Kosovo: Premier Thaci unter Verdacht:Dunkle Vergangenheit der "Schlange"

Drogenhandel, Organhandel und Mord: Ein Europarats-Bericht erhebt ungeheuerliche Vorwürfe gegen Kosovos Premier Thaci. Auch die USA und die EU dürften sich nicht über das Papier freuen.

Kathrin Haimerl

Der Tatort war auf dem neuesten Stand der Technik und hatte die perfekte Lage: Die Klinik im ländlichen Gebiet im Norden Albaniens befand sich in der Nähe des Flughafens. An diesem geheimen Ort soll sich Ungeheuerliches zugetragen haben: Nach dem Ende des Kosovokrieges 1999 soll hier die Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) Gefangene erschossen haben, um ihnen ihre Nieren zu entnehmen und diese dann auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.

Hashim Thaci

Siegerpose nach dem Wahlerfolg: Erst am Sonntag ist Kosovos Premier Hashim Thaci wiedergewählt worden. Nun erhebt ein Bericht des Europarats schwere Vorwürfe gegen den ehemaligen UÇK-Kommandanten.

(Foto: AP)

Das jedenfalls schreibt der Schweizer Ermittler Dick Marty in einem Bericht, der die Erkenntnisse aus einer zwei Jahre dauernden Untersuchung zusammenfasst. Doch der Bericht birgt noch weit mehr politischen Sprengstoff, denn der Boss einer mafiaähnlichen Bande innerhalb der UÇK soll Hashim Thaci sein. Und der ist Ministerpräsident des Kosovo.

Die Vorwürfe gegen den Mann, der als UÇK-Kommandant auf den Namen "die Schlange" hörte, wiegen schwer: Drogenhandel, Organhandel und Mord. Marty, früher Staatsanwalt in der Schweiz, führt zum Beleg seiner Anschuldigungen mehrere Zeugen an: Systematisch seien die Gefangenen selektiert worden - nach Gesundheit, Alter, Geschlecht. Eigneten sie sich zur Organentnahme, wurden sie per Kopfschuss getötet. Die Nieren soll die paramilitärische Organisation auf dem Schwarzmarkt an Privatkliniken im Ausland verkauft haben.

Besonders perfide seien die Kidnapper bei einer kleinen Gruppe von Gefangenen vorgegangen: Diese hätten regelmäßig gutes Essen bekommen, seien von den sonst so aggressiv auftretenden Kämpfern zurückhaltend behandelt worden, hätten regelmäßig schlafen dürfen. Die Gruppe hatte sich hier offenbar lebende Organspender herangezüchtet: Wenn die Zeit reif war, wurden sie getötet.

Darüber hinaus hätten Ermittlungen der EU-Rechtsstaatskommission Eulex im Kosovo zur Festnahme von mehrerer Personen in der Medicus-Klinik in Pristina geführt, darunter Ärzte und ein Beamter des Gesundheitsministeriums. Ihnen werden Organhandel und illegale medizinische Tätigkeiten vorgeworfen. Marty zufolge zeige dies, dass die kriminellen Netzwerke bis heute exisitierten. Auf Anfragen von sueddeutsche.de war Eulex im Kosovo zu keiner Stellungnahme bereit. Man sei noch bei der Auswertung des Berichts, hieß es.

Geteilte Reaktionen in der Bevölkerung

Die Eulex-Mission hatte Ende 2008 im Kosovo den Bereich der Verbrechungsbekämpfung von den Vereinten Nationen übernommen. Aufgrund von unvollständigen Berichten und verlorengegangenen Dokumenten gestalte sich die Aufklärung als schwierig: "Die Beweise stapeln sich dort nicht gerade", sagt eine Sprecherin des EU-Sonderbeauftragten für den Kosovo.

Die Veröffentlichung des Berichts kommt zu einem pikanten Zeitpunkt: Erst am Sonntag ist Hashim Thaci bei den Parlamentswahlen im Kosovo im Amt bestätigt worden. Seine Demokratische Partei (PDK) ging mit 33,5 Prozent der Stimmen als Siegerin aus der Wahl hervor. EU-Parlamentarier, internationale Beobachter und auch der US-Botschafter im Kosovo hatten Unregelmäßigkeiten bemängelt.

Ob der Bericht den Premier nun zusätzlich unter Druck setzen oder sogar zum Rücktritt zwingen wird, ist schwer absehbar. Bei der Bevölkerung sei die Veröffentlichung auf geteilte Reaktionen gestoßen, hieß es aus dem Büro des EU-Sonderbeautragten für den Kosovo: "Viele Menschen glauben, es handelt sich um eine politische Kampagne." Thaci selbst hatte den Bericht als haltlos und verleumderisch zurückgewiesen und mit juristischen Schritten gedroht.

Der aktuelle Bericht des Europarats enthält zudem nicht nur massive Vorwürfe gegen den heutigen Regierungschef - Marty prangert auch die Internationale Gemeinschaft für ihr Verhalten im Kosovo an. Den USA, anderen westlichen Staaten, bis hin zu den Justizbehörden, die unter anderem von EU-Organisationen wie Eulex unterstützt werden, seien die Erkenntnisse zu den Verbrechen vorgelegt worden. Allerdings habe man keine Konsequenzen daraus gezogen. Vielmehr habe sich Thaci die politische und diplomatische Unterstützung der USA und anderer westlicher Staaten gesichert. Dies habe bei ihm zu dem Eindruck geführt, er sei "unberührbar".

An diesem Donnerstag wird sich der Rechtsausschuss des Europarats mit dem Marty-Papier beschäftigen.

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