Süddeutsche Zeitung

Krieg im Gaza-Streifen:Gerüstet fürs Verderben

Israels Krieg gegen die Hamas nützt auch der Fatah. Das heizt den Machtkampf der beiden palästinensischen Organisationen an.

T. Schmitz, Tel Aviv

Die israelische Regierung hütet sich davor, genau zu formulieren, was eigentlich das Ziel der Vergeltungsoffensive im Gaza-Streifen ist. Die Untersuchungskommission zum Libanonkrieg hatte Regierungschef Ehud Olmert vorgeworfen, planlos und überstürzt im Sommer 2006 den Krieg gegen die Hisbollah-Miliz gestartet zu haben.

Olmert, der jetzt wenige Wochen vor dem Ausscheiden aus dem Amt des Premierministers den zweiten Krieg zu verantworten hat, war zudem vorgeworfen worden, die erklärten Kriegsziele damals nicht verwirklicht zu haben. Olmert hatte versichert, Hisbollah solle entwaffnet und zerstört werden.

Das Ziel lautet: die Fatah an die Macht bringen

Tatsächlich aber hat die schiitische Miliz heute wieder ihre Waffenarsenale gefüllt, zerstörte Bunker renoviert und Tausende neue Mitglieder rekrutiert. Vage und vorsichtig formuliert Olmert daher nun, mit der Offensive "Gegossenes Blei" solle die "Sicherheitslage im Süden Israels" geändert werden.

Verteidigungsminister Ehud Barak wurde konkreter und sagte, Israels Armee sei gewillt, bis "zum bitteren Ende" zu kämpfen. Doch blieb er die Antwort schuldig, was das bittere Ende für ihn bedeutet.

Die massiven Luftangriffe deuten jedoch darauf hin, dass Israel nicht nur an der Zerstörung von Waffendepots und Tunnel der Hamas interessiert ist, sondern die 1987 als Abspaltung der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründete Organisation gleich ganz stürzen und zerstören möchte.

Entweder, heißt es in israelischen Medien, Hamas kapituliere freiwillig, oder aber Israel werde tatsächlich eine Bodenoffensive starten.

Das langfristige Ziel Israels ist es, die Verantwortung für den Gaza-Streifen komplett abzugeben und Ägypten zu übertragen - was Ägypten wiederum verhindern möchte. Deshalb weigert sich auch Staatschef Hosni Mubarak, die Rafah-Grenze zum Gaza-Streifen zu öffnen.

Da Israels Regierung sich weigert, mit der radikalislamischen Hamas zu verhandeln, ist das kurzfristige Ziel für den Gaza-Streifen, dort wieder die Fatah-Organisation von Palästinenserpräsident Machmud Abbas an die Macht zu bringen.

Zehntausende Mitarbeiter der Autonomiebehörde, die der Fatah angehören, haben seit dem Putsch der Hamas im Juni 2007 nicht mehr für die Behörde gearbeitet, aber weiterhin ihren Lohn überwiesen bekommen, damit sie Abbas treu bleiben.

Die Militäroffensive könnte mit Abbas abgesprochen sein. Darauf lassen dessen überraschend zahme Worte schließen.

Der Palästinenserpräsident verurteilte zwar den Gaza-Krieg der israelischen Armee, wie er stets israelische Armee-Einsätze verurteilt. Abbas sagte aber auch, dass Hamas und der Raketenkrieg daran schuld seien.

Abbas und seine Fatah erhoffen sich womöglich, dass Israels Armee sozusagen die Dreckarbeit übernimmt und so den Fatah-Sicherheitskräften den Weg an die Macht im Gaza-Streifen ebnet.

Auch der Zeitpunkt des israelischen Militärschlags spricht für die These, dass Abbas von Israel eingeweiht wurde: Am 9. Januar läuft seine Amtszeit als Präsident offiziell aus. Abbas hatte erklärt, er werde per Dekret im Amt bleiben bis zu Neuwahlen im Januar 2010, woraufhin Hamas gedroht hatte, einen eigenen Präsidenten zu ernennen.

Der für die palästinensischen Gebiete zuständige Journalist Khaled Abu Toameh von der Jerusalem Post sagt, ihm lägen Informationen vor, wonach die Autonomiebehörde in Ramallah Vorbereitungen für eine Machtübernahme der gemäßigten Fatah-Gruppe im Gaza-Streifen getroffen habe.

In Gesprächen mit Mitarbeitern aus dem Umkreis von Abbas habe ihm ein Berater von Abbas mitgeteilt: "Wir sind bestens auf eine Machtübernahme im Gaza-Streifen vorbereitet. Die Menschen dort haben die Herrschaft der Hamas satt und wollen eine neue Regierung."

Die früheren Fatah-Mitarbeiter der Autonomiebehörde und der Sicherheitsdienste im Gaza-Streifen, die seit der Hamas-Machtergreifung zu Hause sitzen, seien "informiert worden, dass sie womöglich in naher Zukunft wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren" würden.

Aussöhnung derzeit unrealistisch

In der Tageszeitung Jediot Achronot stand dieser Tage, dass die Autonomiebehörde in Ramallah auch bereit sei, Sicherheitskräfte der Fatah vom Westjordanland in den Gaza-Streifen zu entsenden, falls das Hamas-Regime dort gestürzt werde.

Eine Aussöhnung zwischen Hamas und Fatah und damit die Wiederaufnahme von Versöhnungsgesprächen zwischen den verfeindeten Palästinensergruppen scheint derzeit völlig unrealistisch zu sein.

Aus dem Gaza-Streifen, der von Israel für Journalisten gesperrt ist und aus dem bislang nur Palästinenser Informationen liefern, kommen Berichte, dass bewaffnete Hamas-Mitglieder zur Zeit durch die überfüllten Krankenhäuser liefen auf der Suche nach Fatah-Mitgliedern.

Manche verletzte Fatah-Mitglieder würden noch in den Krankenhäusern erschossen, weil sie dem israelischen Geheimdienst Angaben über Orte von Hamas-Führern und Waffendepots geliefert haben sollen.

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SZ vom 31. Dezember 2008 und 1. Januar 2009/odg
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