Kosovo:Das Doppelspiel der "Schlange"

Kosovo: Hashim Thaçi war schon alles Mögliche: Rebellenführer, Außenminister, Präsident. Der Westen hofierte ihn lange, nun wird er bezichtigt, für etwa hundert Morde verantwortlich zu sein.

Hashim Thaçi war schon alles Mögliche: Rebellenführer, Außenminister, Präsident. Der Westen hofierte ihn lange, nun wird er bezichtigt, für etwa hundert Morde verantwortlich zu sein.

(Foto: Visar Kryeziu/AP)

Hashim Thaçi tritt als Präsident Kosovos zurück. Ein Sondertribunal bestätigt eine Anklage gegen ihn wegen Kriegsverbrechen.

Von Enver Robelli, Zürich

Er hat seit 20 Jahren die politische Landschaft Kosovos dominiert, er war Premier, Außenminister und zuletzt Staatspräsident. Ende der 90er-Jahre wurde Hashim Thaçi politischer Führer der kosovarischen Befreiungsarmee (UCK) und Verhandlungspartner des Westens bei der Suche nach einer Lösung des blutigen Konflikts mit Serbien. 2008 rief er im kosovarischen Parlament die Unabhängigkeit Kosovos von Serbien aus - einer der vielen Höhepunkte seiner schillernden Karriere als Guerillakämpfer und Politiker. 2010 nannte ihn der damalige US-Vizepräsident Joe Biden bei einem Empfang im Weißen Haus den "George Washington Kosovos".

Nun wird Hashim Thaçi, der im Krieg unter dem Decknamen "die Schlange" operierte, von seiner Vergangenheit eingeholt: Ein Kosovo-Sondertribunal mit Sitz in Den Haag hat die Anklage gegen ihn wegen Kriegsverbrechen bestätigt. Angekündigt wurde sie schon Ende Juni. Damals hatte Thaçi versprochen, er werde sein Amt abgeben, falls der zuständige Richter die Anklageschrift annimmt. Am Donnerstag trat der 52-Jährige nun als Staatschef zurück, am Nachmittag sollte er mit einer Sondermaschine von Pristina nach Den Haag gebracht werden.

Thaçi wird bezichtigt, für etwa hundert Morde verantwortlich zu sein. Die vollständige Anklage soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Neben Thaçi sind auch mehrere ehemalige UCK-Führer angeklagt, die sich bereits im Gefängnis des Sondertribunals in Den Haag befinden. Während des Krieges gegen das serbische Terrorregime sollen die Rebellen auch Angehörige von Minderheiten - vor allem Serben und Roma - misshandelt oder umgebracht haben. Diese Kampagne habe Thaçi mit seinen Vertrauten auch nach dem Krieg fortgesetzt, heißt es in einem Bericht des Europarates, der vom Schweizer Politiker Dick Marty vor zehn Jahren verfasst wurde. Thaçi hatte damals die Vorwürfe zurückgewiesen und Marty mit Joseph Goebbels verglichen.

Unter dem Druck der USA und der EU gründete das Parlament in Pristina 2015 ein Sondertribunal, um den Vorwürfen nachzugehen. Das Gericht untersteht zwar dem kosovarischen Justizsystem, aber die Richter und Ankläger stammen aus den USA und Europa. Ihre einheimischen Kollegen zögern aus Sicherheitsgründen, gegen die hochrangigen Politiker vorzugehen.

Thaçi betrieb immer ein Doppelspiel: Öffentlich unterstützte er die Arbeit der Justiz, hinter den Kulissen versuchte er mit Hilfe des Parlaments, das Sondertribunal abzuschaffen. Mutmaßliche Zeugen stellte er mit Posten und Orden ruhig. Internationale Menschenrechtsorganisationen beklagen seit Jahren, dass in Kosovo die möglichen Zeugen eingeschüchtert würden.

Vom Westen wurde Thaçi lange hofiert. Die EU hat sich seit Jahren mit den Autokraten auf dem Balkan arrangiert, solange sie eine oberflächliche Stabilität garantieren. Thaçi wollte sich in den vergangenen Jahren als verlässlicher Partner des Westens unentbehrlich machen: Im Streit mit Belgrad zeigte er sich kompromissbereit und verhandelte mit seinem serbischen Amtskollegen Aleksandar Vučić über Grenzänderungen zwischen den beiden Staaten. Serbien erkennt die Unabhängigkeit Kosovos nicht an. Das Projekt des "Gebietstausches" ist mittlerweile am Widerstand mehrerer EU-Staaten gescheitert, die Trump-Administration war der Idee jedoch nicht abgeneigt.

Anfang Juni wurde die Regierung des reformwilligen Premiers Albin Kurti gestürzt, weil er ein rasches und schlechtes Abkommen mit Serbien ablehnte. Die Fäden bei dieser filmreifen Intrige zogen Thaçi, der Trump-Vertraute Richard Grenell und eine breite Allianz korrupter Parteien in Kosovo. Nach dem Rücktritt Thaçis übernimmt nun Parlamentspräsidentin Vjosa Osmani vorübergehend das Amt der Staatschefin.

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