Süddeutsche Zeitung

Krieg im Gaza-Streifen:Die Pause vor dem Sturm

Wenn Worte und Wirklichkeit nicht zusammenpassen: Mit jedem Tag feuert Hamas mehr Raketen auf Ziele in Israel. Der Vorschlag, 48 Stunden die Waffen ruhen zu lassen, könnte zum Beginn der Bodenoffensive im Gaza-Streifen werden.

Thorsten Schmitz

Sechs Tage nach Beginn der israelischen Offensive gegen die Hamas klaffen Worte und Wirklichkeit klar auseinander. Glaubt man den Tag und Nacht verbreiteten Meldungen der Streitkräfte, dann haben die massiven Luftangriffe die Terror-Struktur der radikal-islamischen Organisation bereits zu einem Viertel zerstört. In den Nachrichtensendungen brüsten sich Armee-Sprecher mit der Zerstörung von Dutzenden von Tunneln, durch die Sprengstoff in den Gaza-Streifen geschmuggelt worden sei; sie rühmen sich der Schläge gegen die Islamische Universität, in der man gegen den "zionistischen Feind" hetzte, gegen Moscheen, in denen sich Waffendepots befunden haben sollen. Doch mit jedem Tag feuert Hamas mehr Raketen auf Ziele in Israel, und diese fliegen mitunter bis zu 40 Kilometer weit.

Wie im Libanonkrieg vor zweieinhalb Jahren sind auch bei der Operation "Gegossenes Blei" die Ziele für die Luftwaffe nach tagelangem Bombardement weitestgehend ausgereizt. Will Israel, wie Premier Ehud Olmert unablässig betont, tatsächlich den Raketenregen der Hamas stoppen, muss es mit Bodentruppen in das am dichtesten bevölkerte Gebiet der Erde vordringen. Darauf warten die rund 15.000 bis 20.000 Hamas-Mitglieder geradezu. Den Luftangriffen können sie kaum etwas entgegensetzen, am Boden aber wäre die Guerillagruppe im Vorteil. Seit Monaten hat sich die Hamas auf einen Einmarsch der israelischen Armee vorbereitet und das Gebiet vermint, um Panzer in die Luft zu sprengen. Auch spekuliert sie darauf, israelische Soldaten aus dem Hinterhalt überfallen und entführen zu können.

Führungsspitze ist sich nicht einig

Trotz dieser Gefahren hält Generalstabschef Gabi Aschkenasi bislang an den Einmarschplänen fest. Er reagierte deshalb überrascht, als Verteidigungsminister Ehud Barak den französischen Vorschlag für eine Waffenpause unterstützte. Obwohl die israelische Regierung nach dem verfehlten Libanonkrieg vermeiden wollte, dass sich die Führungsspitze der Öffentlichkeit uneins präsentiert, werden nun wieder Risse in der Regierungs- und der Armeefront sichtbar.

Einvernehmen herrschte zunächst über den Beginn der massivsten Gaza-Offensive seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, nun aber gibt es Uneinigkeit darüber, wie und wann der Einsatz beendet werden soll. Olmert zeigt sich - trotz der heftigen Kritik einer Untersuchungskommission an seinem Handeln während des Libanon-Krieges - überzeugt, dass jetzt nicht der Zeitpunkt sei, eine 48-stündige Waffenpause zu verkünden. Die Ziele, so Olmert am Donnerstag, seien "noch längst nicht erreicht".

Olmerts Absicht unklar

Es sei unvorstellbar, hatte ein Sprecher aus Olmerts Büro am Silvestertag gesagt, dass Israel eine Waffenruhe erklären werde und anschließend der Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen weitergehe. Was genau Olmert jedoch mit dem Gaza-Krieg bezweckt, bleibt unklar. Er spricht lediglich davon, dass der Krieg gegen die Hamas eine "dauerhaft veränderte Sicherheitslage im Süden Israels" bringen sollte.

Außenministerin Tzipi Livni steht Olmert diesmal bei, im Libanonkrieg verlangte sie dagegen bereits nach einer Woche eine diplomatische Lösung. Livni ist kaum wiederzuerkennen seit Beginn der Offensive. Ihre neue Rhetorik, mit der sie vermutlich auch Stimmen im rechten Lager für die Parlamentswahl im Februar gewinnen möchte, scheint unvereinbar mit ihren versöhnlich klingenden Aussagen vom vergangenen Jahr, als sie mit der moderaten Palästinenserführung aus Ramallah im Westjordanland Friedensgespräche führte. Nun erklärt Livni, die Operation sei "noch längst nicht abgeschlossen", und Israel werde nicht zulassen, dass "Verbrecher" und "Tyrannen" weiter ungestraft Raketen abfeuerten.

Verteidigungsminister Barak war zunächst auch gegen den Vorschlag des französischen Außenministers Bernard Kouchner für einen vorübergehenden Stopp des Armee-Einsatzes. Wenige Stunden später überlegte es sich Barak aber anders und versicherte Kouchner, er werde mit Olmert und Livni reden. Beide lehnten die Waffenruhe nach stundenlanger hitziger Debatte ab.

Dennoch flog Livni am Donnerstag nach Paris, um den für Montag geplanten Besuch von Kouchner in Israel vorzubereiten. Angeblich soll auch Präsident Nicolas Sarkozy nach Israel reisen. Und israelische Medien berichten, die Chancen für einen zweitägigen Stopp der Militäroperation würden steigen. Dann könnte Israel testen, ob Hamas ebenfalls die Waffen schweigen lasse, hieß es. Sollte Hamas aber in den 48 Stunden nur eine Rakete auf Israel feuern, würde dies den Startschuss für die Bodenoffensive bedeuten - und sie legitimieren.

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SZ vom 02.01.2009/mel
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