Ukraine-Krieg: Jahr voll der Veränderung

Ukraine-Krieg: "Liebes deutsches Volk, lieber Herr Bundespräsident, lieber Herr Kanzler, lieber Olaf": Der ukrainische Präsident war in Schloss Bellevue, per Video zugeschaltet, der Ton war freundschaftlich.

"Liebes deutsches Volk, lieber Herr Bundespräsident, lieber Herr Kanzler, lieber Olaf": Der ukrainische Präsident war in Schloss Bellevue, per Video zugeschaltet, der Ton war freundschaftlich.

(Foto: Regina Schmeken)

Wie sich ukrainische und deutsche Politiker am Jahrestag von Russlands Überfall auf die Ukraine in Berlin begegnen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Dass an diesem Tag etwas anders ist als früher, merkt man schon bei der Begrüßung. "Liebes deutsches Volk, lieber Herr Bundespräsident, lieber Herr Kanzler, lieber Olaf", sagt Wolodimir Selenskij gleich zur Begrüßung. Im Berliner Schloss Bellevue sind Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz und viele andere aus Staat und Gesellschaft zusammengekommen, um an den Kriegsbeginn vor einem Jahr zu erinnern. Der ukrainische Präsident spricht in einer Videobotschaft zu ihnen. Und dass er den Kanzler demonstrativ duzt, soll ganz offensichtlich eine Botschaft sein: Die lange Zeit, in der es zwischen den Spitzen Deutschlands und der Ukraine regelmäßig Verwerfungen gab, ist vorbei. Zumindest für diesen Tag.

Selenskijs Videobotschaft ist nicht besonders lang, aber ziemlich klar. "Von den ersten Minuten der russischen Invasion an war Deutschland mit uns - Deutschland hilft uns, die Ukrainer vor russischem Terror zu schützen", lobt Selenskij. Niemand werde mehr eine Aggression gegen eine andere Nation wagen, wenn er wisse, dass die freie Welt diese Nation verteidigen wird. Und niemand werde "den 24. Februar des letzten Jahres mehr wiederholen, wenn er weiß, dass auf dem gesamten Territorium der Ukraine kein einziger Besatzer geblieben ist". Er danke dem deutschen Volk, dem Bundespräsidenten und "Olaf" deshalb für die Unterstützung, "danke, dass Sie dieses Jahr mit uns waren".

Zum Schluss sagt Selenskij noch: "Ehre sei allen, die für die Freiheit kämpfen, Slawa Ukrajini!" Dann verschwindet er von der Leinwand - und im Saal wird einträchtig geklatscht. Zwischen Scholz und Steinmeier sitzt der Botschafter der Ukraine, Oleksij Makejew. Die drei scheinen sich hervorragend zu verstehen. Am Ende der Veranstaltung wird Makejew sagen, so einen Verbündeten wie Deutschland zu haben, sei für ihn und seine Landsleute "die tollste Sache".

Was für ein Unterschied zum vergangenen Jahr. Der damalige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ließ kaum eine Möglichkeit aus, frühere Fehler in der deutschen Russland-Politik zu brandmarken und die zögerlichen Waffenlieferungen zu beklagen. Der Diplomat fiel dabei nicht durch diplomatisches Vorgehen auf, er ging den Bundespräsidenten und den Kanzler immer wieder hart an. Als die Ukraine im vergangenen April einen Besuch des Bundespräsidenten ablehnte, war das Verhältnis vollkommen zerrüttet. Steinmeier war persönlich getroffen, einen vergleichbaren Vorfall hatte er noch nicht erlebt. Und Scholz sagte, er werde wegen des Umgangs mit Steinmeier vorerst nicht in die Ukraine reisen. Melnyk ätzte daraufhin: "Eine beleidigte Leberwurst zu spielen klingt nicht sehr staatsmännisch."

Man kann dem Bundespräsidenten die Freude darüber, dass diese Zeit vorbei ist, anmerken. Und der Kanzler dürfte auch froh sein, nicht mehr ständig angegangen zu werden. Sowohl Scholz als auch Steinmeier waren inzwischen in der Ukraine.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Deutschland inzwischen ganz anders agiert als früher. Steinmeier spricht das in seiner Rede im Schloss Bellevue selbst an. Russlands Angriffskrieg habe die europäische Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt, sagt der Bundespräsident. Heute müsse man deshalb anders denken und anders handeln als früher. Das bedeute, dass man jetzt auch Entscheidungen treffe, die man vor ein, zwei Jahren noch für unvorstellbar gehalten habe. Deutschland helfe der Ukraine inzwischen "in einem militärisch nie dagewesenen Ausmaß", man sei jetzt "der größte Unterstützer der Ukraine auf dem europäischen Kontinent".

Jetzt trägt sie ein Kleid, vor einer Woche war sie noch im Kampfanzug

Bei der Veranstaltung im Schloss Bellevue, zu der Steinmeier übrigens zusammen mit dem ukrainischen Botschafter geladen hat, gibt es aber nicht nur Reden von Steinmeier, Selenskij und Makejew, sondern auch ein Podiumsgespräch. An ihm nehmen unter anderen die Verlegerin Kateryna Mishchenko, die Sängerin Kateryna Polischuk ("Ptaschka") und die Lehrerin Viktoria Pradiichuk teil. Die drei Ukrainerinnen berichten, wie der Krieg ihr Leben verändert hat.

Ukraine-Krieg: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, am Freitag in Berlin.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, am Freitag in Berlin.

(Foto: Regina Schmeken)

Pradiichuk ist nach Freiberg geflohen und unterrichtet dort Kinder. Mishchenko lebt jetzt ebenfalls in Deutschland, ihr Mann ist aber noch in der Ukraine. Sie sorge sich um ihn, sagt Mishchenko. Viel zu viele Menschen seien ums Leben gekommen, in der Ukraine tobe ein "verschlingender Krieg". Und Polischuk erzählt, sie sei zwar in einem Kleid gekommen, vor einer Woche aber noch im Kampfanzug gewesen. Die ausgebildete Opernsängerin war im vergangenen Jahr als Freiwillige an die Front gegangen und versorgte dort Verwundete. Ihr bester Freund ist in ihren Armen gestorben, auch ihr Verlobter ist gefallen. Mehr als 80 Tage lang war die 21-Jährige mit ukrainischen Kämpfern im Asow-Stahlwerk eingeschlossen. Es gibt Videos, auf denen zu hören ist, wie sie dort für die Kämpfer singt. Sie wolle ihr Land auch weiterhin verteidigen, sagt Polischuk. Und dann singt sie auch im Schloss Bellevue. Ein Lied, dass zur Zeit auf vielen Beerdigungen in der Ukraine gespielt wird. Es ist der eindrucksvollste Moment der Veranstaltung.

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