechte im Gaza-Streifen einsetzen. Er werde die diplomatischen Bemühungen um ein Ende der israelischen Luft- und Bodenoffensive sowie der Raketenangriffe der Hamas verstärken, kündigte der Südkoreaner in New York an. Er zeigte sich frustriert und verärgert über die Weigerung beider Seiten, die jüngste UN-Resolution für eine Waffenruhe zu beachten. "Meine Botschaft ist einfach, direkt und schnörkellos: die Kämpfe müssen aufhören", sagte Ban. "Ich sage beiden Seiten: Hört jetzt auf!"

Der UN-Generalsekretär wird am Mittwoch zunächst Ägypten und Jordanien besuchen und anschließend nach Israel, Syrien, Kuwait, in die Türkei und in den Libanon weiterreisen. Nach New York kehrt er am 20. Januar zurück, dem Tag der Amtseinführung des künftigen US-Präsidenten Barack Obama. Er werde Obama auffordern, den Nahen Osten zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit zu machen.

Die Zahl der seit Beginn der Militäroffensive getöteten Palästinenser stieg nach Angaben der Behörden in Gaza auf mehr als 900. Mehr als 4300 Personen seien verletzt worden. Auf israelischer Seite starben bislang 13 Menschen - neun Soldaten sowie vier Zivilisten, die durch Raketen militanter Palästinenser getötet wurden.

Israel hielt am Vormittag erneut drei Stunden lang eine Feuerpause im Gaza-Streifen ein. 165 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern durften in das umkämpfte Gebiet einfahren. Die Armee warf Hamas vor, erneut mit Raketenangriffen gegen die Feuerpause verstoßen zu haben.

Die UN riefen unterdessen die ölreichen Golfstaaten zu Spenden für die notleidende Zivilbevölkerung auf. Für Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente würden schätzungsweise 100 Millionen Dollar benötigt, erklärte das UN-Koordinationsbüro für humanitäre Angelegenheiten auf einer Geberkonferenz in Dubai.

Seit Beginn der israelischen Offensive spendeten laut UN-Angaben von den Golfstaaten lediglich Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Geld für die Palästinenser an Organisationen der Vereinten Nationen. Nach UN-Schätzungen wurden seit Beginn der Angriffe im Gaza-Streifen am 27. Dezember mehr als 880 Palästinenser getötet und 3860 verletzt. Mehr als 25.000 Flüchtlinge suchten in UN-Einrichtungen Zuflucht.

Der UN-Menschenrechtsrat verurteilte die israelische Militäroperation. Auf einer Sondersitzung in Genf forderte er ebenfalls eine sofortige Waffenruhe. Außerdem sollte eine internationale Untersuchungskommission in das Gebiet entsandt werden.

Trotz ihrer bislang tiefsten Vorstöße nach Gaza-Stadt gelang es den israelischen Truppen nicht, den Abschuss von Raketen aus dem Gaza-Streifen zu stoppen. Militante Palästinenser schossen am Montag wieder mindestens 15 Raketen auf den Süden Israels ab. Es gab zwar keine Berichte über Verletzte, ein Wohnhaus in der Stadt Aschkelon wurde aber von einer Rakete voll getroffen.

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