Süddeutsche Zeitung

Kosovo:Serbiens Präsident Vučić provoziert mit Vorschlag an Nato

Im Norden von Kosovo blockieren serbische Demonstranten Straßen, es kommt zu Schusswechseln mit der Polizei. In Belgrad kündigt der Präsident an, Truppen entsenden zu wollen. Über Machtspiele auf dem Westbalkan.

Von Tobias Zick

Auch an diesem Dienstag waren viele Straßen im Norden von Kosovo noch immer blockiert. Die Proteste der vergangenen Tage setzen sich damit fort. Entzündet haben sie sich diesmal an der Verhaftung eines serbischstämmigen Polizisten in Kosovo, dem vorgeworfen wird, eine "terroristische Attacke" auf die Büros einer lokalen Wahlkommission geplant zu haben. Außerdem werden ihm Angriffe auf die "verfassungsmäßige Ordnung" zur Last gelegt. In den Fall schaltete sich, wie so oft, Serbiens Präsident Aleksandar Vučić persönlich ein: Die Festnahme sei ungerechtfertigt, erklärte er. Der Mann sei verhaftet worden, als er seiner Familie, die im selben Gebäude wohne, in dem die Wahlkommission ihren Sitz hat, nur "Brot bringen" wollte.

Dass von Belgrad aus Emotionen geschürt werden, verfehlte auch diesmal seine Wirkung nicht. Angehörige der serbischen Minderheit in Nordkosovo errichteten am Samstag Barrikaden, es kam zu Schusswechseln mit der Polizei, auf eine Patrouille der EU-Rechtsstaatlichkeitsmission "Eulex" flog eine Blendgranate. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte, die Barrikaden umgehend zu entfernen. Die Botschaften Großbritanniens und der USA in Kosovos Hauptstadt Pristina erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme, die Festnahme des Polizisten biete "weder eine Rechtfertigung für illegale Straßenblockaden noch für Drohungen und Einschüchterungen gegen die kosovarischen Behörden und die lokale Bevölkerung". Doch die Appelle der internationalen Gemeinschaft zur Mäßigung verhallten weitgehend wirkungslos.

Staatspräsidentin Vjosa Osmani gab bekannt, dass aufgrund der zunehmenden ethnischen Spannungen die ursprünglich für 18. und 25. Dezember in Nordkosovo geplanten Kommunalwahlen auf den 23. April des kommenden Jahres verschoben würden. Nötig geworden waren die Wahlen, weil in zahlreichen Gemeinden der Region Bürgermeister und Stadträte ihre Ämter niedergelegt hatten - sie protestierten auf diese Weise gegen eine neue Regelung in Kosovo, wonach Autokennzeichen, die noch vor der Unabhängigkeit des Landes 2008 durch serbische Behörden ausgestellt worden waren, nun durch kosovarische ersetzt werden müssten.

Kurz sah es nach Entspannung aus. Aber nur kurz

Wie alles, was den Status Kosovos als souveräner Staat verkörpert, ist auch die Autokennzeichenregelung aus Sicht der serbischen Regierung eine massive Provokation; so ist auch zu erklären, dass sich Vučić immer wieder persönlich in Angelegenheiten einschaltet, die auf den ersten Blick kaum mehr als schlichte Verwaltungsakte in Kosovo darstellen. Einem regionalen Polizeichef, der sich gegen die neue Kennzeichenregelung verwahrte und dafür von der kosovarischen Regierung entlassen wurde, verlieh Serbiens Präsident in Belgrad eine Medaille.

Auf Vermittlung der internationalen Gemeinschaft erklärte sich Kosovo bereit, die Nummernschildregelung erst später umzusetzen, und Serbien sagte im Gegenzug zu, vorerst keine neuen serbischen Nummernschilder mehr in der Region auszustellen. Doch die kurze Phase der relativen Entspannung ist nun vorbei. Vučić kündigte an, am kommenden Donnerstag bei der Nato formal die Entsendung von 1000 serbischen Soldaten nach Nordkosovo zu beantragen, "um den Frieden zu wahren".

Er beruft sich dabei auf die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom Juni 1999; diese sprach Serbien grundsätzlich das Recht zu, nach Kriegsende eine kleine Zahl Polizisten und Soldaten nach Kosovo zu entsenden, etwa zur Bewachung orthodoxer Kirchen. Viele UN-Mitgliedsstaaten allerdings halten die Resolution seit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos im Jahr 2008 nicht mehr für rechtsgültig.

Außenministerin Baerbock kritisiert Vučićs Vorstoß scharf

Dass es sich bei seiner Ankündigung in erster Linie um eine wohlgesetzte Provokation handelte, machte Vučić schon durch den Zusatz deutlich, er mache sich "natürlich keine Illusionen", und er wisse, dass "sie diese Anfrage ablehnen werden". Kosovos Premier Albin Kurti kommentierte den Vorstoß mit den Worten: "23 Jahre nach Kriegsende droht Serbien erneut mit Krieg und der Rückkehr seiner Streitkräfte, die in Kosovo Völkermord begangen haben."

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bezeichnete Vučićs Vorstoß auf Twitter als "völlig inakzeptabel". Kosovo habe die Spannungen durch das Vertagen der Kommunalwahlen "verringert", Serbien betreibe mit seiner Rhetorik "das Gegenteil". Vučić wies Baerbocks Äußerungen als "heuchlerisch" zurück. Und dem EU-Außenbeauftragten Borrell warf er vor, sich in dem Konflikt auf die Seite der Kosovo-Albaner zu stellen.

Zudem sagte Vučić, Angriffe auf Mitglieder der Missionen Eulex und Kfor dürften "nicht passieren". Er werde sich "absolut" um Deeskalation bemühen. Der Regierung von Kosovo warf er vor, durch die Präsenz von "bis zu den Zähnen bewaffneten" Sicherheitskräften im Norden des Landes "Unruhe und Angst in der serbischen Bevölkerung" zu schüren.

Auch die russische Regierung schaltete sich erneut in den Konflikt auf dem westlichen Balkan ein und stellte erneut klar, auf wessen Seite sie steht. "Wir hoffen, dass diese Spannungen sich so schnell wie möglich legen", sagte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow, "und dass die Rechte der Serben geschützt werden, das ist die Hauptsache."

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