Die Beiträge für die gesetzliche Krankenkasse sind gerade erst zum Jahreswechsel gestiegen, noch stärker als im Herbst befürchtet. Die Krankenkassen haben ihren Zusatzbeitrag im Durchschnitt um 1,2 Prozentpunkte erhöht. Den müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils zur Hälfte zahlen. „Das war der höchste Beitragssatzanstieg in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, sagte Andreas Storm, der Chef der DAK, Deutschlands drittgrößte gesetzliche Krankenversicherung, am Dienstag in Berlin. Und wenn die nächste Bundesregierung nach der Wahl keine Reformen angehe, würden die Krankenkassenbeiträge immer weiter steigen, warnte Storm. „Vor diesem Hintergrund halten wir es für zwingend, dass auch das Thema Reform der sozialen Sicherungssysteme ganz oben auf die Agenda bei den Koalitionsverhandlungen gehört.“ Das Ziel müsse sein, einen weiteren Anstieg der Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung zu vermeiden und das jetzige Niveau zu halten.
Wie schlimm die Lage werden könnte, haben Ökonomen des IGES-Instituts für die DAK ausgerechnet. Hierfür wurden vor allem die Einnahmen und die Ausgaben der Krankenkassen gegenübergestellt. Die Einnahmen ergeben sich aus den Löhnen: Je mehr Leute einen Job haben und je besser diese bezahlt sind, desto mehr Geld bekommen auch die Krankenkassen. Wie stark die Ausgaben steigen, hängt unter anderem davon ab, wie effizient das Gesundheitssystem organisiert ist, wie teuer Medikamente werden und wie stark die Löhne für Pflegekräfte steigen. Die IGES-Projektion arbeitet hier mit langfristigen Durchschnitten, die in die Zukunft fortgeschrieben werden, um eine naturgemäß nur grobe Schätzung der künftigen Beiträge zu erhalten.
Auch die Pflegebeiträge dürften 2026 weiter nach oben gehen
Demnach steigen schon im nächsten Jahr die Beiträge weiter. Und zwar noch mal um einen halben Beitragspunkt, was ebenfalls deutlich über der jährlichen Veränderung seit der Wiedervereinigung läge. Weil die Ausgaben ohne Reform laut IGES schneller steigen als die Einnahmen, klettert der Beitragssatz zum Ende der nächsten Legislaturperiode von jetzt 17,5 auf 18,5 Prozent im Jahr 2029. Im Jahr 2035 könnte der Beitragssatz bei 20 Prozent liegen, dann müsste jeder Arbeitnehmer zehn Prozent seines Bruttolohns nur für das Gesundheitssystem abgeben. Steigen die Kosten im Gesundheitssystem nur etwas stärker und entwickeln sich die Löhne bis dahin etwas schlechter, würde der Beitrag sogar auf mehr als 22 Prozent steigen.
Dazu kommt noch ein steigender Pflegebeitrag, der über die Krankenversicherungen abgewickelt wird. Auch hier ist schon die Gegenwart nicht erbaulich. Im Vorjahr wurden mehr Deutsche pflegebedürftig als gedacht, und die Löhne in der Branche sind gestiegen. Die Pflegekasse hat laut IGES darum das Jahr mit einem Verlust von rund zwei Milliarden Euro abgeschlossen. Die Ökonomen rechnen daher damit, dass 2026 auch der Pflegebeitrag weiter steigt, voraussichtlich um 0,2 Prozentpunkte.
Die Sozialbeiträge werden höher, weil viele in Rente gehen
Auch der mittelfristige Ausblick ist klar: Es wird teurer. Gibt es im Jahr 2035 rund sieben Millionen Pflegebedürftige, wird der Beitragssatz laut IGES bei 4,5 Prozent liegen. Gibt es mehr als acht Millionen, steigt der Satz auf mehr als fünf Prozent. Eingerechnet ist hierbei schon ein durchschnittlicher Rabatt, weil Eltern weniger in die Pflegekasse zahlen müssen als Kinderlose. Die Sozialbeiträge insgesamt werden zudem durch steigende Rentenbeiträge getrieben, weil viele Babyboomer in den kommenden Jahren in Rente gehen. Und wenn der Arbeitsmarkt schlecht läuft, wird auch noch die Arbeitslosenversicherung teurer. Die gesamten Sozialbeiträge würden zu stark steigen, so DAK-Chef Storm. „Das ist weder den Versicherten noch den Arbeitgebern zumutbar, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die deutsche Wirtschaft in den letzten beiden Jahren geschrumpft ist.“
DAK-Chef Storm möchte höhere Zuschüsse beispielsweise für diejenigen Mitglieder, die Bürgergeld beziehen. Was seine Krankenkasse für diese Mitglieder vom Staat bekäme, reiche „bei Weitem“ nicht, sagte Storm. Er fordert außerdem, dass die große Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aus Steuermitteln finanzieren werden soll und nicht aus den Beiträgen der Krankenkassen. Die nächste Bundesregierung müsse das schnell korrigieren, sonst würden die Krankenkassen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, kündigte Storm an: „Sollten wir im Frühsommer sehen, dass die Politik hier nicht reagiert hat, wäre der Klageweg vorgezeichnet.“
Des Weiteren brauche es Strukturreformen, weil das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich nicht mehr effizient sei, so der DAK-Chef. Er sieht hier zuvorderst die Ärzte in der Verantwortung, um über bessere Strukturen beispielsweise Doppeluntersuchungen zu vermeiden. „Hier gibt es ein gewaltiges Potenzial“, sagte Storm.