Krach in der Koalition:Ende der Flitterwochen

Der Große Geist weht nicht mehr: Statt um Reformen streitet die Regierung um Bauern in Bayern und sexuelle Selbstbestimmung.

Christoph Schwennicke

Es ist noch nicht lange her, da besuchte Angela Merkel die SPD-Bundestagsfraktion und erklärte sich zur Kanzlerin aller SPD-Abgeordneten. Und Franz Müntefering schwor seinem Wahlkampf-Mantra ab und bekannte öffentlich: Sie kann es doch.

Angela Merkel

Schuld sind die anderen: Angela Merkel sieht allein den Koalitionspartner als Reformbremse.

(Foto: Foto: ddp)

Eine schöne Zeit war das, als die Opponenten von gestern sich zu Regenten von heute vermählten. Tiefer reichende Meinungsunterschiede wurden zu Petitessen erklärt, wenn nur der Große Geist der großen Koalition alles Handeln durchwehe.

Es hat knappe 200 Tage gedauert, bis der euphorische Anfang vorbei war. Jetzt zeigt sich: Es war eine Luftspiegelung, die große Koalition der Gleichgesinnten ist ein Märchen. Die Kanzlerin hat völlig Recht, wenn sie sagt, die große Koalition gehe nun in die zweite Etappe. Aber sie hat anders Recht, als sie meinte.

Die zweite Etappe ist nicht gekennzeichnet von beherzter Reformpolitik - wir warten weiter auf die Gesundheitsreform -, sondern von einer raschen Banalisierung des Regierungsalltags.

Großes wollen, Kleines schaffen

Man streitet ums Detail, man handelt absurde Kompromisse aus zwischen Steuersätzen für Bauern in Bayern und sexueller Selbstbestimmung von Homosexuellen an der Hotelrezeption.

Die Koalition und ihre Kanzlerin handeln, frei nach Goethe, wie ein Teil von jener Kraft, die stets das Große will und nur das Kleine schafft.

Nicht nur in dieser Hinsicht nähert sich Schwarz-Rot rasant der Normalisierung. Wie zuvor bei Rot-Grün wird inzwischen gern auf den anderen gezeigt, wenn die Frage auftaucht, warum was nicht geht.

Von einem Korpsgeist ist nicht mehr viel zu spüren. Die Kanzlerin in ihrer Erklärungsnot vor den eigenen Leuten hat sich nun eines armseligen Entschuldigungsmusters bedient. Man habe ein schweres Erbe angetreten und es im Übrigen mit einem Koalitionspartner zu tun, der sich mit Veränderungen schwer tue.

Beide Äußerungen der Kanzlerin aller Koalitionäre gehen auf die Knochen der SPD. Die eine ist dabei billig (das Erbe), die andere mindestens ungerecht.

Um nicht zu sagen: falsch.

In der vorläufigen Bilanz der großen Koalition hat die SPD innenpolitisch mehr auf der Haben-Seite zu verbuchen. Während Deutschland, wie ein kluger Beobachter unlängst schrieb, weiter auf den Antrittsbesuch der Kanzlerin wartet, machten sich die SPD-Minister in ihren Schlüsselressorts an die Arbeit.

Vizekanzler Franz Müntefering nahm die Rente mit 67 auf seine Schultern, eine notwendige, tief greifende und wenig populäre Entscheidung, bei der er wenig direkte Rückendeckung der Kanzlerin erfahren hat.

Sie sah vielmehr zu, dass die Rente mit 67, wiewohl in ihrem Sinne, ausschließlich mit der SPD assoziiert wird. Ebenso professionell und engagiert machten sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück ans Werk.

Buhmänner der Union

Auch Steinbrück kann spätestens seit gestern ein Lied davon singen, was es heißt, für die Bundeskanzlerin (immer mehr) Steuern einzutreiben und dafür an den Pranger gestellt zu werden.

Dagegen nimmt sich die vorläufige Bilanz auf Unionsseite bescheiden aus. Wolfgang Schäuble steuert das Innenministerium mit Autopilot und Merkels Freundin Annette Schavan ist bislang völlig blass geblieben.

Über Wirtschaftsminister Michael Glos und Verteidigungsminister Franz Josef Jung ist schon viel geschrieben worden und wenig Gutes. Und Horst Seehofer trägt immer noch öffentlich zur Schau, wie er daran leidet, nicht Gesundheitsminister zu sein, anstatt zu zeigen, wofür er Verbraucherminister ist.

Eine (hysterisierte) Vogelgrippe macht noch keinen Minister. Die engagierte Familienministerin Ursula von der Leyen hat das Elterngeld durchgefochten, aber mehr mit Rückendeckung aus der SPD als aus den eigenen Reihen.

Also kein Grund für Hybris bei der Union und der Kanzlerin. Erstens hat die CDU-Kanzlerin schon vor der Entscheidung über das Anti-Diskriminierungsgesetz SPD-Politik gemacht.

Ende der Flitterwochen

Und zweitens kann sie als Inhaberin der Richtlinienkompetenz und letzte Entscheidungsinstanz nicht dem Koalitionspartner anlasten, er tue sich mit notwendigen Entscheidungen schwer. Dieser Vorwurf muss immer auf sie selbst zurückfallen.

In der Union, vor allem der CDU, frisst sich der Frust über die sozialdemokratische Politik ihrer Kanzlerin allmählich von unten nach oben.

Der Kanzlerin neue Kleider

Noch stehen ihr zwar die natürlichen Verbündeten aus den Wirtschaftsverbänden bei und geben dafür keinen Resonanzboden ab. Aber irgendwann werden auch diese loyalen Herrschaften beklagen, dass ihnen der Kanzlerin neue Kleider absolut nicht gefallen.

Bis auf Weiteres bleiben die beiden unnatürlichen Koalitionspartner, wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch CDU und SPD im Berliner Bündnis genannt hat, aus Alternativlosigkeit aneinander gefesselt.

Aber es tut sich was: Schwarz-Grün wurde in Stuttgart versucht und in Frankfurt gemacht. Am Wochenende wird Guido Westerwelle in Rostock Rot-Gelb für denkbar erklären, am Tag, an dem der pfälzische Liberalenfreund Kurt Beck in Berlin zum SPD-Vorsitzenden gewählt wird.

Es wird also wieder bunter in der deutschen Politik. Gut so. Denn wo Alternativen sind, wächst Wettbewerb.

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