Westbalkan:Brücken, über die man gehen muss

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Annalena Baerbock am Freitag auf der Ibar-Brücke in Mitrovica im Kosovo - mit den jeweiligen Bürgermeistern aus dem Nord- und dem Süddteil der ethnisch geteilten Stadt. (Foto: Thomas Imo/Imago/photothek)

Außenministerin Baerbock besucht Kosovo und Serbien. Sie stellt eine Annäherung an die EU in Aussicht, auch um Russlands Einfluss zu begrenzen. Doch ohne Aussöhnung und ein Bekenntnis zu europäischen Werten wird es nicht gehen.

Von Paul-Anton Krüger, Pristina/Belgrad

Der Fluss Ibar teilt Mitrovica in zwei Hälften, nicht nur geografisch. Im Nordteil der Stadt in Kosovo leben fast ausschließlich serbischsprachige Einwohner, im Süden Kosovo-Albaner. Die mit EU-Geld sanierte Ibar-Brücke, auf der sich Annalena Baerbock an diesem Freitag mit den Bürgermeistern der beiden administrativ getrennten Gemeinden trifft, ist zugleich Verbindung wie Symbol der fortwährenden Teilung. Hier hat es nach Ende des Krieges im Jahr 1999 wiederholt gewalttätige Zusammenstöße gegeben. In den vergangenen Jahren war es ruhig. Doch am einen Ufer hängen rote Flaggen mit dem schwarzen Doppeladler Albaniens in den Straßen, auf der anderen die Trikolore Serbiens. Die Zufahrt im Norden ist mit rot-weißen Betonklötzen blockiert; hier können nur Fußgänger passieren.

Die Bundesregierung will Kosovo und die anderen Staaten des westlichen Balkan schnell näher an die Europäische Union heranführen. Doch hier auf dieser Brücke zeigt sich für die deutsche Außenministerin exemplarisch, wie schwierig das werde dürfte. Ein gemeinsames Jugendfestival auf der Brücke schlägt sie vor im Gespräch mit zwei jungen Frauen aus den beiden Stadtteilen, die sich für Aussöhnung einsetzen, eine aus dem Norden, die andere aus dem Süden. Sie schauen sich kurz an, dann Baerbock und sagen: "Vielleicht sollten wir mit kleinen Schritten anfangen." Schon das Treffen der beiden Bürgermeister ist keine Selbstverständlichkeit. Vielleicht könnten sie ja gemeinsam erklären, dass es in Ordnung ist für Jugendliche aus den beiden Stadtteilen, gemeinsam abzuhängen.

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Baerbock hatte am Abend zuvor bei ihren Gesprächen mit Premier Albin Kurti in Pristina betont, dass die neue Bundesregierung dem Westbalkan strategische Bedeutung beimisst, mehr noch, seit Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine angegriffen hat. Der Kreml verweigert Kosovo beharrlich die Anerkennung, hat Einfluss in Serbien. Und, so die Befürchtung, auch die Möglichkeit, die bestehenden Spannungen zwischen den Ethnien zu schüren.

Kosovo spricht von "hybrider Kriegsführung"

Kurti spricht von "hybrider Kriegsführung" Russlands auf dem Balkan, von einem Geheimdienst-Stützpunkt im serbischen Niš. Putin, den er als "Kriegsherrn" bezeichnet, habe Kosovo früher "nicht mal einmal im Monat erwähnt, jetzt erwähnt er uns einmal in der Woche". Die Nervosität ist groß, deutlich spürbar, überall auf dem Balkan. Unterstützung der EU "war nie dringender als jetzt", betont Kurti. "Die EU ist unser Ziel, Europa ist unser Kontinent". Der Nato fühlt sich sein Land ebenso verbunden.

Baerbock betont die praktische bilaterale Zusammenarbeit, die Wirtschaftsbeziehungen, die sie weiter stärken will, Deutschland ist ohnehin der wichtigste Handelspartner. Ein Beispiel ist der Selac-Windpark, eine Kooperation kosovarischer und deutscher Unternehmen sowie israelischer Investoren. Im Schneegestöber bei minus zehn Grad eröffnet Baerbock zusammen mit Kurti das Projekt mit 27 Turbinen, das künftig zehn Prozent des Stroms für Kosovo liefern wird. Einen schnellen Beitritt zur EU aber kann auch Baerbock nicht versprechen, der falle nicht vom Himmel.

Wenn es kalt ist, braucht man Energie: Baerbock bei der Einweihung eines Windparks in Mitrovica. (Foto: Thomas Imo/Imago/photothek)

Sie bescheinigt Kurti zwar Reformen und Erfolge bei der Bekämpfung der Korruption und Stärkung des Rechtsstaats, verweist aber zugleich auf die Kriterien, die es zu erfüllen gilt - für Kosovo und die anderen Balkan-Staaten, aber auch für die Ukraine und andere neue Bewerber. Kleine Schritte aber gibt es zu verkünden, immerhin. Baerbock nennt die Führerschein-Anerkennung, "auch wenn man das belächeln mag". Und stellt ein visafreies Reisen in die EU in Aussicht, was eine weit größere Erleichterung wäre; allein in Deutschland leben 500 000 Kosovaren. "Kosovo hat geliefert, jetzt muss die Europäische Union ebenso liefern", sagt Baerbock. Frankreich hat das bisher blockiert, doch könnte sich das nach der Präsidentenwahl dort ändern, so die Hoffnung.

Das größere Problem auf dem Weg in die EU aber bleiben die mangelnden Fortschritte im Normalisierungsdialog zwischen Kosovo und Serbien. "Bohrende Fragen, die es in jeder Familie gibt", spricht Baerbock an, und dass nichts vergessen oder beiseite gewischt werden solle. "Aber es sind auch Pragmatismus und Mut gefragt für Entscheidungen, um der jungen Generation eine Chance zu geben", sagt sie. Und betont, dass der EU-Sonderbeauftragte Miroslav Lajčák volle Unterstützung genießt. "Es gibt Schritte, die wir ihnen auch als Freunde nicht abnehmen können", sagt sie.

Diese Botschaft bringt sie auch in Belgrad an, wo Präsident Aleksandar Vučić sie am Freitagnachmittag empfängt. Es brauche "sichtbare Fortschritte" beim Dialog und bei der Normalisierungen der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo. Deutschland wolle dazu beitragen, dass die Regierungen der beiden Länder nach den Präsidenten- und Parlamentswahlen in Serbien am 3. April "überfällige Schritte" tun in Richtung auf ein umfassendes, verbindliches Abkommen zu erreichen. Auch fordert sie von Serbien, sich den sezessionistischen Bestrebungen des bosnischen Serbenführers Milorad Dodik entgegenzustellen.

In Belgrad geißelt Baerbock Putins Angriffskrieg

Vor allem aber macht Baerbock klar, dass die EU eine Wertegemeinschaft sei, und nur Mitglied werden kann, wer diese Werte auch teile und die gemeinsame Außenpolitik mittrage. Angesichts des Angriffskriegs des russischen Präsidenten Putin gegen die Ukraine seien jetzt "klare Worte und Taten gefragt", sagt sie. Serbien hat zwar die Resolution in der UN-Generalversammlung mitgetragen, die den Angriff verurteilt - sich anders als Kosovo sich aber nicht den EU-Sanktionen angeschlossen. Vučić hat in der Vergangenheit eine gutes Verhältnis zu Putin gepflegt, der vielen in Serbien als der bessere Verbündete gilt als die Europäische Union - die allerdings wirtschaftlich mit Abstand der wichtigste Partner ist.

Wer aber die europäischen Werte teile, "kann jetzt nicht an der Seitenlinie stehen", ruft Baerbock im Präsidentenpalast: "Während wir gemeinsam den Weg des Aufbaus gewählt haben, hat Präsident Putin eine beispiellose Kampagne der Zerstörung vom Zaun gebrochen." Fast fünf Minuten steht sie im roten Hosenanzug am Plexiglaspult und geißelt die Angriffe: "In unserer Nachbarschaft werden Wohnhäuser, Geburtsklinken, Schulen bombardiert." Es ist eine Botschaft, die nicht nur an Vučić gerichtet ist, sondern auch an die serbische Bevölkerung. Vor allem die Boulevardmedien in Belgrad, von denen viele Vučić ergeben sind und auch von ihm abhängig, verbreiten ungefiltert die Kriegspropaganda des Kreml.

Vučić stellt klar, dass Serbien den Krieg ablehne und die territoriale Integrität der Ukraine unterstütze. Er habe seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar keine Kontakte mehr zur Putin gehabt. Es gehe hier allein um die Einhaltung des Völkerrechts. Serbien habe nichts getan, was die Ukraine verletzen könne und verhalte sich verantwortungsbewusst. "Was haben wir mit dem Konflikt zu tun?", fragt er. "Was hat Serbien falsch gemacht?" Seine Haltung zu Sanktionen gegen Russland habe er Baerbock dargelegt. Aus dem Gespräch wollte die Außenministerin nicht berichten. Sie dürfte allerdings noch deutlicher geworden sein.

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