Kosovo erklärt Unabhängigkeit:Freibier, Fahnen und Furcht

Europa erlebt die Geburt einer neuen Nation. Überschwänglich feiern die Albaner die Unabhängigkeit des Kosovo. Doch in den serbischen Enklaven herrscht Angst.

Enver Robelli, Pristina

Die Unabhängigkeit muss süß sein, davon ist Ramadan Uka überzeugt. Der Kosovo-Albaner trägt einen neuen Anzug, schwingt in der Hand seine Lesebrille und sagt: "Das ist der größte Tag in unserer Geschichte." Uka ist Konditor und an diesem Sonntag ein gefragter Mann in Pristina.

Reporter aus aller Welt bedrängen ihn, und sie alle haben nur eine Frage: Wie sieht sie denn aus, die Riesentorte der Unabhängigkeit? Uka aber gerät erstmal ins Schwärmen: "Ich will meinem Volk die Unabhängigkeit versüßen. Auf diesen Tag haben wir seit Jahrhunderten gewartet. Für das Ziel haben sich ganze Generationen geopfert." 11.800 Eier, sagt er, wurden für das Gebäck benötigt, und seine weiteren Angaben sind nicht weniger beeindruckend: 1,5 Tonnen wiegt die Torte, sie ist 25 Quadratmeter groß, und sie soll für mehrere Tausend Teilnehmer der Unabhängigkeitsfeier im Zentrum von Pristina reichen.

Vorausgesetzt, keiner bekommt mehr als 50 Gramm Esterházy-Torte, Haselnusstorte oder Cremetorte. Schon drängeln sich weitere TV-Teams um ihn herum, und der Konditor muss die Geschichte nochmal neu erzählen.

Ganz Pristina ist an diesem Sonntag auf den Straßen, schon Stunden vor der Unabhängigkeitserklärung feiern die Menschen. Nach knapp einem Jahrhundert unter serbischer Kontrolle, sagt Regierungschef Hashim Thaci, werde nun endlich der "Wille des Volkes" vollzogen. Auch Präsident Fatmir Sejdiu wiederholt fast die gleichen Sätze, als er bei klirrender Kälte das Grab von Ibrahim Rugova besucht.

Der vor zwei Jahren verstorbene Präsident des Kosovo gilt als Ikone des gewaltlosen Widerstandes gegen die serbische Unterdrückungspolitik in den neunziger Jahren. Sein Traum von einem unabhängigen Kosovo geht dann am Nachmittag in Erfüllung.

Vor dem Parlament liest Thaci die Unabhängigkeitserklärung mit bebender Stimme vor. Darin heißt es, dass der Kosovo zu einem von Serbien unabhängigen Staat werde, der dem Frieden und der Stabilität verpflichtet sei. Der neue Staat werde eine "demokratische, säkulare und multi-ethnische Gesellschaft".

Freibier, Fahnen und Furcht

Doch die Antwort aus Belgrad lässt nicht lange auf sich warten. Nur Minuten nach der Unabhängigkeiterklärung verkündete Serbiens Präsident Boris Tadic, sein Land werde niemals einen unabhängigen Kosovo anerkennen. Zwar ist das Land nun auf dem Papier souverän, aber die EU wird in entscheidenden Fragen das Sagen haben.

Vom Krieg geprägt

Wie angespannt die Stimmung gegen die Serben ist, konnte man schon am Morgen aus der Presse erfahren. Eine Zeitung hatte die Bilder des serbischen Staatsmanns Nikola Pasic (1845-1926), des jugoslawischen Führers Josip Broz Tito (1892-1980) und von Slobodan Milosevic (1941-2006) auf die Titelseiten gesetzt. Darunter steht die Schlagzeile: "Fuck you."

Dass auch Tito verunglimpft wird, finden zumindest einige Ältere nicht in Ordnung. Schließlich gewährte der einstige jugoslawische Staatschef den Albanern eine weitgehende Autonomie, ermöglichte ihnen die Hochschulbildung und unterstützte die wirtschaftliche Entwicklung der Provinz. Aber die Meinungsführerschaft hat längst eine jüngere Generation übernommen, Menschen wie Hashim Thaci, die von der Repression und vom Krieg geprägt sind.

Trotz der historischen Zäsur mahnt Thaci seine Landsleute zur Geduld. "Mir ist klar, dass die Menschen Wunder erwarten, doch die wird es nicht geben", sagt der ehemalige Chef der Rebellenarmee UCK, er verspricht auch den Serben in den Enklaven Schutz, aber kaum ein Albaner hört auf solche Botschaften, sie zelebrieren wie im Rausch den angeblich größten Triumph ihrer Geschichte. Tausende schwenken Fahnen, waghalsige Autofahrer drehen ihre Runden. Eine Brauerei schenkt Freibier aus, andere Lebensmittelbetriebe bieten einheimische Produkte gratis an.

Es sind vor allem die Fahnenhändler, die am Sonntag in den Straßen von Pristina das Geschäft ihres Lebens machen. Aber nicht das Banner des neuen Staates wird verkauft, sondern die Flagge Albaniens, roter Hintergrund, doppelköpfiger schwarzer Adler. Die ist für zehn Euro zu haben, nicht ganz günstig in einem Land, in dem die Arbeitslosigkeit etwa 50 Prozent beträgt und der Durchschnittslohn nicht mehr als 250 Euro.

Und weil die Kosovo-Albaner ihre Freiheit der westlichen Welt verdanken, die im Frühjahr 1999 gegen die Sicherheitskräfte des serbischen Gewaltherrschers Milosevic militärisch in dem Konflikt eingriff, besorgen sich die Leute auch mehrere kleine Fahnen der Nato-Staaten. "Besonders gefragt sind die Symbole Großbritanniens, Deutschlands und Frankreichs", sagt ein Händler.

Die kosten 1,50 Euro pro Stück, nur für das US-Sternenbanner muss das Doppelte bezahlt werden. Aber das ist nicht überraschend, schließlich haben die USA den größten Beitrag für die Befreiung des Kosovo geleistet. Deshalb steht auf dem Dach eines Hotels eine Kopie der Freiheitsstatue, und es gibt ein Bill-Clinton-Boulevard, in anderen Städten der einstigen serbischen Provinz ziert der Name Madeleine Albrights die Hauptstraße.

Freibier, Fahnen und Furcht

Eine überparteiliche Kommission hat die Fahne des neuen Staates ausgewählt. Das Tuch ist ohne Adler, das war eine Vorgabe des UN-Vermittlers Martti Ahtisaari. Der Finne hat in seinem Vorschlag für eine "überwachte Unabhängigkeit" festgehalten, dass die Staatssymbole den "multi-ethnischen Charakter" des Kosovo widerspiegeln müssten. Das heißt: kein doppelköpfiger schwarzer Adler der Albaner, kein doppelköpfiger weißer Adler der Serben und auch keine Nationalfarben der Nachbarstaaten.

Über 1500 Vorschläge wurden eingereicht, ausgewählt wurde eine Fahne mit blauem Hintergrund, die Farbe soll den Traum der Menschen symbolisieren, die eines Tages Teil der EU sein wollen. In der Mitte prangt die Landkarte des Gebiets, die von sechs Sternen geschmückt wird. Sie stehen für jede Ethnie des Kosovo, für die albanische Mehrheit, für die Serben, Roma, Bosnier, Türken und für die restlichen Minderheiten.

Doch von Minderheiten ist kaum irgendwo die Rede. Pristina ist am Sonntag eine Art Zentrum des albanischen Nationalismus. Tausende sind aus den albanisch besiedelten Gebieten in Mazedonien in die Hauptstadt des Kosovo gereist, aber auch aus Albanien, aus Montenegro und aus der Diaspora in Westeuropa. Die Szenerie erinnert zwar eher an feiernde Fußballfans, aber sie macht den verbliebenen Serben Angst. "Wir können die Weltpolitik leider nicht beeinflussen", sagt Boban Vignjevic, ein Vertreter der Serben in der Kleinstadt Lipjan. In dieser Gemeinde leben nur noch etwa 9000 Serben, die meisten sind seit dem Ende des Krieges im Sommer 1999 nach Serbien geflüchtet. Sie kommen nur dann zurück, wenn sie ihre Häuser und Felder an Albaner verkaufen.

Die zurückgebliebenen Serben hängen am Tropf der Regierung in Belgrad, sie zahlt Lehrer, Ärzte und Beamte. Wer mit den albanisch dominierten Behörden zusammenarbeite, werde schnell als Verräter abgestempelt, sagt Vignjevic. Seine Heimat möchte er aber trotzdem nicht verlassen. "Ich habe in Belgrad nichts verloren", sagt er. Seine Söhne gehen dort längst zur Schule.

Die Armut, mangelnde Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt und die Angst vor einer ungewissen Zukunft zwingen viele Serben zur Flucht. Dennoch hofft der Familienvater, dass seine Kinder eines Tages nach Lipjan zurückkehren. Um den Anspruch auf den Kosovo zu markieren, sind am Sonntag auch mehrere serbische Politiker in die serbischen Enklaven gereist. Das dürfte nicht der letzte Versuch sein, das verlorene Amselfeld, die viel besungene Geburtsstätte der serbischen Nation, zurückzuholen.

(SZ vom 18.2.2008/lala)

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