Süddeutsche Zeitung

Witz und Ressentiment:Gebt dem Karneval das Subversive zurück

Kramp-Karrenbauers Witz über Intersexuelle kommt von oben und geht auf die Kosten derer da unten. Das widerspricht der Grundidee des Karnevals.

Kommentar von Matthias Drobinski

Karneval, Fasching, Fastnacht - das ist die Zeit des kollektiven Niveauverlusts, des Schenkelklopfers über Frauen, Männer und die Deppen aus der Nachbarstadt, des in Pappmaché modellierten Scherzes. Das Subtile verschwimmt mal für ein paar Tage, unter tätiger Mithilfe von Kölsch und Wein und billigem Sekt. Zum Glück: Der höhere Sinn und die Weltrettung brauchen auch mal eine Pause. Der Niveauverlust entlarvt den angeblich heiligen als tierischen Ernst; das ist eine nicht zu unterschätzende Kulturleistung. Er setzt dem Gewese und dem Wichtigtun ein beherztes Humba-humba-tätärä entgegen.

In diesem Sinne erfüllt der Scherz der CDU-Vorsitzenden und erfahrenen Fastnachterin Annegret Kramp-Karrenbauer in Stockach am Bodensee zunächst einmal die Anforderungen eines gelungenen Flachwitzes - ein Klo kommt vor und auch das schöne Wort "pinkeln". Und eigentlich wollte sie ja den Männern erklären, dass sie arme Würstchen sind: ein Klassiker, bewährt in tausend närrischen Sitzungen.

Tusch und Lacher sind da sicher, doch der Witz über Intersexuelle, die nicht wissen, ob sie im Stehen oder Sitzen pieseln sollen, ist trotzdem arg daneben. Er kommt von oben und geht auf die Kosten derer da unten, das ist sein Problem. Oben steht die Politikerin, unten die - längst noch nicht gleichberechtigte - Minderheit. Witze in dieser Richtung kosten nichts und riskieren nichts. Sie machen das Publikum zum Komplizen des Ressentiments. Das funktioniert leider meist ziemlich gut, auch auf mancher Prunksitzung im Land.

Dabei lief der Scherz im Karneval einst genau in die andere Richtung: Die da unten machten sich über die da oben lustig - über Napoleons Besatzungsmacht und die Preußen, die Kirche, die Vertreter von Obrigkeit, Moral und Anstand. Je mehr aber der Karneval zu einer Veranstaltung von denen da oben wurde, die Etablierten den Elferrat übernahmen und die Honoratioren es sich nicht nehmen ließen, auf den vorderen Bänken zu schunkeln, desto mehr verlor der Spaß das Subversive. Das ist das Problem des etablierten Karnevals - und Politiker in der Bütt sind sozusagen die Personifizierung des Problems: Sie wollen sich und ihren Wählern zeigen, wie volksnah und lustig sie sind. Da kann sich ein Scherz schon mal schnell in der Richtung irren.

Liebe Scherztreibende der närrischen Zeit: Gebt dem Karneval doch das Subversive zurück, das ja schon längst wieder auf den alternativen Sitzungen im ganzen Rheinland lebt! Das heißt ja nicht, dass es keine Witze über Minderheiten mehr geben darf: Es gibt wunderbare von Türken über Türken und legendäre von Juden über Juden, sie sind halt das Gegenteil von Türken- und Judenwitzen. Und selbstverständlich müssen die unzweifelhaft komischen Ausstülpungen der (insgesamt ja sehr berechtigten) Debatte, was nun politisch korrekt ist oder nicht, dem Humor zugänglich sein. Humor bekämpft ja die grassierende Distanzlosigkeit. Und Selbstironie ist immer heilsam - und vielleicht das beste Stilmittel für einen Politikerauftritt in der Bütt. Denn die Lage erfordert den nötigen Unernst.

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