Michael Kretschmer hat schon das erste emissionsfreie Walzwerk der Welt eröffnet an diesem Tag, er hat dort einen Spaten in die Erde gerammt, wo das Herzzentrum der Uniklinik Dresden entstehen wird – und dann soll er auch noch sagen, was er an Sahra Wagenknecht schätzt. Es ist Donnerstagabend, Sachsens CDU-Ministerpräsident sitzt mit der früheren Linken-Politikerin auf einer Dresdner Hotelbühne, um auf Einladung von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung vor 350 ausgewählten Lesern über „zentrale Zukunftsfragen“ zu sprechen.
Eine interessante Konstellation, denn Wagenknecht hat im vergangenen Jahr Kretschmers zentrale Zukunftsfrage, die nach einer gemeinsamen Regierungskoalition in Sachsen, mit einem abrupten Nein beantwortet. Seither regiert die CDU gemeinsam mit der SPD in einer Minderheitskoalition, die sich seit Wochen in zähen Verhandlungen müht, im Parlament die fehlenden zehn Stimmen für die Verabschiedung ihres Haushalts einzusammeln.
Kretschmer findet es immer noch schade, dass keine Koalition zustande kam
Bisher habe er Wagenknecht nur ein einziges Mal persönlich getroffen, sagt Kretschmer am Donnerstagabend und lobt diesen Austausch aus dem vergangenen Herbst als sehr wohltuend. Ganz freiwillig kam der freilich nicht zustande. Er war Teil eines Forderungskatalogs, den Wagenknecht für eine Regierungsbeteiligung ihres BSW in den Ländern aufgestellt hatte. Doch anders als in Thüringen oder Brandenburg kam es in Sachsen nicht zu einer Koalition.
Warum, darüber gehen die Meinungen noch immer auseinander. Kretschmer hatte seinerzeit Wagenknecht für das Scheitern verantwortlich gemacht, sie habe ihren Leuten vor Ort ein Bein gestellt. Wagenknecht wiederholt am Donnerstag ihr Mantra, ihr Bündnis sei für Veränderung gewählt worden, CDU und SPD hätten in Sachsen aber ein Weiter-so verlangt und ihre Verhandler gegen Wände laufen lassen.
Kretschmer findet es immer noch schade, dass keine Koalition zustande kam: „Ich verstehe es auch nicht ganz.“ Umsonst seien die Verhandlungen dennoch nicht gewesen, es sei Vertrauen entstanden, sagt er und lobt vor allem Sachsens BSW-Chefin Sabine Zimmermann. Die hatte ihm bei der Wahl zum Ministerpräsidenten im Dezember die entscheidenden Stimmen ihrer Fraktion gesichert, auch Linke hatten Kretschmer mitgewählt.
Beim Thema Bundeswehr ist es vorbei mit der Harmonie
Leicht ist es seither allerdings für die Landesregierung nicht gewesen. Die Lehrer demonstrieren scharenweise gegen die Pläne des Kultusministers für mehr Unterrichtsstunden, Gewerkschaften, Sozialverbände und Initiativen laufen Sturm gegen massive Kürzungen im Sozialbereich. Und während die CDU auf der Einhaltung der Schuldenbremse beharrt, fordert vor allem das BSW erhebliche Investitionen, mehr Geld für Kultur, Sportvereine, Pflege und medizinische Versorgung. Wie das zusammengehen soll? Keiner weiß es. Ob dieser Konflikt durch die Milliarden entschärft wird, die Sachsen durch die Schulden des Bundes für Infrastrukturprojekte ausgeben kann, ist mindestens mal ungewiss.
Sachsens BSW hat jedenfalls schon mal selbstbewusst verlauten lassen, die CDU müsse sich noch ganz schön bewegen, in der vorgelegten Fassung werde der Haushalt nicht durchgehen. Kretschmer sagt jetzt, es brauche mehr Bemühungen und Rücksichtnahme in einer Minderheitsregierung, aber es könnten fünf erfolgreiche Jahre werden. Die Voraussetzungen seien da, auch weil nun eine andere Wirtschaftspolitik auf Bundesebene gemacht werde: „Das ändert alles.“
Man merkt an diesem Abend, dass Kretschmer mit der Ampel auch ein lieb gewordenes Feindbild abhandengekommen ist. Wagenknecht hat es da deutlich einfacher. Sie kann statt Robert Habeck jetzt einfach Friedrich Merz attackieren, seine 180-Grad-Wende bei den Schulden, die sie Wählerverrat nennt. Die massive Aufrüstung der Bundeswehr, die sie als Kriegsvorbereitung brandmarkt.
An diesem Punkt ist es dann auch vorbei mit der Harmonie zwischen ihr und Kretschmer. Der fragt sie, wofür sie denn die Bundeswehr wolle, für die Bekämpfung von Hochwasser? Die CDU sei jedenfalls der Meinung, dass man eine Armee brauche, „damit wir uns verteidigen können, wenn wir angegriffen werden“. Wagenknecht hält dagegen, „weil kein Panzer, keine Drohne uns hilft, wenn wir einen Krieg mit einer Atommacht führen“.
Wagenknecht war immer Oppositionspolitikerin, Kretschmer klang oft wie einer
Den Präsidenten dieser Atommacht, Wladimir Putin, nennt Kretschmer an diesem Abend einen knallharten Typen: „Diesen Menschen interessiert nur Stärke.“ Es gebe keinen Grund für einen Angriff auf ein anderes Land, Putin dürfe damit keinen Erfolg haben. Kretschmer, der schon bald nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ein Einfrieren des Konfliktes gefordert hatte, sagt am Donnerstag: „Ich möchte, dass das Sterben aufhört – aber so, dass die Ukraine nicht aufhört zu existieren, sondern als freies Land entscheidet, ob es in die EU geht oder in die Nato. Da habe ich null Bereitschaft, meine Position zu verändern.“
Das klang schon mal anders. Kretschmer hatte nach dem russischen Überfall auch Sätze gesagt, die man genauso gut von Wagenknecht hätte hören können. „Wenn man jeden Konflikt der Welt zum eigenen macht, dann ist das der Untergang“, ist zum Beispiel einer. Er stammt aus dem August 2022; damals debattierte Kretschmer mit seinem Vize-Ministerpräsidenten von der SPD, Martin Dulig. Er fragte an jenem Abend sein Publikum im Hinblick auf Waffenlieferungen für die Ukraine auch: „Was, meine Damen und Herren, fehlt eigentlich noch, dass auch wir Kriegspartei werden? Es fehlt nur noch, dass deutsche Soldaten dort eingesetzt werden.“
Drei Jahre später könnte Wagenknecht nun dieses Argument bemühen, um gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zu mobilisieren. Kanzler Merz hatte sie im Wahlkampf angekündigt, nach der Wahl aber erklärt, die Bundesregierung wolle nicht mehr öffentlich über die Lieferung einzelner Waffensysteme sprechen.
Am Ende des Abends soll es noch einmal um Persönliches gehen. Was sie über Kretschmer gelernt habe, wird Wagenknecht gefragt. Sie antwortet mit einem vergifteten Lob: „Dass er seine Kritik an Merz gut verbergen kann.“