Kretschmanns Kehrtwende:Schwabenstreich gegen das Asyl

Regierungs-Pk nach Sommerpause

Der Joschka Fischer von 2014: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann

(Foto: dpa)

Der grüne Außenminister Joschka Fischer führte die Deutschen in den Kosovo-Krieg. Ähnlich fundamental ist die Zustimmung des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zur Verschärfung des Asylrechts. Sie stellt die Flüchtlingspolitik der Partei in den vergangenen drei Jahrzehnten in Frage.

Kommentar von Heribert Prantl

Nehmen wir einmal etwas Unvorstellbares an. Nehmen wir erstens an, dass der Gesetzgeber vor gut zwanzig Jahren die Prügelstrafe für Kinder wieder erlaubt und gar in der Verfassung verankert hat. Nehmen wir zweitens an, dass damals vereinbart wurde, die Details dieser Strafe (bei wem und wann sie praktiziert werden soll) später in einem eigenen Gesetz zu regeln. Nehmen wir drittens an, dass der grüne Politiker Winfried Kretschmann wie seine ganze Partei ein heftiger Gegner dieses Vorhabens war. Als dann gut zwanzig Jahre später dieses Gesetz über die Details der Prügelstrafe verabschiedet werden soll, erklärt Kretschmann, aus dem mittlerweile ein einflussreicher Politiker geworden ist, dass er zwar die damalige Verfassungsänderung nach wie vor für falsch halte; aber diese Prügelstrafe habe nun seit mehr als zwanzig Jahren "Verfassungsrang". Jetzt müsse er also für das Ausführungsgesetz stimmen.

Und damit ist man in der Realität des Jahres Jahres 2014. Genau so hat Kretschmann gehandelt und argumentiert. Nur handelt es sich nicht um ein Gesetz, das das Verprügeln von Kindern erlaubt, sondern um ein Gesetz, das regelt, dass Asylanträge von Flüchtlingen, also ihre Gesuche nach Schutz vor Gewalt, nicht mehr individuell geprüft werden. Flüchtlinge, die aus bestimmten Ländern des Westbalkans stammen, gelten per Gesetz, dem am Freitag der Bundesrat mit der entscheidenden Stimme Kretschmanns zustimmte, nicht mehr als schutzbedürftig. Flüchtlinge von dort werden stante pede zurückgeschickt.

Die grundsätzliche Möglichkeit dafür hatte schon die Veränderung des Asylgrundrechts 1993 geschaffen. Die Grünen hatten damals die Verfassungsänderung strikt abgelehnt. Jetzt aber stünde das nun einmal in der Verfassung; also müsse er an den Details zu seiner Umsetzung mitwirken, sagte Kretschmann.

Falsches wird nicht richtig, weil es in der Verfassung steht

Winfried Kretschmann, der ein sympathischer Politiker ist, weiß wohl selber, dass das eine sonderbare Argumentation ist - weil Falsches nicht dadurch richtig wird, dass es in der Verfassung steht; und schon gar nicht muss man dann selbst an der Realisierung und Praktizierung des Falschen mitwirken. Kretschmann hat das gegen den Widerstand seiner Partei getan, wohl nicht zuletzt deswegen, weil in Baden-Württemberg, wo er regiert, in zwei Jahren gewählt wird. Und wie in den späten achtziger und den frühen neunziger Jahren, als das Asylgrundrecht geändert und reduziert wurde, steigen heute die Flüchtlingszahlen wieder.

In dieser Situation wird nun, mit Zustimmung Kretschmanns, die dritte Stufe der 1993 produzierten Asylabwehrrechts gezündet: Stufe eins war die Drittstaatenregelung, die bestimmt, dass Flüchtlinge, die auf ihrem Fluchtweg schon ein anderes Land als Deutschland betreten haben, in dieses andere Land abgeschoben werden. Stufe zwei war die Flughafenregelung, die vorsieht, dass es für Flüchtlinge, die per Flugzeug kommen, nur noch ein Schnellverfahren auf dem Flughafengelände gibt. Stufe drei ist nun die Regelung über die angeblich sicheren Herkunftsländer.

Kretschmann ist der Joschka Fischer von 2014

Viele von den 521 Abgeordneten, die 1993 dieser Änderung des Asylgrundrechts zustimmten, zweifelten damals, ob sie später noch sagen werden, auf der richtigen Seite gestanden zu haben. Günter Verheugen sagte: "Das Gesetz ist schlecht. Aber ich werde trotzdem dafür stimmen." Der politische Druck auf die Abgeordneten war gewaltig. Mit "Nein" stimmten nur 132 Abgeordnete. Zu den Ablehnern zählte eine stattliche Minderheit der SPD (101 Abgeordnete), die Ausländerbeauftragte Schmalz-Jacobsen (FDP) mit noch sechs FDPlern, dazu die Abgeordneten der Bündnisgrünen und der PDS.

Konrad Weiß von den Bündnisgrünen klagte bitterlich über die Auswirkungen der Änderung auf die politische Kultur: "Was soll aus Deutschland werden, wenn ein Menschenrecht so leichtfertig in die Waagschale geworfen wird für eine Wahl?" Nun hat Kretschmann 21 Jahre nach dieser tiefgreifenden Verfassungsänderung seine Stimme dafür nachgeliefert. Für die Grünen ist das ein Ereignis, das sie so beuteln wird wie die deutsche Mitwirkung am völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg, die 1999 der grüne Außenminister Joschka Fischer betrieben hat.

Kretschmann ist der Fischer von 2014. Er begründet seine Zustimmung zur Asylverschärfung mit einem Deal: Die große Koalition hat den Flüchtlingen, die schon da sind, Verbesserungen versprochen, darunter solche, die Menschenrechtsorganisationen schon lange gefordert haben. Genau besehen ist zwar deren Verpackung prächtig, die Substanz aber klein. Was den Flüchtlingen mit der einen Hand gegeben wird, wird ihnen mit der anderen wieder genommen - unter anderem mit neuen scharfen Gesetzesplänen, die im Bundesinnenministerium schon in Vorbereitung sind.

Nach diesem Muster kann man auch andere Staaten für "sicher" erklären

Ein paar neue Brosamen für Flüchtlinge werden wohl schon noch übrig bleiben. Aber dafür hat Kretschmann einem Gesetz zugestimmt, das nun als Protoyp für weitere solcher Gesetze dienen kann: Nach dem jetzigen Muster kann man auch andere Staaten für "sicher" erklären. Man sorgt erst auf politischem Weg dafür, dass die Anerkennungsquoten für Flüchtlinge rapide sinken - und nimmt die gesunkenen Anerkennungszahlen dann als Begründung dafür, dass die Menschen offensichtlich sicher seien; so kann man dann ganze Listen mit sicheren Herkunftsländern aufstellen.

Vor einigen Wochen hat eine Studie ergeben, dass die Roma die meistverachtete Minderheit in Deutschland sind. Wie lässt sich das ändern? Jedenfalls nicht mit dem Gesetz, das jetzt mit Kretschmanns Hilfe verabschiedet worden ist. Es ist ein Gesetz, das die Vorurteile genau gegen diese Menschen verstärkt.

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