Freilassung des Tiergartenmörders:Es brauchte ein Machtwort des Justizministers

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Die Verhandlung gegen Wadim Krasikow im Jahr 2021 vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin. (Foto: Christiophe Gateau/AFP)

Wadim Krasikow hat in Berlin am helllichten Tag gemordet, seine Haft hatte gerade erst begonnen. Jetzt darf er nach Russland. Wie ist das rechtlich möglich?

Von Ronen Steinke, Berlin

Wer rechtskräftig wegen Mordes verurteilt wird in Deutschland, der muss für mindestens 15 Jahre ins Gefängnis. Eigentlich. Der russische Staatsbürger Wadim Krasikow, wegen Mordes verurteilt am 15. Dezember 2021, hätte deshalb eigentlich noch bis August 2034 hinter Gittern sitzen müssen. Seine Haft hatte, auch wenn man die Untersuchungshaftzeit seit dem 23. August 2019 einberechnet, also gerade erst begonnen. Das deutsche Recht kennt dann nur zwei Möglichkeiten, wie sich die Gefängnistore für ihn trotzdem schon viel früher öffnen können, so wie es jetzt der Fall ist.

Die eine Möglichkeit wäre gewesen, dass der Bundespräsident ihn begnadigt. Eine solche Entscheidung hätte Frank-Walter Steinmeier freigestanden. Artikel 60 des Grundgesetzes gibt ihm das Recht dazu. Ein Wort des Staatsoberhaupts genügt, eine besondere juristische Begründung müsste Steinmeier nicht geben. Aber natürlich hätte ein solcher Schritt vor der politischen Öffentlichkeit einer besonders sensiblen Begründung bedurft – zumal Steinmeier bereits wegen des Vorwurfs einer zu großen politischen Nähe zu Russland in der Kritik gestanden hat.

Der Tiergartenmörder Wadim Krasikow hat kaum etwas von seiner Haftstrafe in Deutschland abgesessen. (Foto: Reuters)

So hat sich die Bundesregierung offenbar für den zweiten, rechtlich allerdings komplizierteren Weg entschieden. Dieser sieht so aus: Der Generalbundesanwalt erklärt offiziell seine Bereitschaft, von der weiteren Vollstreckung der Strafe Krasikows „abzusehen“. Dies ist möglich, weil der Generalbundesanwalt, Jens Rommel, offiziell für die Strafvollstreckung in jenen Fällen zuständig ist, die seine Anklagebehörde vor Gericht gebracht hat. Die Grundlage ist der Paragraf 456a der Strafprozessordnung. So kann Krasikow offiziell an Russland „ausgeliefert“ werden.

Allerdings: Das ist laut Gesetz eigentlich kein Straferlass, sondern nur ein Ortswechsel. Diese Regel wird in Deutschland normalerweise dann angewandt, wenn ausländische Straftäter hierzulande verurteilt und eingesperrt werden – und dann den Rest ihrer Strafe in ihrem Heimatland absitzen wollen. Im Fall Krasikow freilich liegen die Dinge etwas anders. Nach einem Ortswechsel dieses Mannes nach Russland wird er kaum weiter eine „Reststrafe“ absitzen – sondern eher als Held begrüßt werden. Dementsprechend hatte die Bundesanwaltschaft bislang nie eine solche „Reststrafenvollstreckung“ in Russland erwogen.

Und die Erwartung, dass Krasikow in Russland weiter hinter Gittern sitzen würde, hat man in der Karlsruher Behörde wohl auch jetzt nicht. Zu einer Krasikow-freundlichen Entscheidung nach 456a der Strafprozessordnung war die Bundesanwaltschaft so auch nicht bereit. Erst ein Machtwort des Bundesjustizministers, Marco Buschmann (FDP), hat dies geändert, wie zu hören ist. Der Bundesjustizminister ist befugt, dem Generalbundesanwalt Weisungen zu erteilen. Davon macht der Minister äußerst selten Gebrauch. In diesem Fall aber bestand offenbar der Karlsruher Anklagechef auf einer solchen klaren Instruktion von oben – auch um die Verantwortlichkeiten klarzumachen.

Weisungen des Bundesjustizministers müssen sich im Rahmen des geltenden Rechts bewegen. Daran, dass das bei Marco Buschmanns Entscheidung so war, wollte bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Donnerstag niemand zweifeln. Aber so sehr man bei der Bundesanwaltschaft daran gewöhnt ist, dass verurteilte Spione irgendwann im Rahmen politischer Händel ins Ausland entlassen werden – dass es diesmal nicht bloß ein Spion, sondern ein Mörder ist, der außerdem bei helllichtem Tag und in Anwesenheit von Passanten in Berlin tötete, das zu akzeptieren, fällt offenbar schwer.

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