Die Kritik am Umgang von Bundespräsident Christian Wulff mit seiner Kredit- und Medienaffäre wird immer schärfer: Nach einem Monat virulenter Selbstverteidigung wächst selbst in der Union der Unmut darüber, dass Wulff nicht wie angekündigt alle Details zugänglich macht: "Wulff hat im Fernsehen vor 18 Millionen Bürgern zugesichert, dass die 450 Fragen beantwortet und offengelegt werden. Ich denke, darauf warten wir alle, und das muss jetzt auch passieren", sagte der CDU-Fraktionschef im Niedersächsischen Landtag, Björn Thümler, der Nordwest-Zeitung. Die Affäre sei zunehmend eine Belastung für die CDU.
Noch einen Schritt weiter geht der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann: Er legt dem Bundespräsidenten den Rücktritt nahe - und ist damit einer der Wenigen in der Union, der dies offen ausspricht: "Das Amt ist schon jetzt beschädigt, allein durch die Tatsache der öffentlichen Diskussion", sagte Wellmann dem ZDF.
"Mein persönlicher Rat an ihn wäre, dass er sich das nicht länger zumutet, sich, seiner Familie und dem Amt", so der CDU-Abgeordnete Ein Staatsoberhaupt solle den Menschen Orientierung geben. "Viele leiden darunter, dass dieses Amt und dieser Bundespräsident so in der Diskussion ist. Ich glaube auch nicht, dass das in einem Jahr vergessen sein wird." Eine Ende mit Schrecken sei daher besser als ein Schrecken ohne Ende.
Stimmung in der Union droht zu kippen
Die Lage für den Bundespräsidenten wird bei seinen Parteifreunden zunehmend kritisch gesehen. Aus Parteikreisen verlautete, dass die Stimmung gegenüber Wulff derzeit im Begriff sei, dramatisch zu kippen. Hartnäckig halten sich auch Gerüchte, dass koalitionsintern die Suche nach einem Nachfolger bereits im Gange sei. Dabei sei auch der Name Thomas de Maizière gefallen. Der Verteidigunsgminister verfüge sowohl in den Reihen der Regierung als auch bei SPD und Grünen über hohes Ansehen.
Die Bild-Zeitung berichtet gar, innerhalb der SPD gäbe es Überlegungen, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier als Kandidat für das höchste Staatsamt in Stellung zu bringen. Steinmeier, der mit der Kanzlerin in der großen Koalition eng zusammengearbeitet hatte, käme in Frage, falls Merkel wie erwartet den Ex-Stasi-Beauftragten Joachim Gauck als Wulff-Nachfolger ablehne.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) appellierte an das Staatsoberhaupt, seine Anwälte von ihrer Verschwiegenheitspflicht zu befreien: Dem Hamburger Abendblatt sagte er, Wulff müsse die Fragen und Antworten zu seiner Kredit- und Medienaffäre veröffentlichen: "Es wäre im Interesse des Bundespräsidenten, wenn er seiner Ankündigung von voller Transparenz auch entsprechende Taten folgen ließe und nicht die Einschränkung durch seine Anwälte hinnimmt."
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sei von Wulffs Problemen betroffen, schließlich habe sie Wulff ins Amt gebracht: "Sie kann jetzt nicht so tun, als ob sie der Fall nichts angeht."
Die Kanzlerin nimmt heute am Neujahrsempfang des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue teil. Dort empfängt Wulff Repräsentanten des öffentlichen Lebens und etwa 80 Bürger aus allen Bundesländern, die sich um das Gemeinwohl verdient gemacht haben. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International Deutschland hatte ihre Teilnahme mit Blick auf Wulffs Verhalten in der Kredit- und Medienaffäre abgesagt. Wulff habe Transparenz und vollständige Aufklärung versprochen. Dies habe er nicht eingehalten, begründete die Vorsitzende der Organisation, Edda Müller, die Entscheidung.
Staatsanwaltschaft will offenbar gegen BW-Bank ermitteln
Der SPD-Rechtsexperte Sebastian Edathy kritisierte die Absage der Veröffentlichung ebenfalls scharf. "Diese Argumentation kann ich nicht nachvollziehen. Das ist an den Haaren herbeigezogen", sagte Edathy der Passauer Neuen Presse.
Wulffs Verhalten sei inzwischen bizarr: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Journalisten ein Problem mit der Veröffentlichung hätten." Außerdem stehe es dem Bundespräsidenten frei, die Antworten auch ohne die Fragen der Journalisten zu veröffentlichen, sagte Edathy. In einer Stellungnahme von Rechtsanwalt Gernot Lehr hatte es geheißen, eine Offenlegung der Anfragen von Journalisten würde deren Recht am eigenen Wort und an dem Schutz ihrer Rechercheergebnisse oder -ziele verletzen.
Unterdessen wird die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die BW-Bank wegen der Kreditvergabe an Wulff immer wahrscheinlicher. Es sei davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue einleiten müsse, berichtet die Berliner Zeitung aus Justizkreisen.
Zur Beurteilung der Frage, ob Wulffs auffällig günstige Zinskonditionen von 0,9 bis 2,1 Prozent der Tochter der öffentlich-rechtlichen LBBW-Bank einen Schaden verursacht hätten, müsse die Staatsanwaltschaft voraussichtlich den Rat von Sachverständigen einholen. Dies sei nur in einem Ermittlungsverfahren möglich. Die BW-Bank habe der Staatsanwaltschaft Stuttgart mittlerweile umfangreiche Unterlagen zu Wulffs Kredit geschickt.