Krawalle in Großbritannien:Cameron sucht Beistand aus Übersee

Nachdem ein offener Streit zwischen Scotland Yard und der Cameron-Regierung ausgebrochen ist, setzt der britische Premier jetzt auf Unterstützung aus den USA: Er holt den ehemaligen "zero tolerance"-Polizeichef von New York, Bill Bratton, ins Boot und will eine härtere Linie gegen Randalierer fahren.

Nach den tagelangen Krawallen in Großbritannien setzt die Regierung jetzt auf Expertenhilfe aus den USA. Premierminister David Cameron bat den früheren New Yorker Polizeichef Bill Bratton um beratende Unterstützung im Kampf gegen Straßengangs.

Riots And Looting Continues Across London

Englands Premier Cameron will härter gegen Randalierer vorgehen. Gegen mehr als 740 wurde bereits Anklage erlassen. Den Verurteilten sollen staatliche Hilfen gestrichen werden. Der ehemalige Polizeichef aus New York, Bill Bratton, soll den Premier beim weiteren Vorgehen beraten.

(Foto: Getty Images)

Eine Woche nach dem Beginn der Ausschreitung blieb die Polizei am Samstag trotz der Beruhigung der Lage mit einem Großaufgebot in den betroffenen Städten präsent.

Bratton, der in New York maßgeblich das Prinzip der "zero tolerance" ("Null Toleranz") durchgesetzt und damit einen Rückgang der Kriminalität erreicht hatte, soll im Herbst zu mehreren Sitzungen von Scotland Yard nach Großbritannien reisen, wie die Regierung in London bestätigte. Bratton werde dafür nicht bezahlt, hieß es.

"Bandenkultur im Ansatz zerstören"

In der New York Times warnte Bratton am Samstag, allein mit Verhaftungen werde sich das Problem nicht lösen lassen. "Es bedarf zahlreicher Interventionen, Präventionsstrategien und -techniken." Nötig sei ein robustes, aber in den Gemeinden verankertes Vorgehen der Polizei, um die Bandenkultur im Ansatz zu zerstören. Er werde gemeinsam mit der britischen Regierung prüfen, welche Methoden aus den USA in Großbritannien angewendet werden könnten, sagte Bratton, der auch die Polizei in den US-Großstädten Boston und Los Angeles führte.

Der konservative Regierungschef David Cameron verfolgte von Beginn an eine harte Linie gegen die Randalierer und Plünderer, die vier Tage in Folge in London, Manchester und Birmingham für Chaos gesorgt haben.

Tausende Sondereinsatzkräfte, Tausende Festnahmen

Allein in London wurde bisher gegen mehr als 740 Personen Anklage erhoben. Ihnen wird Gewalttätigkeit, Unruhestiftung und Plünderung vorgeworfen. Tausende Sondereinsatzkräfte sind inzwischen in verschiedenen britischen Städten im Einsatz. Am Samstag wurden zunächst keine größeren neuen Zwischenfälle gemeldet.

In der Hauptstadt wurden 1271 Verdächtige im Zusammenhang mit den Ausschreitungen festgenommen, landesweit mehr als 2100. Gegen fünf Männer zwischen 16 und 28 Jahren aus dem Raum Birmingham wird wegen Mordverdachts ermittelt. Zwei von ihnen waren am späten Freitagabend festgenommen worden, die anderen drei bereits zuvor.

Die Ausschreitungen hatten zu einer Welle öffentlicher Empörung geführt: Bis Freitag unterzeichneten 160.000 Menschen eine Online-Petition, die fordert, allen wegen ihrer Beteiligung an den Unruhen Verurteilten ihre staatlichen Leistungen zu streichen. Der Premier will die Forderung unterstützen: Wer "seine eigene Gemeinde ausraube und ausplündere" solle nicht länger das Recht haben, in Sozialwohnungen zu leben, sagte Cameron dem Fernsehsender BBC.

Betroffene müssten dann eine Wohnung auf dem freien Markt finden. Das könne für sie zwar schwierig werden, doch hätten "sie daran denken sollen, bevor sie mit Einbrüchen begannen".

Asoziale Handlungen verboten

Die Petition soll im September im Parlament diskutiert werden. Am Freitag teilte die Stadtverwaltung des Londoner Bezirks Wandsworth mit, sie habe bereits dem Mieter einer ihrer Sozialwohnungen einen Räumungsbescheid zugestellt, nachdem dessen Sohn wegen der Teilnahme an den Unruhen am Montagabend angeklagt worden war. Sie habe einen Richter gebeten, den Bescheid zu bestätigten.

Die Stadtverwaltung wies in einer Erklärung darauf hin, dass der Mietvertrag eine Klausel enthalte, die Mietern im sozialen Wohnungsbau gewisse kriminelle und asoziale Handlungen verbietet.

Massives Polizeiaufgebot bleibt

Das massive Polizeiaufgebot in vielen britischen Städten zum Schutz vor Ausschreitungen soll indes noch bis auf weiteres beibehalten werden. "Wir werden die Zahl für eine gewisse Zeit aufrechterhalten", kündigte Innenministerin Theresa May an. Allein in London waren in den vergangenen Tagen 16.000 Polizisten unterwegs. In der Nacht zum Samstag gab es zunächst keine Berichte über neue Krawalle.

Kritik, Streit und der ungeklärte Tod von Mark Duggan

In der Debatte über die Ausschreitungen ist gleichzeitig ein offener Streit zwischen Scotland Yard und der Cameron-Regierung ausgebrochen. Der amtierende Londoner Polizeichef Tim Godwin wehrte sich am Freitag gegen Vorwürfe Camerons, zu Beginn der Krawalle in den Nächten zu Sonntag und Montag seien "bei weitem zu wenig" Polizisten im Einsatz gewesen.

Britain's Prime Minister David Cameron leaves 10 Downing Street in London

Großbritanniens Ministerpräsident David Cameron fährt eine harte Linie gegen Randalierer und Plünderer.

(Foto: Reuters)

Polizeichef Godwin sagte mit Blick auf Cameron und Innenministerin May, die Kritik komme von Leuten, die zum fraglichen Zeitpunkt "nicht da" gewesen seien. Cameron und May machten bei Ausbruch der Ausschreitungen Urlaub. Cameron und mehrere Parlamentarier seiner konservativen Tories hatten die Polizeitaktik infrage gestellt und ein härteres Durchgreifen mit Gummigeschossen und Wasserwerfern gegen die Randalierer als Option zur Diskussion gestellt.

Kritik von Menschenrechtlern

Gleichzeitig hat das harte Vorgehen der konservativen Regierung nun auch zur Kritik von Menschenrechtlern geführt. Es sei verständlich, dass die jüngsten Ereignisse zu Forderungen nach härteren Maßnahmen geführt hätten, sagte Isabelle Sankey von der Menschenrechtsgruppe Liberty. Gleichwohl könnten reflexartige Aktionen "mehr Probleme verursachen, als sie lösen".

Besonders kontrovers wird eine Äußerung von Premierminister David Cameron diskutiert, wonach die Regierung, Geheimdienste und die Kommunikationsindustrie beraten sollten, ob es bei Unruhen nötig sein könnte, den Gebrauch von Mobilfunk- und Nachrichtenübermittlungsdiensten sowie die Kommunikation über soziale Netzwerke im Internet zu unterbrechen. "Cameron sollte nicht erlauben, dass der berechtigte Zorn angesichts der jüngsten Randale und Plünderungen im Vereinigten Königreich für einen Angriff auf die freie Meinungsäußerung und den freien Zugang zu Informationen genutzt wird", sagte Padraig Reidy von der Bürgerrechtsgruppe Index on Censorship.

Seit vergangenen Samstag war bei zahlreichen Brandstiftungen und Plünderungen ein Sachschaden von vorläufig geschätzten 200 Millionen Pfund (etwa 230 Millionen Euro) entstanden. Die Regierung will die betroffenen Kommunen und Ladenbesitzer mit Millionen-Hilfen unterstützen.

Warum Duggan starb, ist bisher ungeklärt

Die Polizei bat die Öffentlichkeit mit noch nicht dagewesenen Methoden um Mithilfe. In Birmingham etwa kam ein Großbildschirm zum Einsatz, auf dem Überwachungskamera-Bilder von Verdächtigen gezeigt wurden.

Die Polizei gab zudem zu, dass ihr in der Anfangsphase der Krawalle ein Fehler unterlaufen sein könnte: So habe man die Medien unabsichtlich in dem falschen Glauben gelassen, der von der Polizei erschossene Mark Duggan habe zuvor auf die Beamten gefeuert. Der Tod Duggans hatte die Krawalle mit ausgelöst, denn sie entwickelten sich aus einem Protestmarsch gegen dessen Tötung. Wie genau und warum er starb, ist bislang nicht geklärt.

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