Westbalkan:Eine Hürde weniger

Westbalkan: Im Dezember schloss Kosovo die Grenze zu Serbien, das Verhältnis der Nachbarn ist von Misstrauen geprägt.

Im Dezember schloss Kosovo die Grenze zu Serbien, das Verhältnis der Nachbarn ist von Misstrauen geprägt.

(Foto: Visar Kryeziu/AP)

Bürgerinnen und Bürger Kosovos dürfen von 2024 an ohne Visum in die EU reisen. Serbiens Regierung zeigt sich erwartungsgemäß erbost über den Beschluss des Europaparlaments.

Von Tobias Zick

Bürgerinnen und Bürger Kosovos brauchen von Beginn des kommenden Jahres an kein Visum mehr, wenn sie für bis zu 90 Tage in Länder der Europäischen Union reisen. Das hat das Europaparlament am Dienstag beschlossen, und damit ist Kosovo das letzte Land der Region, das in den Genuss derartiger Reisebestimmungen kommt - obwohl es bereits seit 2018 die dafür gestellten Bedingungen erfüllt. Mehrere EU-Länder, darunter Frankreich und die Niederlande, hatten den Prozess blockiert.

Die Regierung in Pristina begrüßte den Beschluss des Europaparlaments nun als weiteren Beleg dafür, dass man "nennenswerte Fortschritte in relevanten Bereichen" gemacht habe, etwa bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung. Der zuständige Berichterstatter des Parlaments, Thijs Reuten, bezeichnete die Entscheidung als "Meilenstein" auf dem Weg des Landes in Richtung EU. Es sei ein "lang erwarteter und wohlverdienter Moment für die Bürger Kosovos".

Serbiens Außenminister beklagt "kollektiven Gedächtnisverlust"

Serbiens Außenminister Ivica Dačić dagegen wetterte am Mittwoch, er habe das Gefühl, man erlebe derzeit so etwas wie "kollektiven Gedächtnisverlust". Er bezog sich damit auf das "Brüsseler Abkommen", das die Regierungen von Serbien und Kosovo unter Vermittlung der EU vor exakt zehn Jahren unterzeichneten: eine in 15 Paragrafen unterteilte Absichtserklärung zur "Normalisierung" ihrer Beziehungen. Unter anderem heißt es darin, dass beide Seiten einander in ihren jeweiligen Bestrebungen, früher oder später der Europäischen Union beitreten zu können, nicht behindern würden.

Ein besonders gewichtiger Punkt, dem immerhin sechs der 15 Paragrafen gewidmet sind, ist die Situation der serbischen Minderheit im Norden des überwiegend von Albanern bewohnten Kosovo: Deren Angehörige sollen sich, so das Papier vom 19. April 2013, in die Strukturen des Landes einfügen, das sich 2008 von Serbien abgespalten hat. Die serbischen Gemeinden im Norden Kosovos sollen im Gegenzug eine gewisse Autonomie erhalten und sich zu einem Gemeindeverband zusammenschließen können.

Serbiens Außenminister Dačić, der vor zehn Jahren im Amt des Premierministers das Brüsseler Abkommen unterzeichnete, bezeichnete die Befreiung von der Visumspflicht nun als unverdiente "Belohnung": Schließlich habe Kosovo bis heute seine Verpflichtungen nicht erfüllt, nämlich das Ermöglichen eines serbischen Gemeindeverbandes im Norden des Landes.

Allzu viele greifbare Fortschritte hat es in den vergangenen zehn Jahren seit Unterzeichnung des Abkommens auch sonst nicht gegeben. Von Normalität kann in den Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo kaum die Rede sein, von einem Beitritt zur Europäischen Union sind beide noch weit entfernt. Die Rhetorik auf beiden Seiten ist weiterhin mindestens von Misstrauen geprägt. Die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani sagte am Dienstag, Serbien stelle weiterhin "eine direkte Bedrohung für die Sicherheit der Region" dar. Das Land agiere als "Satellit Russlands auf dem westlichen Balkan".

Kosovo soll zwar nicht völkerrechtlich, aber faktisch anerkannt werden

Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hatten die Europäer zuletzt ihre lange Zeit brachliegenden Bemühungen um eine Annäherung zwischen Serbien und Kosovo wieder verstärkt. Auf Initiative Deutschlands und Frankreichs hatten beide Seiten Ende Februar in Brüssel mündlich einem Dokument zugestimmt, das unter anderem darauf abzielt, dass Serbien das Nachbarland zwar nicht völkerrechtlich, aber faktisch anerkennt. Auch die Gründung des serbischen Gemeindeverbands ist in dem Papier festgeschrieben.

Unterschrieben haben beide Seiten das Dokument jedoch nicht; vor allem Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hatte sich dagegen gesträubt. Am Mittwoch sagte er, Belgrad werde alle seine Verpflichtungen aus dem Brüsseler Abkommen erfüllen, sobald Pristina den serbischen Gemeindeverband ermögliche. Zugleich bekräftigte er aber, man werde sich einer Mitgliedschaft Kosovos in internationalen Organisationen wie etwa den Vereinten Nationen weiter entgegenstellen.

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