Minderheitsregierung in Sachsen :„Wir betreten hier Neuland“

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Henning Homann, Co-Chef der SPD in Sachsen, und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der wiedergewählt werden will. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

CDU und SPD streben eine gemeinsame Minderheitsregierung an. Ihr Ansatz klingt fast ein wenig visionär. Eine Zusammenarbeit mit der in Sachsen als rechtsextrem eingestuften AfD schließen sie klar aus.

Von Johannes Bauer, Dresden

Da waren es nur noch zwei. Nachdem die Sondierungsgespräche mit dem BSW vergangene Woche gescheitert waren, haben CDU und SPD angekündigt, über eine gemeinsame Minderheitsregierung verhandeln zu wollen. CDU und SPD wollten einen Beitrag leisten, „dass die Gesellschaft zusammenbleibt“, sagt Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Freitag im Dresdner Landtag. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz adelt er CDU und SPD als „große Volksparteien“, was qua Wahlergebnis zumindest auf die SPD in Sachsen nicht mehr zutrifft. Am Tag zuvor hatten die Landesvorstände beider Parteien für Koalitionsverhandlungen gestimmt. Doch um allein zu regieren, fehlt ihnen die Mehrheit (61 Stimmen). SPD und CDU kommen zusammen nur auf 51 Stimmen.

„Wir betreten hier Neuland“, sagt der sächsische SPD-Chef Henning Homann. Zwischen der Minderheitsregierung in Thüringen gab es zuletzt ein Stabilisierungsabkommen mit der CDU, ansonsten üblich ist die Duldung durch die Fraktion einer anderen Partei. In Sachsen gibt es beides nicht. Deshalb führen CDU und SPD einen festen „Konsultationsmechanismus“ ein. Dieser sieht vor, dass die Regierung Vorschläge und Gesetzesentwürfe an alle Fraktionen des Landtags gibt, bevor sich das Parlament damit befasst. Dadurch sollen sie sich in den Gesetzgebungsprozess einbringen können. CDU und SPD hoffen, dass sich dadurch leichter Mehrheiten finden lassen, und versprechen sich eine größere Transparenz. So steht es in dem Grundsatzpapier, auf das sie sich geeinigt haben.

Ein neuer Konsultationsmechanismus soll der AfD ihre Märtyrerrolle nehmen

Immer wieder betonen Kretschmer und seine Mitstreiter eine „neue politische Kultur“, die sich daraus ergebe. Dadurch würde man „die Sache in den Mittelpunkt stellen“, sagt Homann. Doch der neue Ablauf wird auch Tücken haben. Dessen ist man sich auch bei der CDU bewusst, die in Sachsen seit der Wiedervereinigung ununterbrochen regiert und meist entsprechend machtbewusst auftritt. Ihr Fraktionsvorsitzender Christian Hartmann formuliert es so: „Wir werden lernen müssen, dass wir Abstimmungen verlieren.“

In ihrem Grundsatzpapier und in ihren Aussagen grenzen sich CDU und SPD klar von der AfD ab. „Mit dieser Partei kann es keine Zusammenarbeit geben“, sagt Kretschmer. Dabei verweist er, wie auch Homann und Hartmann an diesem Tag, auf den sächsischen Verfassungsschutz, der die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft. Auch werde man keine Mehrheiten mit der AfD suchen. Mit dem neu eingeführten Konsultationsmechanismus meint Kretschmer, ein Instrument gefunden zu haben, um die Märtyrerrolle der AfD zu beenden, dass niemand mit ihren Politikern rede. Nun werde man sehen, „wer arbeitet denn wirklich mit, wer hat wirklich gute Vorschläge“, meint Kretschmer.

Homann fügt selbstbewusst hinzu: „Wir wissen, dass aus dieser Partei wenig Konstruktives kommen wird.“ Aber bekommt die AfD dann die Möglichkeit, ihre Ideen und Vorschläge im Konsultationsmechanismus einzubringen? Bei Christian Hartmann hört sich das zumindest nicht so an. Da sie als rechtsextrem eingestuft werde, habe die Partei keine Grundlage für eine „Übernahme ihrer Positionen und Meinungen in unsere Arbeit“. Konkret heißt das wohl: Die AfD soll in einem Wettbewerb um die beste Idee ruhig Vorschläge machen. SPD und CDU werden sich aber vorbehalten, diese nicht zu berücksichtigen.

Das BSW ist sich seiner Stärke gegenüber der Minderheitsregierung bewusst

Der sächsische AfD-Chef Jörg Urban sieht in der schwarz-roten Minderheitsregierung eine „Verhöhnung des Wählerwillens“, wie es einer Mitteilung der AfD heißt, die vor der Pressekonferenz von CDU und SPD verschickt wurde. Er fürchtet, dass es künftig „noch weiter nach links“ geht, da die Linkspartei, Grüne und BSW Kretschmer und die CDU „jederzeit erpressen“ könnten. Tatsächlich wird es auf die Stimmen dieser drei Parteien ankommen. Die Auslotung einer Brombeerkoalition mit dem BSW war erst vergangene Woche gescheitert, als das BSW die Gespräche platzen ließ. CDU und SPD sind sich einig: Nur weil sie einer sogenannten Friedensformel in einem möglichen Koalitionsvertrag nicht zustimmen wollten. Beim BSW sitzt der Stachel offenbar noch tief. In einer Mitteilung am Donnerstagabend bezeichnete die BSW-Vorsitzende Sabine Zimmermann die Minderheitsregierung von CDU und SPD als „Stillstand pur“ und unterstellte ihnen etwa, „krampfhaft“ an der Schuldenbremse festzuhalten. Der SPD warf sie vor, dass sie „wieder einmal als Mehrheitsbeschaffer für die CDU auftritt“.

Einen Vorteil hätte eine schwarz-rote Koalition laut Zimmermann aber: CDU und SPD müssten sich „bei jedem einzelnen Gesetz“ mit dem BSW verständigen. Das stimmt, wenn die CDU am Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linken festhält. Ihre Partei werde sich „guten Lösungen nicht verschließen“, so Zimmermann, „und sich eine konstruktive Grundhaltung bewahren“.

Wie es um diese bei der Ausarbeitung von Gesetzen und der Abstimmung darüber bestellt ist, wird sich erst in ein paar Wochen zeigen. Zuvor muss Kretschmer einen für ihn heiklen Moment überstehen: die Wahl zum Ministerpräsidenten. Auch für diesen Schritt fehlt ihm die notwendige Mehrheit. Im ersten Wahlgang bräuchte Kretschmer noch eine absolute Mehrheit, im zweiten lediglich mehr Ja- als Neinstimmen. Linke und Grüne geben sich bislang zurückhaltend bei der Frage, ob sie Kretschmer wählen werden, und wollen dies wohl an Bedingungen und Zusagen für eigene Vorhaben knüpfen.

Solche hat auch Zimmermann im Sinn. In der Mitteilung des BSW pocht sie auf „konkrete Zusagen“. Sollte Kretschmer etwa Sozialkürzungen planen oder nicht konsequent sein im Umgang mit ausreisepflichtigen Asylbewerbern, bekäme er vom BSW keine Stimme. Noch drastischer liest sich der vorangestellte Satz – es sei ungewiss, ob Kretschmer die Wahl zum Ministerpräsidenten überstehe. Es klingt wie eine kaum verhohlene Drohung.

Anm. d. Red.: In einer früheren Version hieß es, dass bereits 60 Stimmen für eine Mehrheit im sächsischen Landtag reichen würden. Das wäre allerdings nur ein Patt. Tatsächlich braucht es 61 Stimmen für die Mehrheit. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.

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