Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:"Die Stärkeren überleben, die Schwächeren verschwinden"

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In Zeiten von Corona und danach rechnen viele Klinikmanager mit einem Rückgang ihrer Umsätze, wie eine Studie zeigt. Was das für die Reform des deutschen Krankenhaussystems bedeutet.

Von Rainer Stadler

Die Rechnung ist immer die gleiche - und am Ende steht immer ein Minus: In Deutschlands Kliniken wären Investitionen in Höhe von sechs Milliarden Euro jährlich nötig, haben der Deutsche Krankenhausverband und die Versicherer gerade ermittelt. Doch die Bundesländer, die gesetzlich zur Finanzierung dieser Kosten verpflichtet sind, zahlen nur halb so viel. Bleibt eine Lücke von drei Milliarden Euro. So geht das seit Jahren.

In der Vergangenheit versuchten die Kliniken, die Lücken aus dem laufenden Betrieb heraus zu schließen. Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Roland Berger, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wirft die Frage auf, wie das in Zeiten von Corona gelingen kann. Und auch in den Jahren danach.

Während in den Jahren vor der Pandemie noch bis zu 80 Prozent der Kliniken ihren Umsatz steigerten, erwartet für 2021 mehr als die Hälfte der 600 Klinikmanager, die für die Studie befragt wurden, einen Umsatzrückgang. Dieser Rückgang ist umso dramatischer, da er auf das Jahr 2020 folgt, in dem bereits die Hälfte der Kliniken rote Zahlen schrieb. Es waren nicht mehr nur die kommunalen Träger, die ins Minus rutschten, erklärt Peter Magunia, einer der Autoren der Studie. Auch ein Drittel der privaten Träger wies 2020 ein Defizit aus. Die meisten Klinikmanager sehen auch für die Zukunft schwarz: 83 Prozent der Befragten erwarten eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in den kommenden fünf Jahren.

Um die Einnahmen zu verbessern, baut etwa die Hälfte der Kliniken auf mehr ambulante Erlöse, zudem sollen Personal- und Sachkosten eingespart werden. Drei Viertel aller Klinikmanager erhoffen sich eine Steigerung der stationären Erlöse.

Experte sieht Corona als "Brandbeschleuniger"

Hier sieht Magunia allerdings ein Problem: Seit Jahren sei ein Trend "zur Ambulantisierung bei gleichzeitiger Abnahme stationärer Behandlung zu beobachten". Diese Entwicklung habe sich während der Pandemie weiter beschleunigt. Der medizinische Fortschritt ermöglicht mehr und mehr ambulante Operationen, Patienten müssen nicht mehr wie früher nach einem Eingriff tagelang das Bett im Krankenhaus hüten. Oliver Rong, der ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat, sieht Corona als "Brandbeschleuniger für Trends, die seit Langem angelegt sind".

In der Pandemie kam hinzu, dass die Kliniken von der Politik zeitweise angehalten waren, sogenannte elektive, also verschiebbare Operationen zurückzustellen und die Betten für Corona-Kranke freizuhalten. Doch nicht nur deshalb sank die Zahl dieser Eingriffe: "Patienten hatten während der Pandemie Angst, sich für elektive Eingriffe ins Krankenhaus zu begeben", sagt Rong.

Diese Angst schlug sich auch auf Notfälle nieder, sogar bei Herzinfarkten oder Schlaganfällen verzeichneten die Kliniken einen Rückgang. Während die Gesundheitsexperten von Roland Berger damit rechnen, dass sich die Notfälle wieder auf den üblichen Rahmen einpendeln, wenn die Pandemie überstanden ist, sehen sie bei den elektiven, für die Kliniken oft lukrativen Operationen einen dauerhaften Rückgang.

Diese Entwicklung dürfte all jene bestätigen, die das deutsche Krankenhaussystem seit Langem für überdimensioniert halten. Vor wenigen Tagen erst äußerte sich Josef Hecken, der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, dem obersten Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen: "Wir haben zurzeit 1900 Krankenhäuser, 1200 wären genug."

Auch die Gesundheitsexperten von Roland Berger halten es für sinnvoll, die Zahl der Häuser zu reduzieren. Sie kritisieren allerdings, dass der Strukturwandel im Moment nur einer Regel folgt: "Die Stärkeren überleben, die Schwächeren verschwinden vom Markt", sagt Oliver Rong.

Auch wenn Kliniken schließen, sei es nötig, dass in Deutschland eine flächendeckende Notfallstruktur erhalten bleibe. In den vergangenen Jahren seien gerade kleine Kliniken durch politische Vorgaben unter Druck geraten, ergänzt Peter Magunia: Für den Betrieb einer Intensivstation, Unfallchirurgie oder Kardiologie müssen die Kliniken eine bestimmte Menge an Personal vorhalten. Und bei komplizierten Operationen gibt es Mindestfallzahlen, die Kliniken pro Jahr erreichen müssen - nur dann werden die Eingriffe von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. Beide Vorgaben mögen medizinisch sinnvoll sein. Aber sie benachteiligen die kleineren Häuser. Für sie wird es immer schwieriger, ein attraktives Leistungsspektrum anzubieten, warnt Magunia.

Die Politik steht vor der schwierigen Aufgabe, das Krankenhaussystem so zu reformieren, dass die Grundversorgung auch für Bewohner außerhalb großer Städte erhalten bleibt. Das System habe sich in der Pandemie ja durchaus bewährt, konstatiert Magunia: Es gab ausreichend Intensivbetten, "es mussten keine Notfallkrankenhäuser errichtet werden". Politiker müssten in ihre Überlegungen deshalb auch einbeziehen, "wie es gelingt, in Zukunft auf Pandemien vorbereitet zu sein".

Eine Lösung schließt er jedoch aus: einfach alles beim Alten zu belassen. Das werde nicht funktionieren, sagt Magunia, "allein schon, weil das nötige Personal fehlt".

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