Kranker Finanzminister Schäuble:An der Grenze

Für Politiker sind Krankheiten mehr als nur ein medizinisches Problem. Oft wird in der Öffentlichkeit verschleiert, zum Teil gelogen. Das Misstrauen ist darum groß - auch im Fall Schäuble.

Nico Fried

Wolfgang Schäuble sei auf dem Weg der Besserung. So hat es Angela Merkel bereits am Montag gesagt. Wie es dem Finanzminister geht, weiß man seitdem trotzdem nicht.

Finanzminister Wolfgang Schäuble Krankheit ap

Sitzt wegen der Folgen eines Pistolen-Attentats im Rollstuhl: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)

(Foto: Foto: AP)

Nimmt man die Worte der Kanzlerin ernst, dann ist Schäubles Zustand nicht mehr so schlecht wie am Sonntag, als er in Brüssel ins Krankenhaus musste und nicht am Treffen mit seinen Kollegen aus den Euro-Staaten teilnehmen konnte.

Bisweilen auch glatte Lügen

Er ist aber offenbar auch nicht so gut, dass der Minister in Berlin schon wieder Sitzungen beiwohnen könnte: Schäuble fehlte entgegen der ursprünglichen Ankündigung am Dienstagvormittag im Kabinett und auch am Nachmittag in der Fraktion.

Das wichtigste Anliegen aus Sicht von Merkel und Schäuble ist jetzt, den Eindruck zu erwecken, als sei alles in Ordnung - und zwar auch dann, wenn nicht alles in Ordnung sein sollte. Nach Angaben von Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans sagte Merkel im Kabinett, sie habe in der Euro-Krise fortlaufend Kontakt mit Schäuble gehabt.

Um 13 Uhr am Dienstag, so hieß es weiter, hätten Merkel und Schäuble noch einmal miteinander telefoniert. Er soll ihr gesagt haben, dass er seine ursprüngliche Planung auf ärztlichen Rat hin zurückgestellt habe. Sie habe ihm geraten, sich noch ein paar Tage zu schonen.

Ein Rücktritt Schäubles stehe nicht zur Debatte, sagt sein Sprecher. Und Merkel? "Ich gehe davon aus, dass sie ihm das volle Vertrauen ausgesprochen hat."

Für Politiker, zumal in Führungsposition, sind Krankheiten nicht nur ein medizinisches Problem. Immer stellt sich auch die Frage, wie man öffentlich damit umgeht. Die Erfahrung lehrt, dass die Betroffenen oder ihre Vertrauten die Krankheit herunterspielen oder ganz abstreiten. Bisweilen wird auch glatt gelogen.

Deshalb ist das Misstrauen der Medien groß. Mit jedem weiteren Tag, an dem Schäuble nicht in der Öffentlichkeit auftaucht, gilt dies auch für ihn. Und das, obwohl Wolfgang Schäuble wie keinem anderen daran gelegen sein mag, immer neue Mutmaßungen zu vermeiden.

Genschers ausgeprägte Krankenakte

Weil Schäuble wegen seiner Querschnittslähmung schwächer ist als andere, kann er sich weniger Schwäche leisten. Ein Schnupfen ist auch bei ihm nur ein Schnupfen. Aber wenn eine Wunde bei ihm langsamer heilt als bei Menschen ohne Behinderung, dann ist Schäuble auch in der öffentlichen Kommunikation im Nachteil. Erst recht, wenn er sich - wie geschehen - quasi selbst aus dem Krankenhaus entlässt, um Handlungsfähigkeit zu zeigen, und danach wieder ins Krankenhaus muss.

Dementis und Beschwichtigungen gehören zu kranken Politikern wie Spritzen und Tabletten. Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt kam im November 1978 ins Krankenhaus, angeblich hatte er nur eine fiebrige Erkältung. Berichte über einen Herzinfarkt erklärte ein SPD-Sprecher zu "schamloser Sensationsmache". Aus wenigen Tagen Krankenhaus-Aufenthalt wurden fünf Wochen, Diagnose: Herzinfarkt. Erst an Weihnachten durfte Brandt wieder zu seiner Familie.

Der langjährige Außenminister Hans- Dietrich Genscher hatte auch eine ausgeprägte Krankenakte. Schon als junger Mann litt er an Tuberkulose, später suchten ihn Grippen heim, eine Nierenkolik, Schwächeanfälle, Herz-Rhythmus-Störungen. Im März 1989 verschleppte Genscher über Tage und Wochen eine Infektion.

Schäuble und sein Witz über das "Sitzfleisch"

Seinem Internisten soll er auf dessen Rat, der Minister möge doch gleich im Krankenhaus bleiben, geantwortet haben, er sei kein Sparkassen-Vorstand, der sich ohne öffentliches Aufhebens einfach ins Bett legen könne. Genscher versuchte, mehr zu schlafen, nahm aber wichtige öffentliche Auftritte wahr, damit niemand Verdacht schöpfte. Im Juli desselben Jahres erlitt er einen Herzinfarkt.

Im Selbstverständnis und im Terminkalender von Spitzenpolitikern ist keine Zeit für Krankheiten. Und wenn sie doch kommen, dann bestimmt zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Helmut Kohl litt an einer sehr schmerzhaften Prostata-Geschwulst, als er 1989 auf dem Bremer CDU-Parteitag einen Putschversuch parteiinterner Widersacher um Lothar Späth und Rita Süssmuth abwehren musste. Er hielt durch - und wurde anschließend heimlich ins Krankenhaus gebracht.

Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck erlitt einen leichten Schlaganfall, ließ aber verlautbaren, es handele sich nur um Kreislaufprobleme. Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder erzählte Struck erst einige Tage später die Wahrheit. Bei einem Schlaganfall, so rechtfertigte sich Struck Jahre später, hätten die Menschen immer gleich schlimme Vorstellungen: "Man ist gelähmt und so. Das war ja nun wirklich nicht so dramatisch bei mir."

Seitdem er nach einem Attentat im Jahre 1990 gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen ist, hat Wolfgang Schäuble seine Behinderung stets offen und offensiv behandelt. Er hat in einem legendären Interview ("Kann ein Krüppel Kanzler sein?") selbst die Frage aufgeworfen, welche Grenzen einem behinderten Menschen in der Politik gesetzt sein könnten.

Pressegespräch am Krankenbett

Als er jetzt im Frühjahr zu einer Routineoperation ins Krankenhaus musste, gab er freimütig Auskunft über den Anlass der Behandlung, später auch darüber, dass die Wunde nicht richtig verheilte. Den Rest erledigten mit oder ohne Schäubles Wissen andere. Am Ende standen sogar Details über Implantate in der Zeitung.

Transparenz war für Schäuble immer auch ein Mittel, politischen Widersachern nicht die Chance zu geben, seinen Gesundheitszustand gegen ihn zu instrumentalisieren. Diesmal aber währt seine Abwesenheit schon zu lange, die politische Immunisierung ist gescheitert. Deshalb ist der Finanzminister diesmal auch weiter gegangen, als wohl jemals ein prominenter deutscher Politiker vor ihm: Im Krankenhaus empfing Schäuble einen Reporter der Zeit zum Gespräch. "Warum soll ich nicht hier mit Ihnen reden? Gegen solche Empfindsamkeit wird man unsensibel", sagte er dem Reporter.

"Im Augenblick ist es sogar von Vorteil für mich, hier zu sein. Die Kabinettskollegen tun sich schwer, Geld von mir zu verlangen." Ein Witzchen darf immer sein.

Als Schäuble vergangene Woche in der Bundespressekonferenz erschien, attestierte er sich selbst, sein Sitzfleisch sei "wieder so, dass ich in der Lage bin, notfalls auch den Götz von Berlichingen zu zitieren".

Angela Merkel ist in ihrer Zeit als Kanzlerin bislang ohne große Beeinträchtigungen durchgekommen. Die These, Politik mache krank, stimmt bei ihr nur insofern, als sie im Winter 2008 während des Landtagswahlkampfs in Hessen fast völlig ihre Stimme verlor und bei einem Empfang in Berlin nur noch krächzen konnte.

Vertraute erinnern sich ansonsten nur an einen Fall, in dem sie wegen einer Erkältung übers Wochenende im Bett blieb.

Besondere Präventionsmaßnahmen der Kanzlerin sind nicht überliefert: Sie geht gerne spazieren, trinkt in der Fastenzeit keinen Alkohol und betreibt im Winter Skilanglauf.

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