Süddeutsche Zeitung

Kretschmann zu Stuttgarter Polizei:"Das hat mit Racial Profiling nichts zu tun"

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Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Kretschmann verteidigt Herkunftsabfragen der Polizei nach den Krawallen in Stuttgart. Er warnt vor einer "toxischen Mischung" in der Debatte.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat in der Debatte über Ermittlungen der Polizei zum Migrationshintergrund von Tatverdächtigen mehr Besonnenheit gefordert. Es würden Fragen grundsätzlicher Art durcheinandergeworfen, wodurch eine "toxische Mischung" entstanden sei.

Der Grüne nutzte die wöchentliche Pressekonferenz der Landesregierung am Dienstag zu einer ausführlichen Stellungnahme, in der er zunächst betonte: "Deutsch sein ist keine Frage des Stammbaums, sondern der Staatsbürgerschaft." In einem demokratischen Rechtsstaats sei nicht entscheidend, woher jemand komme, sondern wie er handle. "Das sieht man schon daran: Die Menschen werden bei uns eingebürgert und nicht eingedeutscht."

Die Stuttgarter Polizei hat nach Ausschreitungen im Juni, an denen mehrere Dutzend Jugendliche und junge Männer beteiligt waren, bei elf Tatverdächtigen die Nationalität der Eltern bei Standesämtern abgefragt. Kretschmann verteidigte dieses Vorgehen: "Ich kann kein Fehlverhalten der Polizei erkennen."

Die Debatte ist nicht zuletzt deshalb unübersichtlich, weil die polizeilichen Ermittlungen nicht allein der Strafverfolgung dienen: Die Politik hat nämlich unmittelbar nach den Krawallen sehr deutlich gemacht, dass sie die Erkenntnisse der Polizei braucht, um abschätzen zu können, ob es sich um einen einmaligen Gewaltausbruch handelte, oder ob es die Stadt mit einem strukturellen Problem zu tun hat.

Ermittlung der Lebensumstände für die Prävention

Gemeinderat und Landesregierung wollen wissen, ob es in Stuttgart eine oder mehrere Gruppen junger Männer gibt, die sich nicht als Teil der Stadtgesellschaft sehen - und welche Faktoren dazu beigetragen haben könnten. Der Migrationshintergrund soll hier als ein soziologisches Kriterium berücksichtigt werden. Das dürfe aber nicht zu pauschalen Verdächtigungen führen, sagte Kretschmann. Klar sei, dass es keinen Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund, Nationalität und kriminellem Verhalten gebe.

Der Ministerpräsident bekräftigte den Wunsch, möglichst viel über jeden Tatverdächtigen zu erfahren. Nur wenn die Politik ein Bild der Lebensumstände habe, könne sie gezielt Präventionsmaßnahmen ergreifen. "Dabei kann auch wichtig sein zu wissen, ob dieser junge Mann einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Genauso wichtig kann sein: Wie ist die familiäre Situation, wie ist er finanziell gestellt? Wie sieht es mit seiner sozialen Integration aus?"

Aus den Reihen des Deutschen Anwaltvereins (DAV) kam am Dienstag jedoch Kritik an der Herkunftsabfrage: "Das ist klassisches Racial Profiling, das mit dem neutralen Aufklärungsgrundsatz zu einem so frühen Zeitpunkt von Ermittlungen kaum zu vereinbaren ist", hieß es in einer Stellungnahme. Kretschmann sieht das anders: "Das hat mit Racial Profiling nichts zu tun", sagte er.

Bei dieser verbotenen Praxis geht es darum, dass Personen von der Polizei zum Beispiel bei Kontrollen allein wegen ihrer Herkunft oder ihres Aussehens als verdächtig eingeschätzt werden. Die Ermittlungen der Stuttgarter Polizei, so Kretschmann, beträfen aber Personen, gegen die es bereits einen begründeten Tatverdacht gebe.

Eren Basar, Mitglied des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht des DAV, bezeichnete außerdem die datenschutzrechtliche Grundlage der Abfragen als zweifelhaft. Die ethnische Herkunft von Personen gehöre "zu den besonderen personenbezogenen Daten", die nur verarbeitet werden dürften, wenn dies unbedingt erforderlich sei.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte, dass solche Recherchen "zum Standardgeschäft" der Polizei gehörten - sofern sie relevant seien. Je schwerer die Straftat und je jünger die Tatverdächtigen seien, desto genauer werde das Lebensumfeld ausgeleuchtet. Fast 70 Prozent der bisher ermittelten Tatverdächtigen sind jünger als 21 Jahre.

Rassismusvorwurf - ein Problem für die Polizei

Hans-Jürgen Kirstein, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sagte der SZ, dass Informationen zum Migrationshintergrund nur dann erhoben würden, "wenn es für die Ermittlungen interessant und notwendig ist". Bei den meisten Taten spiele das ja keine Rolle. Kirstein zeigte sich durch die teils heftig geäußerte Kritik beunruhigt: "Die Polizei hat ein Riesenproblem, wenn ihr immer unterstellt wird, dass sie rassistisch ist." Das werde den Polizeibeamten, die ihre Arbeit auf der Straße machten, nicht gerecht. "Ich finde das eine schwierige Entwicklung."

Laut Kretschmann ist die Zahl der Diskriminierungsvorwürfe gegen Polizisten recht gering. In fünf Jahren seien 155 Beschwerden eingereicht worden, bei insgesamt zwei Millionen Polizeieinsätzen im Jahr. Davon habe sich in 123 Fällen der Vorwurf nicht erhärtet.

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SZ vom 15.07.2020
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