Kosovo:Zeichen der Reife

Kosovo: Albin Kurti als Premierminister im Februar 2020. Nach nur sieben Wochen im Amt wurde er gestürzt. Jetzt hofft er auf Erfolg bei einer Neuwahl.

Albin Kurti als Premierminister im Februar 2020. Nach nur sieben Wochen im Amt wurde er gestürzt. Jetzt hofft er auf Erfolg bei einer Neuwahl.

(Foto: Armend Nimani/AFP)

Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts muss das Parlament aufgelöst und eine Neuwahl angesetzt werden. Doch was wie neuerliches Chaos aussieht, ist auch ein Zeichen für die Funktionsfähigkeit der Institutionen.

Von Tobias Zick, München

Albin Kurti, der im Frühjahr gestürzte Ministerpräsident Kosovos, bereitet sich auf eine Rückkehr ins Amt vor, nachdem das Verfassungsgericht des Landes den Weg für Neuwahlen frei gemacht hat. Kurz vor Weihnachten hatten die Richter die Wahl von Kurtis Nachfolger Avdullah Hoti für ungültig erklärt - der konservative Ökonom war im Juni mit hauchdünner Parlamentsmehrheit zum neuen Premierminister gewählt worden; 61 von 120 Abgeordneten stimmten für ihn. Einer dieser 61 allerdings war bereits im Jahr zuvor wegen Betrugs verurteilt worden - und hätte folglich nicht an der Wahl teilnehmen dürfen. Er hätte nicht einmal einen Parlamentssitz bekleiden dürfen, erklärten die Richter am 21. Dezember - insofern verfüge die gegenwärtige Regierung nicht über die nötige Mehrheit an Wahlstimmen.

Gegen die Rechtmäßigkeit von Hotis Wahl hatten Abgeordnete der Oppositionspartei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) geklagt. Der Politologe Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz, wertete das Urteil als Beleg dafür, dass ein wesentlicher Teil des Staatsaufbaus in Kosovo durch die internationale Gemeinschaft Früchte trage: Das Land verfüge offenkundig über ein "unabhängiges Verfassungsgericht". Eine Errungenschaft, die in der Region alles andere als selbstverständlich ist.

Ein Kapitel der Einmischung durch die USA geht dem Ende zu

Mit der Anordnung von Neuwahlen neigt sich auch ein Kapitel weitreichender Einmischung durch die US-Regierung auf dem Balkan dem Ende zu. Der scheidende Präsident Donald Trump hatte, wohl um im Wahlkampf als erfolgreicher Außenpolitiker punkten zu können, Verhandlungen zwischen Serbien und Kosovo vorangetrieben und dafür einen Sondergesandten ernannt, den früheren Botschafter in Deutschland, Richard Grenell. Der machte im Frühjahr Druck auf den gerade erst gewählten kosovarischen Premier Albin Kurti von der früheren Bürgerbewegung Vetëvendosje: Er müsse die im Streit mit dem Nachbarn 2018 verhängten Strafzölle von 100 Prozent auf serbische Güter vollständig aufheben. Kurti aber wehrte sich gegen Grenells Drängen und bestand darauf, das Tempo der Deeskalation selbst zu bestimmen - auch in Abhängigkeit davon, welche Zugeständnisse Serbien macht.

Als der selbstbewusste junge Premier sich dann auch noch den Plänen von Präsident Hashim Thaçi widersetzte, wegen der Corona-Pandemie den Ausnahmezustand zu verhängen und damit de facto die Regierungsgewalt an sich zu reißen, eskalierte der Streit mit dem konservativen Koalitionspartner LDK (Demokratische Liga Kosovos). Dessen Abgeordnete brachten ein Misstrauensvotum ein. Nach nur sieben Wochen im Amt wurde Kurti gestürzt - begleitet von öffentlichem Frohlocken Grenells, der im Hintergrund massiv auf das Votum gedrängt hatte.

Kurti ließ seither wenig Zweifel erkennen, dass er mit einer baldigen Rückkehr ins Amt rechnete. "Ich habe zwar die Unterstützung der Hälfte der Abgeordneten verloren", sagte er etwa im September im Gespräch mit der SZ, " aber in der Bevölkerung hat sich der Zuspruch für uns verdoppelt." Es sei kein Zufall, dass sich die "Kräfte des alten Regimes" gegen ihn und seine Partei Vetënvendosje verbündet hätten; "sie wissen genau, wie die Ergebnisse im Fall von Neuwahlen ausfallen würden".

Zu dem Zeitpunkt war Kurti unterwegs, um in mehreren Städten Deutschlands und der Schweiz Vertreter der kosovarischen Diaspora zu treffen. Er warb für seine Pläne, nach seiner erhofften Rückkehr ins Amt qualifizierte Fachkräfte, die aus Kosovo ausgewandert waren, für einige Monate zurück ins Land zu holen - damit diese etwa am Aufbau einer soliden zivilen Verwaltung mitwirken würden. "Brain Gain" statt "Brain Drain", Gewinn statt Verlust von Talenten, das ist neben dem Kampf gegen Korruption ein zentrales Wahlversprechen von Kurti.

Tatsächlich fußt Kurtis Wiederwahl-Optimismus auf mehreren für ihn günstigen Voraussetzungen. Umfragen zufolge ist der Zuspruch für seine Partei zuletzt weiter gewachsen; wenn - voraussichtlich Mitte Februar - neu gewählt wird, könnte Vetëvendosje möglicherweise sogar ohne Koalitionspartner eine Mehrheit im Parlament erzielen. Zudem ist das "alte Regime" der UCK-Veteranen im Land inzwischen deutlich geschwächt. Kurtis früherer Hauptrivale, Ex-Präsident Hashim Thaçi, muss sich jetzt vor dem Kosovo-Spezialgericht in Den Haag wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in den 1990er-Jahren verantworten. Thaçi hatte Kurtis Sturz gemeinsam mit dem US-Sondergesandten Grenell vorangetrieben.

Gegenwind aus den USA wie unter Trump ist in absehbarer Zeit nicht mehr zu erwarten: Der designierte Präsident Joe Biden ist ein ausgewiesener Kenner der Region; als Senator setzte er sich in den 1990er-Jahren massiv für internationale Interventionen gegen die serbischen Aggressionen ein. Vor der diesjährigen Präsidentschaftswahl in den USA hat Albin Kurti alle dort Wahlberechtigten mit kosovarischen Wurzeln aufgefordert, für Biden zu stimmen. Ein wiedergewählter Kurti hätte also auf US-Seite einen Wunschpartner - der die Region, anders als dessen Vorgänger Trump, auch nicht mit Plänen für den Tausch von Gebieten zwischen Serbien und Kosovo nach ethnischen Kriterien in zusätzliche Unruhe versetzen dürfte.

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