Süddeutsche Zeitung

Kosovo-Krieg: Zehn Jahre danach:Bis das Leid unerträglich ist

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Der Krieg der Nato gegen Jugoslawien war ein Konflikt, der die Weltgemeinschaft bis heute immer wieder plagt. Das Völkerrecht hat seit zehn Jahren keine Antwort geliefert.

Stefan Kornelius

Der Krieg der Nato gegen Serbien war der Prototyp eines Konflikts, der die Weltgemeinschaft bis heute immer wieder plagt - und noch lange plagen wird. Auf der kleinen Bühne Kosovo kamen vor zehn Jahren all jene Schurken, Gutmenschen, religiöse Fanatiker, Legalisten und Militärstrategen zusammen, die auch heute - wenn auch in anderer Besetzung - Glück und Leid auf der Welt bestimmen. Somit war der Kosovo-Krieg der erste Konflikt einer neuen Zeit.

Die seitdem verstrichene Dekade hat allerdings nicht ausreichend zu intellektueller und juristischer Trennschärfe zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht, beigetragen. Auch heute noch stellt sich in vielen Konflikten die Frage, wann die Staatenwelt oder ein Teil davon in die Belange eines anderen Staates eingreifen darf. Dieser Krieg vor zehn Jahren beendete nämlich nicht nur Denkmuster des Kalten Krieges, sondern - historisch von erheblich größerer Wucht - die westfälische Friedensordnung.

Am Ende des Dreißigjährigen Krieges stand 1648 der Westfälische Friede und die Erkenntnis, dass die internen Belange eines Staates intern zu bleiben haben. Die in Münster verabredete neue Ordnung erklärte die Staaten zu Kriegsherren und begründete den Souverän, eine Idee vom Nationalstaat, die völkerrechtlich für gut drei Jahrhunderte Bestand haben sollte - weitgehend eben bis zum Kosovo-Krieg 1999.

Dieser Krieg trug all jene Zutaten in sich, die in den vergangenen Jahren alle gewalttätigen Konflikte so schwer lösbar machten. Milizen und Banden fochten einen ferngesteuerten Kampf, die Zivilbevölkerung wurde terrorisiert, religiöser Fanatismus und ethnischer Stolz fachten die Flammen an, und die Völkergemeinschaft war sich uneins, ob und auf welcher rechtlichen Basis sie in die Auseinandersetzung eingreifen durfte.

Der gemeinhin als "Westen" apostrophierte Klub demokratischer und freiheitlich verfasster Staaten legte im Kosovo erstmals einen Wertemaßstab zugrunde, der eine Intervention rechtfertigte. Angesichts von Vertreibung, Terror und Mord wurde eine "Pflicht zur Intervention" festgestellt, ein moralischer Zwang - nie stärker artikuliert als in dem Diktum der damals rot-grünen Bundesregierung, wonach es ein "zweites Auschwitz" zu verhindern gelte.

Werte, Moral, die Teilung in Gut und Böse - plötzlich begab sich die internationale Politik auf die schiefe Ebene. Wer sollte anklagen, wer sollte richten? Wo genau ist kodifiziert, wann die Unterdrückung einer Minderheit im Inneren eines Staates in Völkermord umschlägt, in ethnische Säuberung?

Warum im Kosovo einmarschieren, aber nicht im Sudan? Darf die Landnahme israelischer Siedler im Westjordanland mit der russischen Landnahme in Südossetien verglichen werden? Überhaupt: der Vergleich. Wenn man das Recht auf Selbstbestimmung der Kosovo-Albaner akzeptiert, muss man dann nicht auch das Selbstbestimmungsrecht der Tibeter und der Tschetschenen respektieren?

Das Völkerrecht hat seit zehn Jahren keine Antwort geliefert. Die Vereinten Nationen haben die "Pflicht zum Schutz" entdeckt - ein Knüppelchen gegen all jene Regierungen, die in ihrer Arbeit versagen und gegen elementare Grundsätze der Moral verstoßen. Die USA haben danach das Recht auf Intervention missbraucht, im Irak einen Kriegsgrund erfunden und sich selbst mit missionarischen Demokratisierungs-Ideen diskreditiert.

Der moralische Überschwang ist heute verpufft. Geblieben ist die Erkenntnis, dass gegen das Unrecht auf der Welt nicht immer ein völkerrechtliches Kraut gewachsen ist, und dass die UN in der Regel zu schwach sind, die Legitimation für eine Intervention zu liefern. Am Ende bleiben in einer Demokratie der Zwang zur Rechtfertigung vor den eigenen Wählern, Realismus und ehrliche Empörung, wenn das Unrecht unerträglich wird.

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Quelle:
SZ vom 24.03.2009/akh
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