Krieg im Gaza-Streifen:Das arabische Dilemma

Außenpolitisch sind den arabischen Regierungschefs die Hände gebunden, innenpolitisch sitzt ihnen das Volk im Nacken. Und der Krieg im Gaza-Streifen kann jederzeit auf die Nachbarländer übergreifen.

Tomas Avenarius

Während Israel den Gaza-Streifen bombardiert und immer mehr Verletzte und Tote vor Notaufnahmen und Leichenhallen liegen, sind die arabischen Präsidenten und Könige zum Zuschauen verdammt.

Krieg im Gaza-Streifen: Ein Kind verletzt, das andere tot: Samera Baalusha (r.) weint um ihre vierjährige Tochter. Ihr Sohn Mohamad überlebte den israelischen Angriff. Der Krieg stürzt die arabischen Nachbarländer in ein Dilemma.

Ein Kind verletzt, das andere tot: Samera Baalusha (r.) weint um ihre vierjährige Tochter. Ihr Sohn Mohamad überlebte den israelischen Angriff. Der Krieg stürzt die arabischen Nachbarländer in ein Dilemma.

(Foto: Foto: Getty Images)

Als Beleg für ihre Machtlosigkeit vertagte die Arabische Liga ihre Dringlichkeitssitzung zum Krieg in Gaza; klarer kann sich arabische Schwäche nicht offenbaren. Gleichzeitig füllen Demonstranten die zentralen Plätze von Kairo, Amman oder Sanaa. Sie schreien nach "Vergeltung für die israelische Aggression".

Während den arabischen Regierungschefs also außenpolitisch die Hände gebunden sind, sitzt ihnen innenpolitisch das Volk im Nacken. Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern kann jetzt jederzeit auf Nachbarstaaten wie den Libanon überspringen. So bringt der Gaza-Krieg das ganze Nahost-Dilemma zum Vorschein.

Operation "Gegossenes Blei" hat die israelische Armee ihre Offensive gegen die Hamas getauft. Operation "Unnütz vergossenes Blut" wäre passender. Die arabischen Führer ahnen nach drei Tagen und 300 palästinensischen Toten: So ist das Hamas-Problem nicht zu lösen. Mit Bomben und Raketen lässt sich kein Keil zwischen die Islamisten und die Bevölkerung im Gaza-Streifen treiben.

Die Erwartung, wonach mehr palästinensisches Leid zu größerer Sicherheit für Israel führen wird, ist unbegründet. Nicht, weil die Menschen die Hamas liebten. Sie tun es längst nicht mehr. Aber wer Bruder, Schwester oder Sohn im Bombenhagel verliert, wird seine Stimme keinem Israel-freundlichen Politiker geben.

Zumindest in den ersten Wochen werden sich die Menschen um die Islamisten-Regierung und ihre Militanten scharen. Allenfalls nach längerer Zeit - und sehr viel mehr Toten - könnte sich dies ändern. Das würde allerdings einen unvorstellbaren Blutzoll erfordern. Auch eine Sicherheitszone wäre nur von begrenztem Nutzen.

Hamas hat immer Wege gefunden, den Terror nach Israel zu tragen. Wenn keine Raketen mehr über den Grenzzaun fliegen, dann sprengen sich in Tel Aviv eben wieder Hamas-Anhänger in die Luft. Allenfalls eine Bodeninvasion und eine neue Besatzung des ganzen Gaza-Streifens könnte vorübergehend zu mehr Kontrolle führen. Aber dies ist angesichts von 1,5 Millionen Gaza-Palästinensern keine Lösung von Dauer.

Während Israel und die Hamas also einen erkennbar unsinnigen Krieg führen, wächst der Unmut in den arabischen Nachbarstaaten. Der libanesische Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ließ den Ägypter Hosni Mubarak wissen, dass dieser mitschuldig werde, wenn er die Grenze zwischen Gaza und Ägypten geschlossen halte.

Nasrallah hat leicht reden. Über die mögliche Massenflucht Zehntausender Palästinenser auf ägyptisches Gebiet muss er sich keine Sorgen machen. Auch nicht über Hamas-Attacken von Ägypten aus. Und schon gar nicht über die Absprache, die Mubarak mit den USA und Israel getroffen hat: Hamas soll in Gaza eingedämmt werden, die zerstrittenen Palästinenser sollen sich versöhnen und so die Bedingungen für israelisch-palästinensische Friedensgespräche erfüllen.

Durch den Gaza-Krieg aber wird Ägyptens pro-westliche Bindung unterspült, wird die Politik Mubaraks gefährdet. Auch ein autoritärer Herrscher wie Mubarak muss auf die Stimmung in der Bevölkerung achten. Also wird er die Grenze nach ein paar Tagen Krieg wohl öffnen müssen. Sonst wird Hamas sie stürmen lassen.

Das Dilemma Mubaraks ist das aller arabischen Regime: Nach einer Weile lassen sich die Leiden der Palästinenser nicht länger ignorieren, wenn der Druck der Straße zu groß wird. Syriens Staatschef Baschar Hafis al-Assad legt bereits die mittelbaren Friedensgespräche mit Israel auf Eis, und die Regierung im Libanon kann der Rhetorik der Islamisten wenig entgegensetzen.

Hisbollah-Chef Nasrallah hat seine Kämpfer an der Grenze zu Israel mobilisiert. Das ist eine Warnung: Der Krieg um Gaza kann leicht den gesamten Nahen Osten entflammen. Selbst wenn der Konflikt auf Gaza begrenzt bleiben sollte, wächst die Instabilität, zeigen sich neue Risse im Fundament der arabischen Regime.

Dieser Krieg schafft keine sichere Zukunft. Mit jeder Bombe liefert Israel seinen Gegnern neue Argumente, schwächt es die gemäßigten Regierungen. Iran, der große Unsicherheitsfaktor im Nahen Osten, nutzt die Stunde. Teheran trommelt schon zum gesamtarabischen Aufstand gegen "das zionistische Gebilde". Iran macht gegenüber Mubarak und den arabischen Königen Punkte im Wettbewerb um regionale Führung.

Der neue Gaza-Krieg bestätigt die alte Binsenweisheit: Ohne Lösung des Palästina-Problems wird es in Nahost keine Ruhe geben, werden die morschen arabischen Regime weiter erodieren. Aber Israel ist nicht friedenswillig. Jedenfalls nicht zu den Bedingungen der UN.

Die Palästinenser sind ebenso wenig bereit zur Aussöhnung. So wird es nach langen Tagen des Tötens in Gaza eine diplomatische Lösung geben, mit der die Probleme nicht gelöst, sondern verkleistert werden. Bestenfalls.

Schlimmstenfalls greift der Konflikt über auf den Libanon oder auf Iran. Als Einsicht bleibt: Bomben können politische Konzepte nicht ersetzen. Derzeit tun sie es dennoch.

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