August von Kotzebues Erdolchung:Mord in Mannheim

Assassinat de August Von KOTZEBUE 1761 1819 dramaturge allemand & avocat Crimes celebres de A D

Der Mord an Kotzebue am 23. März 1819 provozierte eine Ära des Obrigkeitsstaates.

(Foto: Imago)

Der Täter war Burschenschafter, das Opfer reaktionärer Schriftsteller: Wie ein Verbrechen vor 200 Jahren den politischen Terrorismus in Deutschland begründete.

Von Gustav Seibt

Im Frühjahr 1819 besuchte in Jena ein schwarz gelockter, gut aussehender Student der Theologie eine Vorlesung der Anatomie. Dort interessierte er sich besonders für die genaue Lage des menschlichen Herzens. Später ließ er sich dann einen spitzen Dolch scharf schleifen und ein kleines Schwert anfertigen.

Mit diesen Waffen übte er bestimmte Handbewegungen: Erst sollte der Dolch das Gesicht treffen, damit das Opfer die Hände nach oben reiße und den Oberkörper entblöße. Mit einem zweiten Stoß sollte das Schwert die Brust aufschlitzen.

Am 9. März begab sich der junge Mann auf die Reise nach Mannheim, nicht ohne in seinem Schreibtisch lange Schriftstücke zu hinterlassen, in denen er mitteilte, was er vorhatte.

Doch niemand verdächtigte den tadellosen Beamtensohn, der am liebsten in der modischen altdeutschen Tracht der national gesinnten Burschenschafter herumlief: schwarzer enger Rock, weite Hosen, schräg gelegtes Barett über langen Haaren.

Dann schrie der Sohn seines Opfers, und Sand befiel das Gefühl, dem Kind ein Unrecht getan zu haben

Zwei Wochen später erreichte der Student sein Ziel, wo er unter falschem Namen in einem Gasthof abstieg und sich unauffällig nach dem Wohnhaus des erst kürzlich von Weimar nach Mannheim gezogenen Schriftstellers und russischen Staatsrats August von Kotzebue erkundigte.

Dieser, weltberühmt, der meistgespielte Dramatiker seiner Zeit - seine Stücke gingen auch in London, Paris und sogar Nordamerika über die Bretter -, hatte am Vormittag des 23. März 1819 keine Zeit, der Besucher wurde auf den Nachmittag vertröstet.

Carl Ludwig Sand, so der Name des Studenten, hatte mehrere Stunden Zeit, sich seinen Plan noch einmal zu überlegen. Er aß zu Mittag und plauderte bedächtig mit anderen Tischgästen. Gegen fünf erschien er wieder bei Kotzebues, wo gerade eine Damengesellschaft begann, und wurde vom Hausherrn im Wohnzimmer empfangen.

Die Bluttat gelang. Sands Dolch traf den Oberkiefer seines Opfers, wo er zunächst stecken blieb, sein Schwert drang zwischen Kotzebues Rippen und zersäbelte eine Arterie. Während der 58 Jahre alte Schriftsteller zusammenbrach, kam sein vierjähriger Sohn ins Zimmer.

Er glaubte zunächst an ein Ritterspiel seines Vaters mit dem Fremden. Dann schrie der Junge, und Sand befiel das Gefühl, dem Kind ein Unrecht getan zu haben. Er versuchte sich mit seinem Schwert zu töten, vergeblich, wenn auch blutig. Der Vierundzwanzigjährige überlebte und wurde in ein Spital verfrachtet, während Kotzebue noch am Tatort verstarb.

Man nennt diesen Mord das erste politische Attentat der deutschen Geschichte. Dass es politisch gemeint war, zeigte ein von Sand mitgebrachtes Manifest, das den Titel "Todesstoß dem August von Kotzebue" trug.

Dieser Text, den Sand nach Luthers Vorbild mit seinem Dolch an eine Kirchentür hatte heften wollen, seine letzten Briefe an die Eltern, Tagebuchaufzeichnungen und Verhörprotokolle der badischen Polizei zeigen das Bild einer radikalen moralischen Selbstermächtigung.

Damals war das neu, bei den Obrigkeiten erregte es Entsetzen, und darum wurden Sands Selbstzeugnisse in Zeitungsberichten und langen Dokumentationen überall verbreitet. Seit dem späten 19. Jahrhundert hat sich die Welt an diese Textsorte gewöhnen müssen: kaum ein Attentat ohne Bekennerschreiben, ohne Manifest.

Sand sah sich als Vollstrecker einer Volksrache, die das Vaterland von einem Verräter und Beschmutzer befreien wollte. Seine Entschlossenheit hatte er in studentischen Zirkeln begründet, die sich "Unbedingte" nannten und die behaupteten, wenn ein Staat nicht strafen könne oder wolle und die "Existenz eines derart ratlosen Zustands anzunehmen sei, dass das Strafrecht des Einzelnen erwache, und diesem dann das Straf-Amt zustehe".

Das ist die auch heute noch vor allem bei Rechten geläufige Gedankenfigur von Ausnahmezustand und Selbsthelfertum. Bei dem protestantischen Theologen Sand verband sie sich mit der lutherischen Konzeption vom Priestertum aller Gläubigen: Jeder ist berufen zur reinigenden Tathandlung, und wenn niemand sonst es macht, dann gilt, was Sand verkündete: "Wer wird mir's glauben, dass den Tod ich leiden will, wenn ich's nicht wirklich zeige." Denn Deutschland könne sein wie Christus, wenn es erst frei, rein und selbstbestimmt sei.

Bei Sands Hinrichtung 1820 flossen viele Tränen

Die Schockwellen dieser Tat, die sich innerhalb weniger Tage über ganz Europa ausbreiteten, waren gewaltig, aber sehr unterschiedlich. In den Kanzleien und bei den oberen Ständen herrschte Entsetzen, das sich sofort mit Kalkülen verband, die Tat politisch zu nutzen.

Die niederen und bürgerlichen Klassen dagegen reagierten oft voller Bewunderung für das Selbstopfer des Täters. Der katholische Publizist Joseph Görres sprach von "Missbilligung der Handlung bei Billigung der Motive".

Wofür stand Kotzebue in den Augen seiner Feinde? Er war ein äußerst erfolgreicher, massenhaft publizierender Autor in allen Genres, vom Drama bis zum politischen Kommentar. Mehr als zweihundert Theaterstücke gibt es von ihm, mehrere Dutzend hat Goethe, der ihn freilich nicht mochte, am Weimarer Hoftheater aufgeführt.

"Der Denker-Club. Auch eine neue deutsche Gesellschaft", 1815-1847

Die Karikatur „Der Denker-Club“ kritisierte die Zensur. An der Wand steht: „Wie lange möchte uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?“

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Darüber hinaus war August von Kotzebue aber auch eine politische Figur, zuletzt als russischer Staatsrat, der die Regierung mit Berichten zur intellektuellen Szene, vor allem den Universitäten in Deutschland versorgte. Denn die deutschen höheren Bildungsanstalten galten als Stätten staatsgefährdender Unruhe, allen voran Jena, wo sich die Burschenschaften vereinigt und 1817 das Wartburgfest organisiert hatten.

Dabei hatte es eine symbolische Bücherverbrennung gegeben, die neben den Büchern jüdischer Autoren auch Schriften staatstragender Autoren wie Kotzebue betraf.

Dieser zog 1818 wieder in seine Geburtsstadt Weimar, wo er früherer Literaturfehden wegen schlecht gelitten war - Goethe ignorierte ihn nach Kräften und sandte der Bücherverbrennung ein paar Spottverse nach -, aber für sein Beobachtungsfeld genau am richtigen Ort saß.

Weimar war nicht nur der berühmte Musenhof, sondern besaß vor allem seit 1816 eine verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit, sehr zum Ärger von Preußen und Österreich. Von hier aus sandte Kotzebue giftige Bulletins vor allem über die Jenaer Professoren und Studenten nach Sankt Petersburg.

Durch die Indiskretion eines Schreibers gelangte eines dieser Geheimdossiers im Frühjahr 1818 an die Jenaer Öffentlichkeit, wo es sofort einen Sturm der Empörung auslöste. Nun begann Sand davon zu fantasieren, "einem solchen Landesverräter das Schwert ins Gekröse zu stoßen".

Der patriotische Hass auf unbefriedigende Zeitumstände richtete sich gegen den reaktionär-kosmopolitischen Literaten Kotzebue: Pressefehden mit tödlichem Ausgang also.

Aber doch mehr. In den politischen Koordinaten der Zeit stand Kotzebue als spätaufklärerischer, der neuen Vaterlandsmode abgeneigter Fürstendiener für das Alte; zudem galten seine Dramen, darunter viele Liebeskomödien, als moralisch anrüchig. Jedenfalls genügten sie nicht den Keuschheitsvorstellungen der vaterländischen männlichen Jugend, deren Ideal das Freischärlertum der antinapoleonischen Kriege war.

Die Burschenschafter träumten von einem geeinten, republikanischen, ethnisch homogenen Vaterland, von der Herrschaft des Volks. Ihre Feinde waren die deutschen Fürsten, die Franzosen und für sehr viele auch die Juden. Demokratie und völkisches Denken gingen bei den Extremisten eine zukunftsträchtige Verbindung ein, so bei jenen "Unbedingten", die nachtschwarze Kleidung trugen, auf der die Waffen wie Sterne glänzen sollten.

Der generalisierte Verdacht befeuerte den Märtyrerkult

Und wie immer in solchen Krisenmomenten: Die Gefahr wurde von der Obrigkeit verallgemeinert, bald galten alle "altdeutsch" gewandeten Studenten als Gefahr. Den generalisierten Verdacht befeuerte der Märtyrerkult, der sogleich um den hübschen Sand aufblühte.

Bei dessen Hinrichtung 1820, ein Jahr nach dem Mord, flossen viele Tränen, meist von weiblichen Zuschauern. Ein halbes Jahr später bereits wurden in Karlsbad, dem sommerlichen Treffpunkt der europäischen Diplomaten, neue Polizeigesetze für den Deutschen Bund und die Unterdrückung der nationalen und freiheitlichen Opposition verabredet.

Deutschland, ein Wintermärchen: 1819 begann eine bleierne Zeit.

Die Werke August von Kotzebues werden derzeit in Einzelausgaben beim Wehrhahn Verlag in Hannover neu herausgebracht.

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