Kirche:Krieg allgegenwärtig: Ukrainer feiern Weihnachten in Hessen

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Gläubige bekreuzigen sich während eines Gottesdienstes zum ukrainischen Weihnachtsfest. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Mit ihren Gedanken sind die Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg geflohen sind, daheim in der Ukraine. Daneben versuchen sie, ihren Alltag in Deutschland zu organisieren. Probleme gibt es häufig bei der Suche nach einer angemessenen Unterkunft.

Von Isabell Scheuplein (Text) und Sebastian Gollnow (Fotos), dpa

Frankfurt/Main (dpa/lhe) - Fern ihrer Heimat haben Tausende Ukrainer am Wochenende auch in Hessen Weihnachten gefeiert. In Frankfurt kamen zu einem Gottesdienst mehr als 100 Menschen zusammen, entzündeten Kerzen und beteten gemeinsam. „Wir erleben jetzt schreckliche Zeiten. Wir müssen zusammenhalten“, sei seine Botschaft an die Gläubigen, sagte der Priester der orthodoxen Kirche der Ukraine, Petro Bokanov, am Samstagabend in Frankfurt. Zuvor feierte Bokanov einen Gottesdienst in Darmstadt, am Sonntag war einer in Birkenau (Kreis Bergstraße) geplant. Nach dem unter anderem in der Ukraine befolgten Kirchenkalender wird der Weihnachtsfeiertag am 7. Januar begangen.

Weihnachten sei das Fest der Liebe, der Hoffnung und der Erlösung. „Das ist genau das, was wir jetzt in diesen schwierigen Kriegszeiten brauchen“, sagte Bokanov. Die Menschen, die aus der Ukraine geflohen seien, bräuchten Beistand. Ein Teil ihres Herzens und ihrer Seele sei in der Heimat geblieben. „Das ist eine tiefe Wunde.“ Viele von ihnen hätten kein Zuhause mehr, da es entweder besetzt oder zerstört sei. „Die Männer sind dort geblieben, das tut weh“, sagte Bokanov, der aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew stammt und vor 25 Jahren nach Deutschland kam. Er berichtet von Getöteten und Gefangenen aus seinem Bekanntenkreis.

Bokanov lebt in Mannheim und ist Programmierer. Als Priester ist er ehrenamtlich im Einsatz. Den Gottesdienst in einer katholischen Kirche feiert er in festlichem Ornat, er hat Ikonen aufgestellt und das Pult mit einer ukrainischen Fahne bedeckt. Das gemeinsame Gebet am Weihnachtsfeiertag bewegt die Menschen, eine Frau wischt ihre Tränen mit einem Taschentuch ab, ein Mann legt eine Hand auf sein Herz.

Der Gottesdienst bedeute ihr viel, sagt Lali Davitidze, die vergangenes Jahr aus der Nähe von Kiew geflohen und im März in Deutschland angekommen ist. „Weihnachten ist Hoffnung“, sagt die 48-Jährige. In Gedanken sei sie bei ihrer Familie. Ihr Mann sei noch in der Ukraine, ihre Eltern in Georgien.

Julia Pitsyk sagt, mit dem Gottesdienst könne sie Einheit mit ihrem Land und seinen Menschen erleben. „Mit meiner Seele bin ich in der Ukraine“, sagt die 28-Jährige. Sie sei dankbar für die Unterstützung hier in Deutschland. Als Dolmetscherin hilft sie mit ihren guten Deutschkenntnissen anderen Flüchtlingen. Eine gute Unterkunft zu finden gehöre zu den größten Problemen, berichtet sie.

Das bestätigt Viktoriia von Rosen vom Ukrainian Coordination Center (UCC) in Frankfurt, das aus der Ukraine stammende Freiwillige vergangenes Jahr ins Leben riefen. Auch Flüchtlinge packen hier mit an. Neben Hilfe im Alltag und im Umgang mit Behörden gibt es unter anderem Sprachkurse, Bastelgruppen für Kinder und gemeinsames Kochen. „Der Zusammenhalt ist für die Menschen sehr wichtig, um Kraft zu schöpfen“, sagt von Rosen.

Hessen hat im Jahr 2022 nach Angaben der Staatskanzlei etwa 80.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. „Der Zugang aus der Ukraine unterliegt starken Schwankungen“, teilte das Sozialministerium mit. Eine valide Prognose für das neue Jahr sei nicht möglich.

Die katholische Hilfsorganisation Caritas International hatte vergangene Woche angesichts der russischen Angriffe auf die Infrastruktur in der Ukraine erklärt, dies könne weitere Menschen zur Flucht zwingen. Der UN-Flüchtlingshilfe zufolge leben fast acht Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer als Flüchtlinge in europäischen Ländern.

Die Stadt Frankfurt rechnet angesichts des schon vor Beginn des Angriffs auf die Ukraine „äußerst angespannten“ Wohnungsmarktes auch im neuen Jahr nicht mit großen Verbesserungen bei der Unterbringung der geflohenen Menschen. Die Kommune hat zahlreiche Hotelzimmer angemietet, derzeit für rund 1500 Ukrainerinnen und Ukrainer. Weitere rund 300 Frauen und Kinder lebten auf Kosten einer Stiftung in einem Hotel, erklärte das zuständige Dezernat.

Trotz Problemen wie räumlicher Enge sei derzeit keine andere Lösung in Sicht, erklärt ein Sprecher. Auch in als Notunterkunft dienenden Hallen mit nach oben offenen Kabinen und Gemeinschaftsküchen seien ukrainische Flüchtlinge untergebracht, rund 180 Menschen seien dies derzeit in Frankfurt.

© dpa-infocom, dpa:230108-99-142363/3

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