Süddeutsche Zeitung

Kontrastmittel:Krankenkassen verschwenden 200 Millionen Euro im Jahr

Sie zahlen Radiologen für Medikamente bei Untersuchungen in Tomografen zum Teil noch mehr als bisher bekannt.

Von Christina Berndt und Markus Grill

In manchen Bundesländern zahlen die gesetzlichen Krankenkassen noch kräftiger überhöhte Preise für Kontrastmittel als bisher bekannt. Im August hatten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung berichtet, dass Radiologen in Bayern, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Kontrastmittel für Untersuchungen in Computertomografen (CT) oder Magnetresonanztomografen (MRT) zu günstigen Preisen auf dem freien Markt einkaufen können, von den Krankenkassen aber hohe Pauschalen dafür erhalten. So können die Ärzte jedes Jahr auf rund 100 000 Euro an Zusatzeinnahmen pro MRT- oder CT-Gerät kommen - auf Kosten der Versicherten; die Krankenkassen verschwenden etwa 200 Millionen Euro im Jahr.

Gängige Marktpreise für die Mittel sind laut Abrechnungen, die NDR, WDR und SZ vorliegen, rund 800 Euro pro Liter MRT-Kontrastmittel, in Bayern zum Beispiel liegt die Pauschale aber bisher bei 3900 Euro. Es gibt Hinweise darauf, dass der finanzielle Anreiz Radiologen dazu verführt, ihren Patienten die gesundheitlich nicht unbedenklichen Mittel häufiger zu spritzen als dies Radiologen in Bundesländern tun, die nicht daran verdienen.

Einige Pauschalen werden nun gekürzt, doch neu ist eine Art "Lex Bayer"

In Sachsen und Thüringen sind die möglichen Gewinne sogar noch höher: Hier erstattet die zuständige AOK Plus 4700 Euro pro Liter, wie aus Unterlagen hervorgeht, die die Kasse an Kontrastmittelhersteller geschickt hat. Die AOK Plus, die wie alle Krankenkassen gesetzlich einem Wirtschaftlichkeitsgebot unterliegt, will die hohen Preise auf Anfrage nicht kommentieren. "Die vereinbarten Konditionen" seien Geschäftsgeheimnis, teilt sie auf Anfrage mit.

Um ihre Kontrastmittelvergütung nicht kundtun zu müssen, hat die AOK Baden-Württemberg im August sogar eine Anwaltskanzlei eingeschaltet. Damals hatten NDR, WDR und SZ bei mehreren Kassen mit Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz um konkrete Angaben zu den Erstattungen für Kontrastmittel gebeten. Die AOK Baden-Württemberg, die früher einmal Vorreiterin darin war, günstige Medikamentenpreise mit Pharmakonzernen zu verhandeln, beauftragte daraufhin eine renommierte Kanzlei zu prüfen, wie die Informationsansprüche der Presse abzuwehren seien. Wie viel diese Einschätzung gekostet hat, wollte die AOK Baden-Württemberg auf Anfrage nicht mitteilen. Dabei sind die Kontrastmittelausgaben in Baden-Württemberg mit 43,3 Millionen Euro mit am höchsten. Umgerechnet auf 1000 Versicherte geben die Kassen in Baden-Württemberg jährlich 4607 Euro für Kontrastmittel aus. In Schleswig-Holstein, wo ebenso wie in Berlin nur eine dem Marktpreis entsprechende Pauschale von rund 800 Euro gezahlt wird, sind es nur 1804 Euro im Jahr.

Weshalb manche Kassen so freizügig mit ihren Versichertengeldern umgehen? Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Abrechnung nach Pauschalen für sie bequemer ist als die Ausschreibung der Mittel. Im Gebiet der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein waren es auch gar nicht die Radiologen, die sich im vergangenen Jahr für die Einführung einer Pauschale einsetzten, sondern die Krankenkassen. Das geht aus Mails und Gesprächsnotizen hervor. Die zuständige AOK Hamburg/Rheinland wollte das auf Anfrage nicht kommentieren.

In manchen Bundesländern haben die Kassen inzwischen reagiert. In Brandenburg gibt es ab dem kommenden Jahr nur noch 1200 Euro pro Liter. Und in Bayern wurde die Pauschale drastisch abgesenkt. Die neue Höhe ist noch geheim, aber einem internen Entwurf ist zu entnehmen, dass die bayerischen Radiologen pro Liter statt bisher 3900 Euro nur noch 970 Euro erhalten sollen.

Ob die Regelung wirklich zur Einsparung führt, ist allerdings fraglich, denn sie enthält eine Ausnahme: Ärzte, die das Kontrastmittel Gadovist der Firma Bayer einsetzen, dürfen künftig statt der neuen Pauschale von 970 Euro satte 5580 Euro pro Liter abrechnen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass von Gadovist pro Untersuchung nur die halbe Menge gebraucht wird, bleibt das Medikament damit für die Kassen fast dreimal so teuer wie Konkurrenzprodukte. Und der Arzt ist am Ende frei in der Wahl des Kontrastmittels. Wie diese "Lex Bayer" zustande gekommen ist? Dazu sagte die AOK Bayern auf Anfrage nichts.

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SZ vom 14.09.2019/fued
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